Wasser als poetisches Element
Der Schriftsteller John von Düffel hat sich in seinen Texten oft mit dem Wasser beschäftigt. Schreiben und Schwimmen seien Kräfte zehrende und äußerlich monotone Arbeiten, bei denen im Kopf aber sehr viel passiere, sagt der leidenschaftliche Schwimmer.
Dieter Kassel: In unseren Themenschwerpunkt Wasser in dieser Woche, da ging es bisher vor allem um die Qualitäten des Wassers als erfrischendes Lebensmittel, aber viele Menschen fasziniert auch noch etwas ganz anderes am Wasser, nämlich die Möglichkeit, darin zu schwimmen. Wenn man sich das genau anguckt, auch mit einer historischen Dimension, dann sieht man, dass relativ viele Schriftsteller vom Schwimmen begeistert gewesen sind. Und unter den lebenden Beispielen für dieses Phänomen ist unter anderem John von Düffel. Er hat sich in seinen eigenen Werken immer mal wieder dem Thema gewidmet, er hat aber vor allen Dingen auch die Kulturgeschichte des Schwimmens ins Deutsche übersetzt. Die ist nämlich eigentlich schon 1992 erschienen, aber in der englischen Originalversion von Charles Sprawson. Wir haben ihn jetzt im Studio, John von Düffel, und da Sie – das möchte ich schon jetzt einmal erwähnen – eigentlich nicht der Bademeister der Nation sein möchten, bin ich doppelt dankbar, dass Sie jetzt aus diesem Anlass zu uns gekommen sind. Schönen guten Morgen!
John von Düffel: Guten Morgen!
Kassel: Sie haben nicht nur das Buch übersetzt, sondern dem Buch natürlich in der deutschen Ausgabe auch noch ein Nachwort und ein Vorwort beigegeben. Und das Vorwort beginnt mit folgenden Worten, die sind von Ihnen: „Eigentlich ist Schwimmen ein großes Schweigen. Fragt man einen, der aus dem Wasser kommt: Wie war's, wird man keine ernsthafte Antwort erhalten.“ Warum kriege ich die zum Beispiel bei Ihnen nicht, wenn Sie aus dem Wasser kommen, weil der Kopf dann zu leer ist oder zu voll?
von Düffel: Na, ich denke, das, was man darauf antworten könnte auf diese Frage, ist schon so intim, so persönlich und lässt auch so tief blicken, dass man es gerne verschweigt. Die Schwimmergemeinde ist tatsächlich eine sehr schweigsame Gemeinde, und dennoch gibt es natürlich viele intime Momente, die alle Schwimmer vereint. Zum Beispiel das Gefühl von Umhülltsein, Umgebensein, dann der Kampf, den man sich mit dem Wasser liefert, diese Erinnerungsmomente von Kindheit, von ersten Wassererfahrungen, die man gemacht hat, von den Sommerferien und so weiter – all das schwingt ja in jeder Schwimmreise, die man so macht, mit. Und insofern ist es eigentlich eher zu voll als zu leer.
Kassel: Kann man eigentlich überhaupt gemeinsam mit jemandem schwimmen, mal von Spezialfällen wie Synchronschwimmen oder Wettbewerb ist nicht gemeint, sondern das ist gegeneinander, von Spezialfällen abgesehen, kann man wirklich gemeinsam mit jemandem schwimmen?
von Düffel: Also ich glaube, der Einzige, mit dem man wirklich schwimmt, ist dann das Wasser, und das Wasser wird im Schwimmen auch zum Gegenüber, zu einem Frage-Antwort-Spiel, das man mit dem Wasser treibt, indem man sagt, wenn ich jetzt das an Bewegungen mache, wenn ich dieses an Kraft investiere, an Geschicklichkeit und Kondition, was macht das Wasser dann, wie ist es heute – und es ist jeden Tag anders. Es ist ein sich verwandelndes Element, von daher ist eigentlich der wirkliche Partner im Schwimmen das Wasser selbst.
