Warum Smartphone-Zombies nerven

Kriegt ihr eigentlich noch was mit?

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Silhouetten von Personen, die mit gesenktem Kopf auf den Bildschirm ihrer Smartphones schauen. Im Hintergrund die Logos von Facebook, Twitter, Whatsapp und Instagram.
Smartphone-Zombies sind völlig ignorant gegenüber dem Raum, in dem sie sich gerade befinden, kritisiert der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski. © imago / Ralph Peters
Ein Standpunkt von Roberto Simanowski · 17.01.2020
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Menschen, die nur auf ihr Smartphone starren - ob auf der Straße oder im Restaurant: Für Roberto Simanowski sind diese Smartphone-Zombies ein Ärgernis. Auch weil sie Vorboten einer digital durchkolonialisierten Zukunft sind, der niemand entgeht.
Wir alle kennen sie und schütteln mehr oder weniger frustriert den Kopf: Sie weichen einem aus, ohne aufzublicken. Man nennt sie 'Smartphone Zombies'. Keine Untoten, die zurückkamen, sondern Abwesende, die ihre Körper zurückließen, als sie sich in die Parallelwelt des Internets begaben.
Hofften wir auf Bekanntschaften, gar die Frau fürs Leben, und sind nun enttäuscht, dass sie das Handy der Begegnung mit uns vorziehen? Verübeln wir ihnen die Einsamkeit, in die sie uns damit stoßen? Oder verstimmt uns nur, mit welcher Dreistigkeit sie erwarten, dass wir aus dem Weg gehen?

Hier sein - und doch ganz woanders

Ärgerlich ist zunächst, dass nun auch das Gehen kein Begegnen mehr garantiert. Bei anderen Fortbewegungsarten haben wir uns inzwischen daran gewöhnt. Im Auto rast der Raum an uns vorbei. In der U-Bahn verschwindet er gänzlich. Und selbst beim Fahrradfahren begegnet man dem Anderen nur an der Ampelkreuzung von Angesicht zu Angesicht. Und nun auch noch das Gehen!
Vorboten gab es seit dem Walkman, der die Fußgänger ja auch schon in ihre eigene Welt einspann. Aber da sah man immerhin noch, was man nicht mehr hören wollte. Das Smartphone jedoch reduziert den Raum völlig auf eine Distanz zum Zielort. Der Zwischenraum ist nur noch Zwischenzeit, die woanders verbracht wird: auf Instagram oder YouTube, im Computerspiel oder im WhatsApp-Chat mit Freunden.
Also stört uns die Ignoranz des Smartphone-Zombies - oder kurz: Smombies - nicht nur uns, sondern auch dem Raum gegenüber. Und mit dem Raum entwerten sie zugleich dessen Geschichte und Gegenwart, die präsent ist in der Häuserstruktur, den abgetretenen Treppenstufen, dem Denkmal im Park. Das alles geht ebenso verloren wie die Menschen vor Ort. Kein Blick für die Jugendlichen an der Ecke und die Trinker im Park. Kein Blick für die alte Frau mit dem Baguette oder das kleine Mädchen mit dem großen Hund. Aber damit nicht genug. Das Smartphone lenkt nicht nur ab vom Raum, es ändert auch den Blick auf diesen.

Das Smartphone als Schutzschild

Wir alle kennen das von den Anweisungen unseres Navis: "In zwanzig Metern links abbiegen!" Wir lesen nicht die Straßenschilder, wir fragen nicht die Passanten, wir folgen den Anweisungen einer Stimme, die mit großer Wahrscheinlichkeit im Silicon Valley programmiert wurde. Was weiß man über einen Raum, wenn man einer App die Macht gibt, unsere Begegnung mit ihm zu bestimmen? Von den Wegen, die wir gehen, bis zu den Geschäften und Restaurants, die uns empfohlen werden. Da hat der Raum kaum noch die Chance, uns auf Abwege zu führen, zu Entdeckungen zu locken, in Gespräche zu verwickeln. Man hält das Smartphone wie ein Schutzschild zwischen sich und die Umgebung. Auch diese Zufallsvergeudung, diese Fernsteuerung aus Kalifornien ärgert uns am Smombie. Und auch das ist noch nicht alles.
Das Smombie verkörpert die digitale Kolonialisierung nicht nur des Raumes, sondern auch des Subjekts. Denn das Gerät, das es vor sich herträgt, ist eine große Überwachungsmaschine. Klar, auch die Kameras an öffentlichen Plätzen beobachten uns. Aber die wissen immerhin nicht, woher wir kommen und wohin wir gehen, und was wir beim Gehen denken.

Für die einen ein Versprechen, für die anderen ein Albtraum

Sobald jedoch unser Leben digital stattfindet, hinterlässt es eine Datenspur, der wir nicht mehr entkommen. Wir werden vermessbar, analysierbar, manipulierbar. Und die Räume, die digital angeschlossen sind, breiten sich immer weiter aus: als Internet der Dinge, als "smart home", als "smart city". Die totale Vermessung scheint unsere Bestimmung zu sein. Für viele ein großes Versprechen, für viele ein gutes Geschäft. Für alle anderen ein Albtraum.
Es ist diese Erinnerung an das Unausweichliche, die uns so ärgert, wenn wir beim Spaziergang auf Menschen treffen, die weder uns, noch den Raum, sondern nur den Bildschirm ihres Handys sehen. Diese Smartphone-Zombies sind keine Überbleibsel einer unbegrabenen Vergangenheit, sondern Vorboten einer Zukunft, der wir nicht entgehen können. Ihr Anblick gemahnt uns, dass wir die technische Entwicklung nicht aufhalten können. Wer wollte da nicht wenigstens den Boten dieser Entwicklung sich wacker in den Weg stellen?

Roberto Simanowski ist Kultur- und Medienwissenschaftler und lebt nach Professuren an der Brown University in Providence, der Universität Basel und der City University of Hong Kong als Medienberater und Buchautor in Berlin und Rio de Janeiro. Zu seinen Veröffentlichungen zum Digitalisierungsprozess gehören "Facebook-Gesellschaft" (Matthes & Seitz 2016) und "The Death Algorithm and Other Digital Dilemmas" (MIT Press 2018).

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