Wege zur Versöhnung
Die christlichen Kirchen stellten während des Bürgerkrieges die einzige funktionierende Verwaltungsstruktur im Südsudan. Nun spielen die Kirchenräte auch bei der Demokratisierung des Landes eine entscheidende Rolle. Und bei der Versöhnung der ehemals verfeindeten Volksgruppen.
Die offenen Handflächen gen Himmel zeigend, die Köpfe gesenkt – so beten viele Menschen im Sudan täglich für Frieden. Fast drei Generationen sind im Krieg aufgewachsen. Die strohgedeckten Hütten vieler Dörfer sehen noch heute so aus wie auf Bildern aus vergangenen Jahrhunderten. Auf den Marktplätzen zeugen Menschen mit verwirrtem Blick von den Schrecken einer Verwüstung von Körper und Seele. Auch nach dem Friedensschluss zwischen Nord- und Südsudan im Jahr 2005 sind viele Wunden des Krieges noch nicht verheilt. Eine der wichtigsten Aufgaben der Kirchen im Sudan ist deshalb die Traumaverarbeitung, erläutert Ramada Chan. Der Generalsekretär des Sudanesischen Kirchenrates organisiert gemeinsam mit den lokalen Gemeinden den Versöhnungsprozess.
"Die lokalen Gemeinschaften haben ihre traditionellen Führer und Mechanismen, wie sie Probleme regeln. Mit dieser traditionellen Konfliktschlichtung kann Streit zwischen den Gemeinschaften beigelegt werden. Gleichzeitig müssen Gewalttätigkeiten natürlich bestraft werden. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, der Wahrheit. Wer Verbrechen begangen hat, kann sich entschuldigen. Wir als sudanesische Kirchen werden keine Wahrheitskommission einrichten. Aber wir versuchen die Menschen zu ermutigen, durch die Wahrheit zur Versöhnung zu finden."
Die Wahrheit auszusprechen. Über Massaker, Vergewaltigungen, Sklaverei oder Rassismus reden. Das ist im Sudan Teil eines schmerzlichen Versöhnungsprozesses. Die Kirchen organisieren deshalb im ganzen Land Diskussionsforen, in denen die ehemals verfeindeten Gemeinschaften über Konflikte reden können. Wer seine Schuld gesteht, erläutert Ramada Chan, dem wird vergeben.
"Eine unserer wichtigsten Aufgaben als Kirchen ist es, Gemeinschaften zu identifizieren, die noch immer miteinander kämpfen. Wir versuchen Foren zu gründen, auch im Nordsudan, in denen die Gründe für Konflikte benannt werden sollen. Sehr oft wird um Ressourcen gekämpft, um Nutztiere oder um Wasser. Wir versuchen gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen diese Probleme zu lösen. Nur so werden künftige Konflikt vermieden. Dadurch wird ein Versöhnungsprozess eingeleitet. Das wird den Frieden bringen."
Der Sudan gilt als einer der potenziell reichsten Staaten Afrikas. Mit fruchtbarem Land, mit Bodenschätzen, mit Öl. Doch was ein Segen sein könnte, war bislang eher ein Fluch. Nach einem Krieg, der ein halbes Jahrhundert geprägt hat, ist der Sudan heute immer noch gezeichnet vom täglichen Kampf ums Überleben, vom Kampf um Ressourcen.
"Ich bin Reverend James Kuong Ninrew und vertrete den Nuer Friedensrat. Ich gehöre zur Gemeinde beim Block 5a in der Öl-Region Bentiu im Südsudan. Als Pastor der Presbyterianer Kirche wurde ich selbst Opfer von Vertreibungen. Die sudanesische Regierung unterzeichnete noch während des Krieges zunächst einen Vertrag mit der Ölgesellschaft Talisman, dann mit dem Konsortium Lundin, OMV und Petronas. Bevor sie mit dem Ölbohren anfangen konnten, mussten sie die Einwohner aus der Region vertreiben."
Inzwischen hat die schwedische Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den schwedischen Ölkonzern Lundin aufgenommen. Die Firma steht unter Verdacht, an den Kriegsverbrechen im Sudan beteiligt gewesen zu sein.
