Wehmütiger Abschied vom Kommissar

09.07.2010
Henning Mankell schickt seinen schwermütigen schwedischen Kommissar Kurt Wallander in Rente. Der ist über 60, zieht aufs Land und wird Großvater. "Der Feind im Schatten" ist kein spannender Krimi, sondern eine Geschichte vom Altwerden.
Eine Warnung vorweg: "Der Feind im Schatten" ist kein Nerven zerfetzender Krimi oder Politthriller, wie Mankell sie zuletzt schrieb. Der zehnte Band ist der Letzte, ein Abgesang auf den schrulligen Moralisten Kurt Wallander. Der ist mittlerweile über 60, schlägt sich wie eh und je mit Übergewicht und Diabetes herum, mit der Einsamkeit nach einer gescheiterten Ehe und seinem Hang zum Suff. Zu Beginn dieses Abschieds sieht aber zunächst alles gut aus: Wallander erfüllt sich einen lange gehegten Traum und zieht aufs Land.

"Es war ein großer Augenblick in Wallanders Leben, als er den Kaufvertrag unterzeichnete und dann mit einem großen Schlüsselbund in der Hand da stand. Er verließ die Wohnung in der Mariagata ohne den geringsten Zweifel daran, das Richtige zu tun. Zwei Wochen später schaffte er sich einen Hund an: einen schwarzen Labradorwelpen."

Und Wallanders Tochter Linda schenkt ihm das große Glück seiner alten Tage: Enkeltochter Klara. Lindas adeliger Schwiegervater Hakan von Enke war U-Boot-Kapitän. Auf einer Geburtstagsfeier in Stockholm zieht der ehemalige Offizier der schwedischen Marine Wallander ins Vertrauen: Seit Jahrzehnten hadert von Enke damit, dass er während des Kalten Krieges auf rätselhaften Befehl von oben ein fremdes, wohl russisches U-Boot ziehen lassen musste, das sich in schwedischen Hoheitsgewässern herumtrieb.

"Von Enke stellte das Glas auf den Tisch und beugte sich zu Wallander vor: 'Ich versuche noch immer zu verstehen, was damals geschehen ist und ich glaube, dass ich mich jetzt endlich einer Art Klarheit nähere.' 'Darüber, warum Ihr das U-Boot nicht zum Auftauchen zwingen durftet?' Er nickte langsam, zündete seine Pfeife wieder an, sagte aber nichts. In diesem Zimmer, in das die Geräusche des Festes nur schwach hereindrangen, erkannte Wallander, dass von Enke Angst hatte."

Als erst der pensionierte Militär und dann seine Frau spurlos verschwinden, beginnt der eigentlich beurlaubte Wallander auf eigene Faust zu ermitteln.

Und so gerät der Hörer in einen verwirrenden Spionagefall, in dem mit Gift aus der ehemaligen DDR gemordet, der bis heute ungeklärte Tod des Ministerpräsidenten Olof Palme gestreift und die militärische Neutralität Schwedens infrage gestellt wird. Wallander löst viele Rätsel gewohnt intuitiv. Der Kommissar lässt sich Zeit, und Sprecher Axel Milberg passt sich dem gemächlichen Rhythmus gekonnt an.

Was beim selber Lesen vielleicht zu Ungeduld reizt, wirkt von Milberg vorgetragen wie ein langsamer, ruhiger Fluss, auf dem der Hörer sich treiben lassen kann. Nicht von ungefähr ist Axel Milberg der Interpret Henning Mankells des Hörverlags: Scheinbar mühelos verleiht er dem Personal des Textes individuelles Gepräge:

"Die Verbindung war schlecht. Wallander fragte sich, warum es so schwierig war, in gewissen Teilen der Schären anzurufen. Oder befand Sten Nordlander sich ganz woanders? 'Jetzt liege ich bei Udö. man kann sagen, dass ich mich in klassischen Gewässern befinden, U-Boot-Gewässern also.' 'Wir müssen uns treffen, sagte Wallander. Ich möchte gern mit Dir reden.' 'Ist etwas passiert?'"

Wallanders Reise auf der Spur der Geheimdienste führt ihn bis nach Berlin. Hie und da holpert die Handlung holzschnittartig voran, nicht alle losen Fäden werden überzeugend verknüpft, aber darum geht es auch nicht wirklich. Der Plot ist wie in allen Krimis Mankells nur ein Vehikel. In den letzten neun Bänden, um die Gefahren der globalisierten Welt anzuprangern. Diesmal, um noch einmal in Kurt Wallanders Leben einzutauchen. Das überschattet wird von einer großen Angst:

"Sie setzten sich an den Küchentisch und tranken Kaffee. Bis Klara wach wurde und glücklich lachend auf Wallander zulief. Plötzlich überkam ihm ein fruchtbarer Schrecken. Sein Gedächtnis ließ ihn wieder im Stich. Er wusste nicht, wer das Mädchen war, das auf ihn zulief. Er hatte sie schon einmal gesehen, aber wie sie hieß und was sie hier tat – er hatte keine Ahnung."

Sie ist der wahre "Feind im Schatten": Die Nebelwand, die sich immer öfter zwischen Wallander und die Wirklichkeit schiebt. Das eigentliche Thema Mankells ist das Altern und die Furcht vor dem Verfall und dem Verlöschen.

Axel Milberg bringt noch einmal eine große Leistung, indem er Wallanders Ängste für den Hörer fühlbar macht, ohne dick aufzutragen. Melancholie, Zweifel, Resignation: Die Pause als Kunstform.

Ein fetziger Krimi ist das nicht, aber ein passend wehmütiger Abschied vom vergrübelten Kommissar, der als Alter Ego des Erfolgsautors immer an der Schlechtigkeit der Welt litt und nun in ein vielleicht auch gnädiges Dunkel entlassen wird. Dass es für Kurt Wallander kein Zurück geben wird, dass macht Henning Mankell unmissverständlich klar:

"Die Erzählung von Kurt Wallander geht unwiderruflich zu Ende. Die Jahre, die er noch zu leben hat, vielleicht zehn, vielleicht mehr, sind seine eigene Zeit. Seine und Lindas, seine und Klaras, keines anderes Menschen Zeit."

Besprochen von Vanja Budde

Henning Mankell: Der Feind im Schatten
Der Hörverlag, München 2010
7 CDs, 560 Minuten, 26,95 Euro
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