Kassel: Wie schwimmen Sie? Also sind Sie der Reinläufer, der Reinspringer, kommen Sie, sehen das Gewässer, legen los oder gibt es die fünf Minuten Blick aufs Wasser vorher?
von Düffel: Also ich habe mich da auch sehr verändert. Früher war ich ganz klar ein Wettkampftyp und habe das Wasser vor allen Dingen als eine Herausforderung gesehen, also so richtig testosteronschwanger als den Gegner, und man muss es bezwingen, man muss es besiegen, wie andere Leute vielleicht bergsteigen. Inzwischen, auch durch die eigene schriftstellerische Arbeit, ist für mich Wasser tatsächlich auch ein poetisches Element. Das heißt also, es gibt den Blick aufs Wasser, aber es gibt die große Lust auch, dem Wasser so nah wie möglich zu sein, und das geht eben nur durchs Schwimmen.
Kassel: Dieser Zusammenhang zwischen Schreiben und Schwimmen, wenn man zum Beispiel diese Kulturgeschichte des Wassers liest, dann könnte ich jetzt sowohl von der Chronologie als auch von einer vermeintlichen Bedeutung riesige Bögen haben, also – werden wir vielleicht noch drüber sprechen – dass in der Antike bei den alten Griechen und den Römern Wasser und Schwimmen wichtig war, auch bei den Intellektuellen. Dann der große Goethe, vor allen Dingen in seiner Jugend, war ein Schwimmer, Lord Byron war ein Schwimmer, bis hin zu der Frage, war das noch alles ganz normal, was er in dem Zusammenhang getrieben hat. Heute zum Beispiel Martin Walser, der auch im hohen Alter, glaube ich, immer noch versucht, regelmäßig zu schwimmen. Woher kommt dieser Zusammenhang, den es ja offenbar gibt, zwischen Schreiben und Schwimmen?
von Düffel: Also ich denke, zum einen ist es eine ähnliche Psychologie, die Psychologie des Einzelkämpfers. Wir haben ja vorhin darüber gesprochen, dass man nicht gemeinsam mit jemandem schwimmt, sondern tatsächlich alleine mit dem Medium Wasser, und ähnlich schreibt man ja auch. Man schöpft da sehr aus sich, und man begegnet dann dem Medium Literatur oder auch den weißen Strecken von Papier und versucht die auch mit Gedanken zu füllen. Schwimmen ist gleichzeitig ähnlich wie Schreiben eine unglaublich monotone Tätigkeit, also wenn man jetzt mal von den großen Schwimmerlebnissen in Seen oder Flüssen absieht, es ist ja in Hallenbädern oder Schwimmbädern auch ein stupides Hin und Her. Und das Besondere daran ist, dass sich ja der Reichtum im Kopf bildet, das, was die Strecken dann spannend macht. Und ähnlich ist es beim Schreiben auch, man tut eigentlich eine sehr monotone Arbeit. Man sitzt am Schreibtisch und sitzt sehr lange, und gleichzeitig passiert im Kopf unheimlich viel. Und das ist eine sicherlich große Verwandtschaft, da könnte man viele Parallelen ziehen.
Kassel: John von Düffel ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur. Er ist zu Gast in dieser Woche, weil das unsere Wasserwoche ist, und über das Wasser zumindest dann, wenn es dem Schwimmen dient, wollen wir mit ihm reden. Reden wir noch ein bisschen über diese Kulturgeschichte, die Sie ja auch übersetzt haben. Abgesehen davon, dass es da tragische Fälle gab von großen Wasserfanatikern, die nicht schwimmen konnten, gab es auch Menschen – Lord Byron ist eines dieser Beispiele –, die auch ein Zeichen setzen wollten, dass sie nicht zu diesen Salonintellektuellen gehören, also: Ich bin das Muskelpaket, war der, glaube ich, zum Teil auch, und der richtig kräftige Sportschwimmer, und ich sitze nicht irgendwo rum, schlürfe Rotwein und diskutiere über den Sozialismus. Dieses Vorurteil, dass man als Intellektueller eigentlich nicht zu sportlich sein darf, ist Ihnen das auch schon begegnet?
