Gute Bezahlung für alle

Was ist uns Arbeit wert?

87:19 Minuten
Digitale Illustration vieler Ein-Euro-Münzen, die vom Himmel regnen und ins Wasser platschen.
Egal, wie hart manche arbeiten - das Geld reicht doch nie. © imago images / Chromorange
Moderation: Vladimir Balzer · 08.01.2022
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Wenig Geld trotz Vollzeitjob: In Deutschland trifft das jeden Fünften. Betroffen sind meist jene, die den Laden am Laufen halten: Pflegekräfte, Kassiererinnen, Zusteller. Experten warnen vor einer neuen Klassengesellschaft. Wie können wir das ändern?
Vollzeit arbeiten – und dennoch reicht es für viele Menschen hierzulande nicht zum Leben. Ein Fünftel der Beschäftigten sind Geringverdiener, so eine aktuelle Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Sie haben monatlich weniger als 2284 Euro zur Verfügung und verdienen damit weniger als zwei Drittel des Bruttoarbeitsentgelts aller Sozialversicherungspflichtigen in Vollzeit.
Immer mehr sind von Armut betroffen. Die Coronapandemie hat dies noch weiter verstärkt.

Hart arbeiten, aber das Geld reicht nicht

„Bei Hartz IV denken die Leute immer an Arbeitslose. Dabei gibt es viele, die hart arbeiten, aber nicht damit auskommen“, sagt Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Koblenz.

„Von der Hand in den Mund – wenn Arbeit kaum zum Leben reicht“: Das ist das Thema der Deutschlandradio-Denkfabrik 2022. Das ganze Jahr über beschäftigen wir uns in Reportagen, Berichten, Diskussionen und Interviews mit der Lage der Arbeitswelt in Deutschland. Unsere Beiträge können Sie hier online hören und lesen.

„Es gibt Hunderttausende von Alleinerziehenden, über 280.000 pflegende Angehörige, die so arm sind, dass sie Hartz IV beantragen müssen. Es gibt formal hochqualifizierte Leute mit Hochschulabschluss, die im Niedriglohnsektor arbeiten: Soloselbständige, die sich für einen Hungerlohn verkaufen, die als Scheinselbständige bei der VHS Kurse geben", lauten die ernüchternden Fakten. "Und die tauchen nie in einer Statistik auf.“
Stefan Sell verweist auch auf die aktuelle Diskussion um die Entlohnung der Beschäftigten in „systemrelevanten Berufen“, wie dem Pflegebereich, im Supermarkt, bei den Zustellern.
Man habe sie im Lockdown beklatscht, verbessert habe sich ihre Situation nicht. Im Gegenteil: Die Supermarktgiganten hätten die Profite nicht weitergegeben, Lieferdienste wie die „Gorillas“ täten alles, um Gewerkschaften und Tarifverträge zu verhindern.

Appell für Gewerkschaften

Dabei seien starke Gewerkschaften ein wichtiger Baustein, um Interessen durchzusetzen, betont der Sozialwissenschaftler. Das zeige sich in der Industrie. In der Altenpflege dagegen sei der Organisationsgrad schlecht: „Hier verdienen sie zum Teil mehrere hundert Euro weniger als die Pflegekräfte in den Krankenhäusern. Und mit ein Grund dafür ist, dass der Organisationsgrad bei fünf bis sechs Prozent liegt – er ist quasi nicht gegeben.“
Stefan Sell sieht aber auch Chance für eine Wende. „Viele Arbeitnehmer in den personalintensiven Dienstleistungsberufen haben überhaupt noch nicht begriffen, dass sich die Welt zu ihren Gunsten dreht. Die Firmen finden keinen mehr. Selbst in Bulgarien und Rumänien hat es sich herumgesprochen, dass du hier unter hanebüchenen Bedingungen ausgebeutet wirst. Die Rahmenbedingungen waren noch nie so günstig wie heute für Forderungen, dass man besser vergütet wird.“

Wie bewerten wir Leistung?

 „Wie gucken wir auf Arbeit in unserer Gesellschaft?“ Diese Frage beschäftigt auch Sarah-Lee Heinrich, seit Oktober2021 Bundessprecherin der Grünen Jugend. „Wie bewerten wir Leistung, sowohl bezahlte, als auch unbezahlte?“ Das zeige sich auch in der Debatte um die Corona-Prämie für Pflegeberufe: „Wenn das nicht Leistungsträger unserer Gesellschaft sind, wer ist es dann?“
In ihrer politischen Arbeit engagiert sich die Studentin für mehr Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit und einen unvoreingenommenen Blick auf Menschen in prekären Berufen. Sie weiß, was es heißt, arm zu sein, und wie schwer es ist, aus der Armut herauszukommen. Sie selbst ist bei ihrer alleinerziehenden Mutter groß geworden, sie lebten von Hartz IV.

"Alle können im Niedriglohnsektor landen"

Ihre Überzeugung: Letztlich gehe es nur mit mehr Druck – seitens der Politik, aber auch der Gesellschaft.
„Wir brauchen kämpferische Gewerkschaften, eine kämpferische Zivilgesellschaf", fordert die Grünen-Politikerin. Die Bevölkerung geht gegen den Klimawandel auf die Straße, gegen die schlechte Behandlung von Flüchtlingen. Wir müssen auch gegen die ungleiche Bezahlung auf die Straße gehen."
Am Ende des Tages sei jeder nur eine Befristung oder eine Kündigung davon entfernt, Hartz IV zu beziehen. Jeder könnee im Niedriglohnsektor landen. Es brauche eine deutliche Lohnsteigerung in den systemrelevanten Berufen und höhere Mindestlöhne. „Das kostet, und das ist ein Kampf.“

Gute Bezahlung für alle – Was ist uns Arbeit wert?

Darüber diskutiert Vladimir Balzer heute von 9 bis 11 Uhr mit Sarah-Lee Heinrich von der Grünen Jugend und dem Sozialwissenschaftler Stefan Sell. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254 sowie per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de.

(sus)

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