Weberling: Untersuchung kann Glaubwürdigkeit wiederherstellen

Moderation: Holger Hettinger |
Bei der Aufklärung möglicher Stasi-Verstrickungen von Redakteuren bei der "Berliner Zeitung" erwartet der Leiter der Untersuchungskommission, Johannes Weberling, eine engagierte Mitarbeit der Redaktion. Es gebe genügend Redakteure, die das Thema "sehr ernsthaft und sehr vernünftig angehen wollen". Das jetzige Verfahren könne diese Zahl noch vergrößern und die Glaubwürdigkeit der Zeitung wiederherstellen helfen, sagte der Berliner Jurist.
Jürgen König: Große Unruhe bei der "Berliner Zeitung". Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit sind beschädigt, schreibt Chefredakteur Josef Diepenbrock, weil Stasi-Vorwürfe gegen Redakteure des Blattes laut geworden sind. Erst gegen den Redakteur Thomas Leinkauf, am Montag dann hat ein stellvertretender Politikchef der "Berliner Zeitung" gestanden, IM der DDR-Staatssicherheit gewesen zu sein. Nun soll jeder Redakteur auf eine eventuelle Stasi-Mitarbeit überprüft werden. Hierfür wurde eine Untersuchungsgruppe eingesetzt, an der Wissenschaftler der FU Berlin und der Universität Viadrina in Frankfurt/Oder mitarbeiten werden. Koordiniert wird die Untersuchung von dem Berliner Juristen Johannes Weberling. Er ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor an der Viadrina. Mein Kollege Holger Hettinger hat mit ihm gesprochen.

Holger Hettinger: Herr Weberling, Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie unter Nutzung der neuen Möglichkeiten des Stasi-Unterlagengesetzes bis Ende Mai fertig sein möchten mit dieser Untersuchung. Was sind das für neue Möglichkeiten?

Johannes Weberling: Die neuen Möglichkeiten sind durch die 7. Novelle des Stasi-Unterlagengesetzes in das Gesetz eingefügt worden, die besagen, dass Wissenschaftler für Forschungsprojekte mit einer besonderen öffentlich-rechtlichen Verpflichtung in der Behörde unmittelbar an den Originalakten arbeiten können, ohne dass die Behörde diese Akten extra auf besonders schutzwürdige persönliche Interessen durchprüfen muss jedes Mal im Einzelnen.

Hettinger: Das bedeutet, die Unterlagen sind zugänglicher geworden, man hat anderen Zugriff, es sind da jetzt nicht neue Unterlagen aufgetaucht?

Weberling: Na ja, es ist so, dass man die Unterlagen, die man einsehen möchte, die kann man jetzt leichter einsehen. Der Zugang ist für Wissenschaftler deutlich erleichtert worden, was natürlich auch die Aufarbeitung unterstützen sollte und auch damit wird. Es ist natürlich so, und das ist jetzt wohl auch bei der "Berliner Zeitung" der Fall gewesen, dass die Erschließung der Stasi-Akten unverändert weitergeht und dass eben im Rahmen dieser Erschließung, jetzt gerade aktuell der Rosenholz-Kartei, eben auch neue Bestände auftauchen, wo eben Herr Leinkauf sich drunter befand offensichtlich.

Hettinger: Ein Anliegen dieser Kommission ist es zu prüfen, inwieweit die Stasi-Mitarbeit der Journalisten Auswirkungen auf deren Arbeit gehabt hat. Wie machen Sie das?

Weberling: Zunächst einmal muss man nüchtern prüfen, gab es und gibt es noch ehemalige inoffizielle Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes in der Redaktion, und dann muss man prüfen, wo sind die tätig gewesen und welche Themen wurden bearbeitet, inwieweit haben sie Einfluss auf bestimmte Themenfindungen und auf bestimmte Themenbearbeitungen genommen. Das ist das, was die Forschungsgruppe machen wird.

Hettinger: Das stelle ich mir ja gar nicht so einfach vor, denn das schlägt sich ja nicht nur im gedruckten Produkt nieder, sondern auch, sag ich mal ganz salopp, im Verhindern meinetwegen von Stasi-kritischer Berichterstattung. Da hat man ja keine Artikel, die man auswerten kann, und die Diskussionsprozesse innerhalb einer Redaktion, das kann man doch nur sehr schwer rekonstruieren?

Weberling: Das ist völlig richtig, aber Sie sagen selber, das Verhindern von Artikeln. Ich habe selber eine Studie koordiniert Mitte der 90er Jahre, unter anderem über die "Märkische Oderzeitung", und dort ist eben auffällig gewesen, dass zum Thema Stasi und Doping und zu der ganzen Diskussion über den damaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Stolpe in der "Märkischen Oderzeitung" praktisch nichts erschien. Das hat den ganz konkreten Grund gehabt, dass die beiden damaligen Sportverantwortlichen und ein leitender Politikverantwortlicher eben bei der Stasi gewesen sind und diese Artikel verhindert haben. Das konnte relativ gut nachgewiesen werden. Das ist das eine.