von Düffel: Ja, das ist ein großes Thema und Motiv in der gesamten Wahrnehmung von Autoren, also was ist das Schriftstellersein. Und der Schriftsteller, der morgens joggen geht, oder der Schriftsteller, der regelmäßig seine Bahnen zieht – wobei das Wasser da noch einen gewissen Vorteil hat, weil es so als poetisches Element noch so etwas sonderlingshaft ins Image einzubauen ist –, aber der insgesamt sportliche, durchtrainierte Autor, das ist etwas, was man nicht will. Man will eigentlich den verlebten, zerlebten, fast kaputten Menschen, aus dem dann noch irgendwo wie durch ein Wunder Sprache quillt. Das stimmt nur mit dem wirklichen Arbeiten von Schriftstellern in der Regel nicht überein, denn selbst ein kaputter und zerstörter, zerstört scheinender Schriftsteller braucht ein Unmaß an Kraft und ein Unmaß an Konzentration, um einen Roman zu stemmen. Also es gibt einfach unheimlich viel zu tun bei einem Roman, und diese langen Strecken, diese Ausdauerstrecken des Schreibens sind eben auch nur zu schaffen, wenn man sich selber eine gewisse Disziplin antut. Und diese Disziplin ist eben sehr verwandt der eines Schwimmers oder auch Marathonläufers. Es sind immer die langen Strecken, die man bewältigen muss.
Kassel: Schwimmen Sie denn auch an den Tagen, an denen Sie konzentriert schreiben, also wenn Sie gerade an einem Roman, einer Erzählung, einem größeren Essay sitzen, sind das trotzdem auch die Tage, an denen Sie schwimmen?
von Düffel: Ja, unbedingt. Also ich schwimme, wenn es gut geht, im Winter vier- bis fünfmal die Woche und im Sommer eigentlich jeden Tag, wenn es die Zeit erlaubt, weil man dann eben draußen schwimmen kann und sich nicht diese ganze Logistik von Schwimmbädern antun muss. Also ab 14 Grad bin ich in allen möglichen Seen zu finden. Und tatsächlich ist es für mich also sowohl was Verwandtes als auch ein unglaublich guter Ausgleich und auch ein Korrektiv. Also viele Verkrampfungen und auch viele Blockaden im Kopf wird man durch Schwimmen wieder los, weil es zwar eine ähnliche mentale Tätigkeit ist, aber durch die körperliche Bewegung löst sich auch viel von Verkrampfungen. Und die meisten Irrtümer, mit denen ich ins Wasser gehe, wenn ich mal richtig geschwommen habe, dann bin ich sie los.
Kassel: Wenn ich die Geschichte des Schwimmens in einem Satz zusammenfasse, würde ich sagen, in der Antike war es sehr in, dann kam das Christentum auf und hat Wasser auch als ein Element des Bösen zum Teil gesehen, dann war es nicht mehr so in. Dann gab es eine Phase, wo selbst Seeleute meistens nicht schwimmen konnten, und dann haben die Engländer aus einem gewissen Sinn für Skurrilität heraus, so im 19. Jahrhundert, wieder damit angefangen, und deshalb dürfen und können wir alle überwiegend schwimmen heutzutage. Wenn man das mal sehr verkürzt, ist es so, deshalb kommen wir wieder auch zu dem Gefährlichen im Wasser jetzt noch. Es gab ja Menschen, es gibt eine berühmte Geschichte, die ist auch in dem Buch über Jack London, der, ich glaube, eine ganze Nacht stark angetrunken irgendwie durch die See, na, schwimmen konnte man es nicht nennen, trieb, aber der hat das am Ende überlebt. Dann gibt es, ich hab erwähnt, in dem Buch über die Kulturgeschichte des Schwimmens auch Menschen, die ertrunken sind am Ende. Haben Sie manchmal Angst im Wasser?
von Düffel: Ich hatte sogar selbst als sehr durchtrainierter Schwimmer große Angst, und ich denke, in jedem großen Schwimmausflug, den man macht, also wenn man jetzt in Meere hineinschwimmt oder in große Seen hineinschwimmt, spielt die Angst vor dem Ertrinken und das Spiel mit dieser Angst eine große Rolle. Das Schwimmen ist auch immer eine Nähe zum Ertrinken und das Spiel mit einer Gefahr, wenn man weiß, dass man in einem Element ist, das unglaublich viel stärker und mächtiger ist als man selber. Man kann das Schwimmen beherrschen, aber man beherrscht nie das Wasser. Das heißt, es ist auch immer ein Spiel mit dem Tod.