"Die beteiligten Firmen Lundin, OMV und Petronas sind mitschuldig an den Kriegsverbrechen. 12.000 Menschen wurden in unserer Region vertrieben und genau so viele getötet. Unsere Dörfer und Kirchen wurden niedergebrannt. Das betrifft mich auch ganz persönlich. Deshalb kann ich als Augenzeuge berichten, was ich gesehen und selbst erlitten habe."
Gemeinsam mit einem europäischen Verbund von Nichtregierungsorganisationen versuchen die sudanesischen Kirchen, von den schwedischen, österreichischen, kanadischen und malaiischen Ölkonzernen Schadenersatz einzufordern. Auch das sei ein Teil des notwendigen Versöhnungsprozesses, sagt Pastor James Ninrew.
"Wir fordern keine individuelle Kompensation, weil das nur wenigen zugute käme. Wir wollen kein Bargeld. Aber wir wollen etwas, das allen zugute kommt. Krankenhäuser. Schulen. Und wir fordern eine Entschuldigung. Es kann nur Gerechtigkeit geben, wenn sie um Verzeihung bitten und zugeben, etwas falsch gemacht zu haben. Die Kompensation wäre ein Zeichen, dass sie sich entschuldigen."
So wichtig der Ölreichtum des Sudan ist, um die künftige Entwicklung zu finanzieren – dauerhaften Frieden werde es nur geben, sagt Pastor James Ninrew, wenn auch die internationalen Unternehmen bei der Ölförderung Menschenrechte achten und Umweltschutzstandards einhalten. Künftig dürfe bei der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen das Wohl der lokalen Bevölkerung nie wieder ignoriert werden.
Der Wiederaufbau ist die größten Herausforderungen für den Frieden im Sudan. Selbst in einst Wasser reichen Gebieten ist das lebensspendende Nass heute ein kostbares Gut, um das gestritten wird. Brunnen zu vergiften oder ganz zu zerstören, gehörte zur Kriegstaktik. Genauso wie ethnische Säuberungen, Sklaverei und Massenmord. Dieser Krieg kannte keine Grenzen. Die Araber aus dem Norden wollen unser Land und unsere Ressourcen, ist im Südsudan heute überall zu hören, aber nicht die Menschen. Zum Versöhnungsprozess gehört deshalb für die Kirchen auch, den im Sudan weit verbreiteten Rassismus zu thematisieren: Die Ablehnung der Schwarzafrikaner durch die Ethnien mit arabischen Wurzeln.
"Der Ruf nach gerechter Verteilung der Ressourcen reicht nicht aus. Es geht auch darum, die Einstellungen zu verändern. Die gleichen Gruppen drängen immer wieder andere völlig an den Rand. Sie denken, alle anderen seien ihre Sklaven, alle anderen seien weniger Wert als sie selbst, alle anderen hätten keine Bürgerrechte. Es geht nicht nur darum zu teilen. Wir brauchen eine völlige Transformation. Die Einstellungen, die wir zu anderen haben, müssen sich verändern, genauso wie die Ressourcenverteilung."
Die britischen Kolonialherren hatten bei ihrem Abzug aus dem Sudan einer kleinen arabisch-muslimischen Elite in der Hauptstadt Khartoum die Macht übergeben. Im Sudan leben rund 500 Völker mit unterschiedlichen Kulturen und Sprachen. Statt den neu gegründeten Staat den vielfältigen Volksgruppen anzupassen, definierten die neuen Staatsherren den Sudan als arabisch-muslimische Nation. Wechselnde Regierungen in der Hauptstadt Khartoum versuchten fünf Jahrzehnte lang, das ganze Land mit Gewalt zu arabisieren und zu islamisieren. Nach dieser Erfahrung gebe es keinen Zweifel, wie die Südsudanesen beim anstehenden Referendum im Januar abstimmen werden, glaubt Ramada Chan.
