Melancholischer Abgesang

Der schwedische Kommissar Kurt Wallander ist mehr als eine literarische Figur. Zahlreiche Verfilmungen mit wechselnden Darstellern (Rolf Lassgård, Krister Henriksson, Kenneth Branagh) haben die erfolgreichste Ikone des skandinavischen Kriminalromans zur medialen Institution gemacht.
Aus der Feder des exzessiven Schreibers Henning Mankell soll nun der allerletzte "Wallander"-Krimi geflossen sein. Nach der Lektüre von "Der Feind im Schatten" ahnt man, dass dies kein leeres Versprechen sein kann. Denn niemals zuvor agierte Wallander lust- und kraftloser, fast orientierungslos. Er ist aus dem Epizentrum südschwedischer Ystad-Katastrophen aufs Land gezogen, schwärmt für goldgelbe Rapsfelder, stromert gedankenlos mit Hund Jussi durch die Landschaft und versucht, das permanent schlechte Gewissen eines alternden Mannes in billigem Rotwein zu ertränken.

Doch bevor damit auch die schwedische Nachkriegsgeschichte dem Vergessen anheim fällt, thematisiert Mankell mit Wallanders Altersprozess nochmals die Traumata schwedischer Identität: die politische Neutralität, den Mord an Olof Palme, die sowjetischen U-Boot-Affären. Und Mankell stellt Fragen: Inwieweit haben der Kalte Krieg, Palmes DDR-konforme Forderung eines atomwaffenfreien Korridors in Europa oder die Spionage in Ost und West die Privatsphäre der Menschen verletzt?

Mankell zoomt diesen Konflikt ganz nah heran, privatisiert ihn. So lebt Wallanders Tochter Linda mit einem Mann aus der schwedischen Oberschicht zusammen, dessen Vater, Håkan von Enke, in jener konfliktreichen Zeit U-Boot-Kommandant war. Als dieser verschwindet und seine Frau Louise von Enke tot aufgefunden wird, fühlt sich Wallander noch einmal gemüßigt zu recherchieren. Das meint er vor allem Linda schuldig zu sein, die inzwischen auch bei der Polizei arbeitet.

Mankell zeichnet in behäbigem Erzähltempo nach, wie Wallander missmutig und schleppend seine Kreise zieht. Dabei fasziniert ein erzählerischer Trick: Es bleibt offen, warum Wallander nicht voran kommt. Liegt es an seinen gedanklichen Aussetzern, möglicherweise verursacht von der Diabetes, oder an fehlenden Beweisen?

"Nichts ist das, als was es sich ausgibt", denkt Wallander immer wieder und steht sich selbst oft genug bei seinen Ermittlungen im Weg. Denn der Umgang mit der eigenen Lebensgeschichte, in der es viel Verdrängtes gibt, wird mit dem beharrlichen Schweigen seiner Zeugen verknüpft. Hier wie dort gibt es riesige weiße Flecken.

Henning Mankells Roman ist in jeder Hinsicht ein melancholischer Abgesang. Wallanders Schwächen münden schließlich in jene Krankheit, die den radikalen Verlust aller Bezüge zur Welt bedeutet: Alzheimer. Das gefürchtete Wort steht auf der letzten Seite.

Letztendlich ist es egal, wie sich ein Serienheld aus dem Geschehen stiehlt. Mit Kurt Wallander geht aber nicht nur eine Krimi-Ära zu Ende. Mankell entlässt ihn in ein "leeres Universum", das als Schreckgespenst für einen Gedächtnisschwund steht, der über seine Figur hinausweist.

Besprochen von Carola Wiemers

Henning Mankell: Der Feind im Schatten
Roman
Zsolnay Verlag, Wien 2010
590 Seiten, 26 Euro