Kassel: Es gibt Menschen, die aber eher im Meer schwimmen würden als im See, weil es diese Angst gibt vor ... Ich meine, es sind auch Menschen schon ertrunken, weil sie sich verheddert haben in Wasserpflanzen. Diese Angst vor allem, was von unten kommt, kennen Sie die auch?
von Düffel: Ja, die gibt es, die ist sehr ausgeprägt, bei mir jetzt Gott sei Dank nicht so, aber ich glaube, es hat was damit zu tun, dass man durch das Wasser sozusagen an allen Körperteilen überall berührbar ist, und man wird berührt. Ich genieße das, diese umfassende Berührung, aber man ist natürlich für alles, was im Wasser ist und was unter einem schwimmt, tendenziell erreichbar. Und dieses Gefühl, wo für mich auch so ein fantastischer Raum anfängt, das, was unter einem ist. Wenn man auf der Erde steht, denkt man nicht darüber nach, da liegen ja auch alle möglichen Dinge – Leichen, Schlachtteile, vielleicht auch Bomben aus vergangenen Kriegen oder wie auch immer –, da denkt man nicht drüber nach, aber das Wasser ist durchlässiger für das, was auch die Fantasie der Angst ist. Und dieses fantastische Moment am Wasser macht einigen Leuten Angst, mich lädt es eher ein, weil ich auch teilweise dann mal die Angst suche.
Kassel: John von Düffel bei uns zu Gast wegen unserer Wasserwoche, aber wir machen das jetzt brav getrennt. Herr von Düffel, ich erwähne zunächst natürlich noch mal „Die Kulturgeschichte des Schwimmens“, über die wir so viel geredet haben, von Charles Sprawson übersetzt und mit Vor- und Nachwort versehen von Ihnen und im Grunde genommen auch mit einem zusätzlichen Titel, auf Englisch hieß das anders: „Ich nehme dich auf meinen Rücken, vermähle dich dem Ozean“. Von wem das im Original ist, können Sie googeln oder erraten. So heißt auf jeden Fall auch dieses Buch, ist immer noch erhältlich im marebuchverlag, und Ihre beiden Werke, da ist auch eine Menge erhältlich, ich erwähne mal zwei aus jüngster Zeit, mit denen Sie auch in diesem Jahr noch mehrmals auf Lesungen zu erleben sein werden. „Hotel Angst“, eine Erzählung, und „Wovon ich schreibe“, ein Essayband, sind beide wie viele Ihrer anderen Bücher im DuMont-Verlag erschienen. Und wem das alles längst viel zu unübersichtlich geworden ist: unter johnvondueffel.de im Internet kann man alles, was Sie tun in und außerhalb des Wassers, nachgucken. Ich danke Ihnen, dass Sie da waren!
von Düffel: Ja, sehr gern!
John von Düffel: Guten Morgen!
Kassel: Sie haben nicht nur das Buch übersetzt, sondern dem Buch natürlich in der deutschen Ausgabe auch noch ein Nachwort und ein Vorwort beigegeben. Und das Vorwort beginnt mit folgenden Worten, die sind von Ihnen: „Eigentlich ist Schwimmen ein großes Schweigen. Fragt man einen, der aus dem Wasser kommt: Wie war's, wird man keine ernsthafte Antwort erhalten.“ Warum kriege ich die zum Beispiel bei Ihnen nicht, wenn Sie aus dem Wasser kommen, weil der Kopf dann zu leer ist oder zu voll?
von Düffel: Na, ich denke, das, was man darauf antworten könnte auf diese Frage, ist schon so intim, so persönlich und lässt auch so tief blicken, dass man es gerne verschweigt. Die Schwimmergemeinde ist tatsächlich eine sehr schweigsame Gemeinde, und dennoch gibt es natürlich viele intime Momente, die alle Schwimmer vereint. Zum Beispiel das Gefühl von Umhülltsein, Umgebensein, dann der Kampf, den man sich mit dem Wasser liefert, diese Erinnerungsmomente von Kindheit, von ersten Wassererfahrungen, die man gemacht hat, von den Sommerferien und so weiter – all das schwingt ja in jeder Schwimmreise, die man so macht, mit. Und insofern ist es eigentlich eher zu voll als zu leer.