"Die Südsudanesen werden für ihre Unabhängigkeit stimmen. Im Friedensvertrag war vereinbart worden, die Einheit des Sudan für alle attraktiv zu machen. Es sollte einen Versöhnungsprozess zwischen Nord- und Südsudan geben. Der Südsudan sollte genauso entwickelt werden wie der Nordsudan. In den fünf Jahren der Übergangsperiode passierte aber gar nichts. Alle Vereinbarungen wurden gebrochen. Auch die Einstellung der Nordsudanesen gegenüber den Südsudanesen ist immer noch völlig inakzeptabel. Deshalb fühlen wir alle, dass die Südsudanesen überhaupt keinen Grund sehen, für die Einheit zu stimmen. Für sie ist es überhaupt nicht attraktiv, in einem vereinten Sudan zu leben."
Für viele Südsudanesen ist ihre Unabhängigkeit bereits ausgemachte Sache. Für die Kirchen kommt es nun vor allem darauf an, sagt Ramada Chan, den Prozess der Abspaltung friedlich zu gestalten. Der sudanesische Kirchenrat hat deshalb die internationale Gemeinschaft dazu aufgerufen, das Referendum mit zahlreichen Vertretern zu beobachten und zu überwachen. Sollte dieses Referendum scheitern, dann drohe ein erneuter Kriegsausbruch.
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Die Wahrheit auszusprechen. Über Massaker, Vergewaltigungen, Sklaverei oder Rassismus reden. Das ist im Sudan Teil eines schmerzlichen Versöhnungsprozesses. Die Kirchen organisieren deshalb im ganzen Land Diskussionsforen, in denen die ehemals verfeindeten Gemeinschaften über Konflikte reden können. Wer seine Schuld gesteht, erläutert Ramada Chan, dem wird vergeben.
"Eine unserer wichtigsten Aufgaben als Kirchen ist es, Gemeinschaften zu identifizieren, die noch immer miteinander kämpfen. Wir versuchen Foren zu gründen, auch im Nordsudan, in denen die Gründe für Konflikte benannt werden sollen. Sehr oft wird um Ressourcen gekämpft, um Nutztiere oder um Wasser. Wir versuchen gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen diese Probleme zu lösen. Nur so werden künftige Konflikt vermieden. Dadurch wird ein Versöhnungsprozess eingeleitet. Das wird den Frieden bringen."
Der Sudan gilt als einer der potenziell reichsten Staaten Afrikas. Mit fruchtbarem Land, mit Bodenschätzen, mit Öl. Doch was ein Segen sein könnte, war bislang eher ein Fluch. Nach einem Krieg, der ein halbes Jahrhundert geprägt hat, ist der Sudan heute immer noch gezeichnet vom täglichen Kampf ums Überleben, vom Kampf um Ressourcen.
"Ich bin Reverend James Kuong Ninrew und vertrete den Nuer Friedensrat. Ich gehöre zur Gemeinde beim Block 5a in der Öl-Region Bentiu im Südsudan. Als Pastor der Presbyterianer Kirche wurde ich selbst Opfer von Vertreibungen. Die sudanesische Regierung unterzeichnete noch während des Krieges zunächst einen Vertrag mit der Ölgesellschaft Talisman, dann mit dem Konsortium Lundin, OMV und Petronas. Bevor sie mit dem Ölbohren anfangen konnten, mussten sie die Einwohner aus der Region vertreiben."
Inzwischen hat die schwedische Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den schwedischen Ölkonzern Lundin aufgenommen. Die Firma steht unter Verdacht, an den Kriegsverbrechen im Sudan beteiligt gewesen zu sein.
"Die beteiligten Firmen Lundin, OMV und Petronas sind mitschuldig an den Kriegsverbrechen. 12.000 Menschen wurden in unserer Region vertrieben und genau so viele getötet. Unsere Dörfer und Kirchen wurden niedergebrannt. Das betrifft mich auch ganz persönlich. Deshalb kann ich als Augenzeuge berichten, was ich gesehen und selbst erlitten habe."
Gemeinsam mit einem europäischen Verbund von Nichtregierungsorganisationen versuchen die sudanesischen Kirchen, von den schwedischen, österreichischen, kanadischen und malaiischen Ölkonzernen Schadenersatz einzufordern. Auch das sei ein Teil des notwendigen Versöhnungsprozesses, sagt Pastor James Ninrew.