Das Zweite ist, ich werde anregen, das werden wir heute Abend diskutieren, dass wir auch die Möglichkeit bekommen, mit den Redakteuren zu diskutieren und zu sprechen, inwieweit sie den Eindruck haben, dass dann erkannte IMs versucht haben, auf bestimmte Themenfindungen Einfluss zu nehmen. Das muss man nüchtern diskutieren. Und wenn da ein Eindruck entstanden ist bei mehr als einem Redakteur und das dann auch wirklich begründet wird, wird man es thematisieren müssen.

Hettinger: Sie haben es eben angesprochen, Sie waren von 1992 bis 1996 Leiter Personal und Recht des Berliner Verlages, zu dem ja auch die "Berliner Zeitung" gehört. Sie hatten eine Studie zu Stasi-Mitarbeitern bei der "Berliner Zeitung" damals initiiert. Und in diesen Jahren hatten zwölf Journalisten die Zeitung verlassen, weil sie als inoffizielle Mitarbeiter geführt wurden. Was ist an der aktuellen Situation jetzt so anders als in den 90er Jahren?

Weberling: Die Situation ist einfach so, dass wir heute das Jahr 2008 haben und Mitte der 90er die "Berliner Zeitung", das muss man ihr zugute halten, schließlich eine der wenigen Regionalzeitungen neben der "Märkischen Oderzeitung" und der "Sächsischen Zeitung" gewesen ist, später kam noch die "Lausitzer Rundschau" dazu, die sich diesem Thema überhaupt gestellt haben. Das haben die Zeitungen zwar unterschiedlich gemacht, aber grosso modo ist es so gewesen, dass man innerhalb der Redaktionen zu diesem Thema doch eine sehr offene und sehr freimütige Diskussion bekommen hat und dass bei allen Redaktionen eigentlich der Eindruck gewesen ist, dass jedenfalls für diese Redaktionen das Thema damit erledigt ist. Und umso erschreckender ist es natürlich, wenn man eben jetzt mitbekommt, dass das Thema nicht erledigt ist.

Hettinger: Ich kann mir gut vorstellen, dass solch eine Untersuchung nicht gerade einfach ist, so im Spannungsfeld zwischen Aufklärungsbedürfnis einerseits und dem Schutz von Persönlichkeitsrechten andererseits. Wie ist das so?

Weberling: Das muss man auch ganz vorsichtig betrachten. Also erstens muss man ganz deutlich sagen, es wurde ja auch kolportiert, so eine Aufarbeitung würde dazu führen, dass man Kündigungen aussprechen kann, das ist völliger Quatsch. Arbeitsrechtlich kann man nicht wegen einer Stasi-Mitarbeit heutzutage Kündigungen aussprechen. Das ist das eine. Das Zweite ist, natürlich möchte auch ein Redakteur, der möglicherweise irgendwann mal in irgendeiner Akte auftaucht, nicht gleich als Stasi-Mitarbeiter veröffentlicht werden oder verdächtigt werden. Da muss man mit Augenmaß gucken nach den presserechtlichen, persönlichkeitsrechtlichen Kriterien, die wir als Medienrechte natürlich auch haben, inwieweit es vertretbar ist, die Namen zu nennen.

Andererseits sage ich auch in aller Klarheit, Täter genießen weniger Schutz in diesen Punkten, sofern es den Intimbereich angeht. Weil sie eben an der Zeitgeschichte an unrühmlicher Stelle mitgewirkt haben, müssen sie damit auch leben, dass sie eben auch mit Namen genannt werden in so einem Zusammenhang.

Hettinger: Eben ist es schon angeklungen in unserem Gespräch, Herr Weberling, wir schreiben das Jahr 2008. Diese ganze Diskussion über Vergangenheit und Verstrickung, über Moral und journalistisches Selbstverständnis, die hätte man doch ebenso gut vor 19 Jahren führen können. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum erst jetzt?

Weberling: Ich glaube, das liegt an der menschlichen Natur zum einen und zum zweiten natürlich auch an den politischen Gemengelagen, die wir in Deutschland haben. Die Natur des Menschen ist natürlich so gestrickt, dass er ganz gerne Ruhe haben möchte und auch an unerfreuliche Seiten in der Vergangenheit möglichst nicht erinnert werden möchte. Auch gerade Täter oder Mitläufer. Wir haben ja in der alten Bundesrepublik Deutschland in den 50er und 60er Jahren ja einschlägige Erfahrungen gemacht, und auch aus diesem Grunde hat es ja insofern, auch sicherlich zu Recht, die Studentenrevolte gegeben, die diesen Paradigmenwechsel in Deutschland gebracht hat.