Kassel: Kann man eigentlich überhaupt gemeinsam mit jemandem schwimmen, mal von Spezialfällen wie Synchronschwimmen oder Wettbewerb ist nicht gemeint, sondern das ist gegeneinander, von Spezialfällen abgesehen, kann man wirklich gemeinsam mit jemandem schwimmen?
von Düffel: Also ich glaube, der Einzige, mit dem man wirklich schwimmt, ist dann das Wasser, und das Wasser wird im Schwimmen auch zum Gegenüber, zu einem Frage-Antwort-Spiel, das man mit dem Wasser treibt, indem man sagt, wenn ich jetzt das an Bewegungen mache, wenn ich dieses an Kraft investiere, an Geschicklichkeit und Kondition, was macht das Wasser dann, wie ist es heute – und es ist jeden Tag anders. Es ist ein sich verwandelndes Element, von daher ist eigentlich der wirkliche Partner im Schwimmen das Wasser selbst.
Kassel: Wie schwimmen Sie? Also sind Sie der Reinläufer, der Reinspringer, kommen Sie, sehen das Gewässer, legen los oder gibt es die fünf Minuten Blick aufs Wasser vorher?
von Düffel: Also ich habe mich da auch sehr verändert. Früher war ich ganz klar ein Wettkampftyp und habe das Wasser vor allen Dingen als eine Herausforderung gesehen, also so richtig testosteronschwanger als den Gegner, und man muss es bezwingen, man muss es besiegen, wie andere Leute vielleicht bergsteigen. Inzwischen, auch durch die eigene schriftstellerische Arbeit, ist für mich Wasser tatsächlich auch ein poetisches Element. Das heißt also, es gibt den Blick aufs Wasser, aber es gibt die große Lust auch, dem Wasser so nah wie möglich zu sein, und das geht eben nur durchs Schwimmen.
Kassel: Dieser Zusammenhang zwischen Schreiben und Schwimmen, wenn man zum Beispiel diese Kulturgeschichte des Wassers liest, dann könnte ich jetzt sowohl von der Chronologie als auch von einer vermeintlichen Bedeutung riesige Bögen haben, also – werden wir vielleicht noch drüber sprechen – dass in der Antike bei den alten Griechen und den Römern Wasser und Schwimmen wichtig war, auch bei den Intellektuellen. Dann der große Goethe, vor allen Dingen in seiner Jugend, war ein Schwimmer, Lord Byron war ein Schwimmer, bis hin zu der Frage, war das noch alles ganz normal, was er in dem Zusammenhang getrieben hat. Heute zum Beispiel Martin Walser, der auch im hohen Alter, glaube ich, immer noch versucht, regelmäßig zu schwimmen. Woher kommt dieser Zusammenhang, den es ja offenbar gibt, zwischen Schreiben und Schwimmen?
von Düffel: Also ich denke, zum einen ist es eine ähnliche Psychologie, die Psychologie des Einzelkämpfers. Wir haben ja vorhin darüber gesprochen, dass man nicht gemeinsam mit jemandem schwimmt, sondern tatsächlich alleine mit dem Medium Wasser, und ähnlich schreibt man ja auch. Man schöpft da sehr aus sich, und man begegnet dann dem Medium Literatur oder auch den weißen Strecken von Papier und versucht die auch mit Gedanken zu füllen. Schwimmen ist gleichzeitig ähnlich wie Schreiben eine unglaublich monotone Tätigkeit, also wenn man jetzt mal von den großen Schwimmerlebnissen in Seen oder Flüssen absieht, es ist ja in Hallenbädern oder Schwimmbädern auch ein stupides Hin und Her. Und das Besondere daran ist, dass sich ja der Reichtum im Kopf bildet, das, was die Strecken dann spannend macht. Und ähnlich ist es beim Schreiben auch, man tut eigentlich eine sehr monotone Arbeit. Man sitzt am Schreibtisch und sitzt sehr lange, und gleichzeitig passiert im Kopf unheimlich viel. Und das ist eine sicherlich große Verwandtschaft, da könnte man viele Parallelen ziehen.