"Wir fordern keine individuelle Kompensation, weil das nur wenigen zugute käme. Wir wollen kein Bargeld. Aber wir wollen etwas, das allen zugute kommt. Krankenhäuser. Schulen. Und wir fordern eine Entschuldigung. Es kann nur Gerechtigkeit geben, wenn sie um Verzeihung bitten und zugeben, etwas falsch gemacht zu haben. Die Kompensation wäre ein Zeichen, dass sie sich entschuldigen."
So wichtig der Ölreichtum des Sudan ist, um die künftige Entwicklung zu finanzieren – dauerhaften Frieden werde es nur geben, sagt Pastor James Ninrew, wenn auch die internationalen Unternehmen bei der Ölförderung Menschenrechte achten und Umweltschutzstandards einhalten. Künftig dürfe bei der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen das Wohl der lokalen Bevölkerung nie wieder ignoriert werden.
Der Wiederaufbau ist die größten Herausforderungen für den Frieden im Sudan. Selbst in einst Wasser reichen Gebieten ist das lebensspendende Nass heute ein kostbares Gut, um das gestritten wird. Brunnen zu vergiften oder ganz zu zerstören, gehörte zur Kriegstaktik. Genauso wie ethnische Säuberungen, Sklaverei und Massenmord. Dieser Krieg kannte keine Grenzen. Die Araber aus dem Norden wollen unser Land und unsere Ressourcen, ist im Südsudan heute überall zu hören, aber nicht die Menschen. Zum Versöhnungsprozess gehört deshalb für die Kirchen auch, den im Sudan weit verbreiteten Rassismus zu thematisieren: Die Ablehnung der Schwarzafrikaner durch die Ethnien mit arabischen Wurzeln.
"Der Ruf nach gerechter Verteilung der Ressourcen reicht nicht aus. Es geht auch darum, die Einstellungen zu verändern. Die gleichen Gruppen drängen immer wieder andere völlig an den Rand. Sie denken, alle anderen seien ihre Sklaven, alle anderen seien weniger Wert als sie selbst, alle anderen hätten keine Bürgerrechte. Es geht nicht nur darum zu teilen. Wir brauchen eine völlige Transformation. Die Einstellungen, die wir zu anderen haben, müssen sich verändern, genauso wie die Ressourcenverteilung."
Die britischen Kolonialherren hatten bei ihrem Abzug aus dem Sudan einer kleinen arabisch-muslimischen Elite in der Hauptstadt Khartoum die Macht übergeben. Im Sudan leben rund 500 Völker mit unterschiedlichen Kulturen und Sprachen. Statt den neu gegründeten Staat den vielfältigen Volksgruppen anzupassen, definierten die neuen Staatsherren den Sudan als arabisch-muslimische Nation. Wechselnde Regierungen in der Hauptstadt Khartoum versuchten fünf Jahrzehnte lang, das ganze Land mit Gewalt zu arabisieren und zu islamisieren. Nach dieser Erfahrung gebe es keinen Zweifel, wie die Südsudanesen beim anstehenden Referendum im Januar abstimmen werden, glaubt Ramada Chan.
"Die Südsudanesen werden für ihre Unabhängigkeit stimmen. Im Friedensvertrag war vereinbart worden, die Einheit des Sudan für alle attraktiv zu machen. Es sollte einen Versöhnungsprozess zwischen Nord- und Südsudan geben. Der Südsudan sollte genauso entwickelt werden wie der Nordsudan. In den fünf Jahren der Übergangsperiode passierte aber gar nichts. Alle Vereinbarungen wurden gebrochen. Auch die Einstellung der Nordsudanesen gegenüber den Südsudanesen ist immer noch völlig inakzeptabel. Deshalb fühlen wir alle, dass die Südsudanesen überhaupt keinen Grund sehen, für die Einheit zu stimmen. Für sie ist es überhaupt nicht attraktiv, in einem vereinten Sudan zu leben."
Für viele Südsudanesen ist ihre Unabhängigkeit bereits ausgemachte Sache. Für die Kirchen kommt es nun vor allem darauf an, sagt Ramada Chan, den Prozess der Abspaltung friedlich zu gestalten. Der sudanesische Kirchenrat hat deshalb die internationale Gemeinschaft dazu aufgerufen, das Referendum mit zahlreichen Vertretern zu beobachten und zu überwachen. Sollte dieses Referendum scheitern, dann drohe ein erneuter Kriegsausbruch.
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