Das ist insbesondere in den neuen Ländern natürlich auch so gewesen, dass viele sagten, jetzt muss doch mal Ruhe sein mit Stasi usw., wir wollen einfach sehen, dass wir vorankommen, wir haben andere, wichtigere Probleme. Das ist alles nachvollziehbar, aber ich meine, wenn man als Historiker eines jedenfalls, ich bin nicht nur Jurist, sondern eben auch Historiker, eins gelernt haben sollte, ist, dass man verurteilt ist, wie es ein indischer Philosoph gesagt hat, die Geschichte noch mal zu erleben, wenn man die Geschichte vergisst.

Und ich denke, wir sind es uns selbst und insbesondere aber auch den Opfern schuldig, dass wir dieses Thema systematisch aufarbeiten. Dass es natürlich dazu jede Menge Widerstände gibt, weil wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben und anders als totalitäre Staaten eben mit früheren Regierungsparteien nicht so umgesprungen sind, wie das dort der Fall dann ist, damit müssen wir leben. Aber ich denke, das ist doch der Vorzug unseres Rechtsstaates, unseres freiheitlichen Staates, dass man eben für manche Dinge ein bisschen länger braucht.

Hettinger: Sie haben gerade die Widerstände angesprochen. Wie sieht so was aus?

Weberling: Die Widerstände sehen so aus, dass wir landauf, landab in den letzten Jahren beobachten können, dass von ehemaligen Tätern relativ frech in der Öffentlichkeit die Stasi-Tätigkeit als Schutz des Friedens usw. gerechtfertigt wird, dass zunehmend Täter meinen, sie müssten über Gerichtsurteile Berichterstattungen über ihre Untaten und ihre Namen verhindern, dass Forschungsarbeiten behindert werden, dass aber auch, das muss man auch in aller Klarheit sagen, in weiten Bereichen der Politik das Thema nicht auf der Tagesordnung ist und man letztendlich mit diesen Sachen auch nichts zu tun haben möchte.

Ein Beispiel ist für mich die ARD-Studie. Natürlich ist dort eine ganze Menge rausgekommen auf der einen Seite, auf der anderen Seite hat man dort Sorge, nur weil man theoretisch verklagt werden könnte, was vielleicht auch passieren kann, dass man diese Studie mal veröffentlicht und zur Diskussion stellt. Ich denke, das gehört zu seriöser Forschung dazu, dass man, auch wenn sie kritisch ist, muss man sie zur Diskussion stellen und muss man auch die Auseinandersetzungen, die folgen, aushalten.

Hettinger: Lassen Sie uns noch mal den Fokus auf die "Berliner Zeitung" richten. Der Redakteur Christian Bommarius zählt zu den scharfen Kritikern der mutmaßlichen Stasi-Zuträger innerhalb der Redaktion, und er zweifelt an der Selbstreinigungskraft der Zeitung. Wie sehen Sie das?

Weberling: Ich kenne Christian Bommarius, und er ist ein eloquenter und sehr, sehr versierter Kenner der Szene und der Materie. Natürlich kann man Zweifel hegen. Ich glaube nicht unbedingt an das Gute im Menschen, ich denke aber, dass im Endeffekt das Gute und die Wahrheit siegen wird. Ich maße mir nicht an, dann zu sagen, wenn die Arbeit durchgezogen ist, dass wir alles erforscht haben, aber ich meine, dass der überwiegende Teil der Redaktion den Mut finden wird, wenn diese Arbeit seriös gemacht wird, mit diesem Thema unbefangener, selbstkritischer und insgesamt seriöser damit umzugehen, als das vielleicht, das ist eine Unterstellung, vielleicht in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen ist.

Wissen Sie, es gab in der "Berliner Zeitung" in der Vergangenheit auch Auseinandersetzungen über die Frage, müssen wir überhaupt darüber berichten, über dieses ganze Thema. Ich habe selber eine Redakteurin damals vertreten, die deswegen gekündigt worden ist, die darüber engagiert berichtet hat. Diese Redakteurin ist aber heute noch in der "Berliner Zeitung" tätig, das muss man auch in aller Klarheit sagen.

Und ich denke, dass es in der "Berliner Zeitung" Kolleginnen und Kollegen gibt, die dieses Thema sehr, sehr ernsthaft und sehr vernünftig angehen wollen. Und wenn diese Zahl von Redakteuren noch größer wird durch dieses Verfahren, was wir jetzt machen, umso besser. Das kann der Zeitung nur nutzen und das kann die Glaubwürdigkeit wiederherstellen.
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