Kassel: John von Düffel ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur. Er ist zu Gast in dieser Woche, weil das unsere Wasserwoche ist, und über das Wasser zumindest dann, wenn es dem Schwimmen dient, wollen wir mit ihm reden. Reden wir noch ein bisschen über diese Kulturgeschichte, die Sie ja auch übersetzt haben. Abgesehen davon, dass es da tragische Fälle gab von großen Wasserfanatikern, die nicht schwimmen konnten, gab es auch Menschen – Lord Byron ist eines dieser Beispiele –, die auch ein Zeichen setzen wollten, dass sie nicht zu diesen Salonintellektuellen gehören, also: Ich bin das Muskelpaket, war der, glaube ich, zum Teil auch, und der richtig kräftige Sportschwimmer, und ich sitze nicht irgendwo rum, schlürfe Rotwein und diskutiere über den Sozialismus. Dieses Vorurteil, dass man als Intellektueller eigentlich nicht zu sportlich sein darf, ist Ihnen das auch schon begegnet?
von Düffel: Ja, das ist ein großes Thema und Motiv in der gesamten Wahrnehmung von Autoren, also was ist das Schriftstellersein. Und der Schriftsteller, der morgens joggen geht, oder der Schriftsteller, der regelmäßig seine Bahnen zieht – wobei das Wasser da noch einen gewissen Vorteil hat, weil es so als poetisches Element noch so etwas sonderlingshaft ins Image einzubauen ist –, aber der insgesamt sportliche, durchtrainierte Autor, das ist etwas, was man nicht will. Man will eigentlich den verlebten, zerlebten, fast kaputten Menschen, aus dem dann noch irgendwo wie durch ein Wunder Sprache quillt. Das stimmt nur mit dem wirklichen Arbeiten von Schriftstellern in der Regel nicht überein, denn selbst ein kaputter und zerstörter, zerstört scheinender Schriftsteller braucht ein Unmaß an Kraft und ein Unmaß an Konzentration, um einen Roman zu stemmen. Also es gibt einfach unheimlich viel zu tun bei einem Roman, und diese langen Strecken, diese Ausdauerstrecken des Schreibens sind eben auch nur zu schaffen, wenn man sich selber eine gewisse Disziplin antut. Und diese Disziplin ist eben sehr verwandt der eines Schwimmers oder auch Marathonläufers. Es sind immer die langen Strecken, die man bewältigen muss.
Kassel: Schwimmen Sie denn auch an den Tagen, an denen Sie konzentriert schreiben, also wenn Sie gerade an einem Roman, einer Erzählung, einem größeren Essay sitzen, sind das trotzdem auch die Tage, an denen Sie schwimmen?
von Düffel: Ja, unbedingt. Also ich schwimme, wenn es gut geht, im Winter vier- bis fünfmal die Woche und im Sommer eigentlich jeden Tag, wenn es die Zeit erlaubt, weil man dann eben draußen schwimmen kann und sich nicht diese ganze Logistik von Schwimmbädern antun muss. Also ab 14 Grad bin ich in allen möglichen Seen zu finden. Und tatsächlich ist es für mich also sowohl was Verwandtes als auch ein unglaublich guter Ausgleich und auch ein Korrektiv. Also viele Verkrampfungen und auch viele Blockaden im Kopf wird man durch Schwimmen wieder los, weil es zwar eine ähnliche mentale Tätigkeit ist, aber durch die körperliche Bewegung löst sich auch viel von Verkrampfungen. Und die meisten Irrtümer, mit denen ich ins Wasser gehe, wenn ich mal richtig geschwommen habe, dann bin ich sie los.
Kassel: Wenn ich die Geschichte des Schwimmens in einem Satz zusammenfasse, würde ich sagen, in der Antike war es sehr in, dann kam das Christentum auf und hat Wasser auch als ein Element des Bösen zum Teil gesehen, dann war es nicht mehr so in. Dann gab es eine Phase, wo selbst Seeleute meistens nicht schwimmen konnten, und dann haben die Engländer aus einem gewissen Sinn für Skurrilität heraus, so im 19. Jahrhundert, wieder damit angefangen, und deshalb dürfen und können wir alle überwiegend schwimmen heutzutage. Wenn man das mal sehr verkürzt, ist es so, deshalb kommen wir wieder auch zu dem Gefährlichen im Wasser jetzt noch. Es gab ja Menschen, es gibt eine berühmte Geschichte, die ist auch in dem Buch über Jack London, der, ich glaube, eine ganze Nacht stark angetrunken irgendwie durch die See, na, schwimmen konnte man es nicht nennen, trieb, aber der hat das am Ende überlebt. Dann gibt es, ich hab erwähnt, in dem Buch über die Kulturgeschichte des Schwimmens auch Menschen, die ertrunken sind am Ende. Haben Sie manchmal Angst im Wasser?
von Düffel: Ich hatte sogar selbst als sehr durchtrainierter Schwimmer große Angst, und ich denke, in jedem großen Schwimmausflug, den man macht, also wenn man jetzt in Meere hineinschwimmt oder in große Seen hineinschwimmt, spielt die Angst vor dem Ertrinken und das Spiel mit dieser Angst eine große Rolle. Das Schwimmen ist auch immer eine Nähe zum Ertrinken und das Spiel mit einer Gefahr, wenn man weiß, dass man in einem Element ist, das unglaublich viel stärker und mächtiger ist als man selber. Man kann das Schwimmen beherrschen, aber man beherrscht nie das Wasser. Das heißt, es ist auch immer ein Spiel mit dem Tod.
Kassel: Es gibt Menschen, die aber eher im Meer schwimmen würden als im See, weil es diese Angst gibt vor ... Ich meine, es sind auch Menschen schon ertrunken, weil sie sich verheddert haben in Wasserpflanzen. Diese Angst vor allem, was von unten kommt, kennen Sie die auch?
von Düffel: Ja, die gibt es, die ist sehr ausgeprägt, bei mir jetzt Gott sei Dank nicht so, aber ich glaube, es hat was damit zu tun, dass man durch das Wasser sozusagen an allen Körperteilen überall berührbar ist, und man wird berührt. Ich genieße das, diese umfassende Berührung, aber man ist natürlich für alles, was im Wasser ist und was unter einem schwimmt, tendenziell erreichbar. Und dieses Gefühl, wo für mich auch so ein fantastischer Raum anfängt, das, was unter einem ist. Wenn man auf der Erde steht, denkt man nicht darüber nach, da liegen ja auch alle möglichen Dinge – Leichen, Schlachtteile, vielleicht auch Bomben aus vergangenen Kriegen oder wie auch immer –, da denkt man nicht drüber nach, aber das Wasser ist durchlässiger für das, was auch die Fantasie der Angst ist. Und dieses fantastische Moment am Wasser macht einigen Leuten Angst, mich lädt es eher ein, weil ich auch teilweise dann mal die Angst suche.
Kassel: John von Düffel bei uns zu Gast wegen unserer Wasserwoche, aber wir machen das jetzt brav getrennt. Herr von Düffel, ich erwähne zunächst natürlich noch mal „Die Kulturgeschichte des Schwimmens“, über die wir so viel geredet haben, von Charles Sprawson übersetzt und mit Vor- und Nachwort versehen von Ihnen und im Grunde genommen auch mit einem zusätzlichen Titel, auf Englisch hieß das anders: „Ich nehme dich auf meinen Rücken, vermähle dich dem Ozean“. Von wem das im Original ist, können Sie googeln oder erraten. So heißt auf jeden Fall auch dieses Buch, ist immer noch erhältlich im marebuchverlag, und Ihre beiden Werke, da ist auch eine Menge erhältlich, ich erwähne mal zwei aus jüngster Zeit, mit denen Sie auch in diesem Jahr noch mehrmals auf Lesungen zu erleben sein werden. „Hotel Angst“, eine Erzählung, und „Wovon ich schreibe“, ein Essayband, sind beide wie viele Ihrer anderen Bücher im DuMont-Verlag erschienen. Und wem das alles längst viel zu unübersichtlich geworden ist: unter johnvondueffel.de im Internet kann man alles, was Sie tun in und außerhalb des Wassers, nachgucken. Ich danke Ihnen, dass Sie da waren!
von Düffel: Ja, sehr gern!