Warum Entwicklungshilfe kontraproduktiv ist

Rezensiert von Eva Karnofsky · 23.08.2009
In "Gefährliche Wahl" sucht der britische Afrika-Spezialist Paul Collier nach Gründen, weshalb sich trotz jahrzehntelanger Entwicklungszusammenarbeit die Lage der Ärmsten kaum verbessert hat. Er leitet daraus auch konkrete Handlungsempfehlungen für die internationale Gemeinschaft ab.
Paul Collier hält die internationale Entwicklungszusammenarbeit mit den ärmsten Ländern der Welt nicht nur für verfehlt, sondern sogar für kontraproduktiv. Wäre sie erfolgreich, ginge es der "untersten Milliarde", wie er unter Bezugnahme auf ihre Einwohnerzahl die 58 ärmsten Staaten bezeichnet, heute besser: Die Gewalt wäre eingedämmt, und es hätte sich Wirtschaftswachstum eingestellt.

"Seit 1945 haben weltweit rund 357 erfolgreiche Militärputsche stattgefunden. Und auf jeden erfolgreichen Putsch kamen mehrere gescheiterte. In Afrika gab es neben 82 erfolgreichen 109 gescheiterte Staatsstreiche sowie 145 geplante, die bereits im Keim erstickt wurden. Das sind rund sieben chirurgische Eingriffe pro Land."

Im Jahr eines Putsches verringert sich das Volkseinkommen um rund 3,5 Prozent, und es dauert mindestens drei Jahre, bis es zur wirtschaftlichen Erholung kommt. Für die Bevölkerung bleibt jedoch weniger übrig als vor dem Putsch, da sich laut Colliers Berechnungen nach jedem Staatsstreich die Militärausgaben empfindlich erhöhen.
"Und es gibt noch eine weitere wichtige Folge eines Putsches: ein signifikanter Anstieg des Bürgerkriegsrisikos."

So fanden bis 2004 in den Ländern der "untersten Milliarde" 53 Bürgerkriege statt. Meist führen Friedensabkommen ein Ende herbei, doch, so Colliers Beobachtung, umgesetzt werden diese Abkommen selten. Einen Grund dafür sieht der Autor darin, dass sich die internationale Gemeinschaft immer dann aus dem jeweiligen Land zurückzieht, sobald dort gewählt worden ist. Nach den Wahlen fließen dann auch die Entwicklungshilfegelder – doch oft in falsche Kanäle:

"Im Durchschnitt finden elf Prozent der Hilfsleistungen ihren Weg in den Verteidigungshaushalt","

hat Collier berechnet, was bedeutet, dass 40 Prozent der Militäretats der Länder der untersten Milliarde mit Mitteln aus der Entwicklungshilfe finanziert werden. Höhere Militärausgaben steigern wiederum die Putsch- und Bürgerkriegsgefahr.

Doch noch einmal zurück zu den Wahlen: Paul Collier leitet aus seinen statistischen Erhebungen die These ab, dass Wahlen allein in diesen ärmsten Ländern, von ihm als "unterste Milliarde" bezeichnet, dem Reformprozess schaden.

""Wahlen einzuführen hat sich als wesentlich leichter herausgestellt als die Etablierung von Kontrollmechanismen und Gewal¬tenteilung. Die Präsidenten genießen es, mit dem heiligen Öl eines Wahlsieges gesalbt zu werden, finden den Gedanken an eine Kontrolle ihrer Macht aber eher abschreckend. Vor allem sind sie sich darüber im Klaren, wie segensreich sich das Fehlen solcher Kontrollen auf ihre Wahlsiege auswirkt."

Kaum sind die internationalen Beobachter abgezogen, kümmert sich die jeweilige Regierung meist nur noch darum, in die eigene Tasche zu wirtschaften und ihren Machterhalt zu sichern. Verantwortung gegenüber der Bevölkerung übernimmt sie jedoch nicht, weil die wirksame Kontrolle fehlt.

In multiethnischen Staaten neigen Präsidenten zudem dazu, die eigene Ethnie zu bevorzugen - die Nationen-Bildung bleibt auf der Strecke. Und Nationen-Bildung sieht der Autor für unabdingbar an, wenn Stabilität und Sicherheit eines Landes erreicht werden sollen. Reformen, die zu mehr Demokratie führen, finden ebenso wenig statt wie Wirtschaftswachstum.

Die internationale Gemeinschaft muss Sicherheit und Verantwortlichkeit der Regierungen der ärmsten Länder herstellen, wenn ihr entwicklungspolitischer Erfolg beschieden sein soll, fordert Collier. Er schlägt dazu ein umfangreiches Instrumentarium vor, dessen Voraussetzung, kurz gesagt, eine militärische Schutzgarantie seitens der internationalen Gemeinschaft sein soll.

Diese Schutzgarantie soll nach einer Wahl Putsche und Bürgerkriege verhindern, dem Staat das Gewaltmonopol sichern und Aufrüstung unnötig machen. Die ärmsten Staaten müssten sich ihrerseits verpflichten, über die Wahl hinaus demokratische Standards und Rechtsstaatlichkeit einzuführen, wenn sie weiterhin Hilfsgelder in Anspruch nehmen wollen.

Internationale Finanzkontrolleure sollten streng darauf achten, dass die Gelder nicht in dunklen Kanälen versickern. Auf diese Weise werden Mittel freigesetzt, die wirtschaftliches Wachstum erlauben. Collier hatte für sein Modell ein Beispiel vor Augen:

"Das letzte Mal, das sich eine gesicherte Wohlstandszone ernsthaft um eine unsichere Region, die sich nicht aus eigener Kraft aus ihrer Lage befreien konnte, gekümmert hat, war in den späten 1940er-Jahren. Die Wohlstandzone war Amerika, die unsichere Region war Europa."

"Gefährliche Wahl. Wie Demokratisierung in den ärmsten Ländern der Erde gelingen kann" ist ein lesenswerter Beitrag zur entwicklungspolitischen Diskussion. Selbst wenn man seinen Kurswechsel verwerfen mag, so liefert Paul Collier doch Fakten, die alarmieren sollten, etwa, wenn er aufzeigt, dass direkte Budgethilfe, auf die auch Deutschland immer häufiger setzt, die Umleitung von Hilfsgeldern in Militäretats enorm erleichtert und damit Aufrüstung fördert.

Colliers Arbeit basiert auf empirischem Material, er verzichtet jedoch darauf, dieses dem Leser zugänglich zu machen. Gern hätte man seine Statistiken eingesehen. Sie hätten die Glaubwürdigkeit der Schlussfolgerungen erhöht.

Bleibt zu erwähnen, dass Collier mit vielen anschaulichen Beispielen arbeitet und so schreibt, dass sein Buch auch für entwicklungspolitisch interessierte Laien verständlich ist.


Paul Collier: Gefährliche Wahl. Wie Demokratisierung in den ärmsten Ländern der Erde gelingen kann
Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt. Siedler Verlag, München 2009, 272 Seiten, 19,95 Euro.
Cover: "Paul Collier: Gefährliche Wahl"
Cover: "Paul Collier: Gefährliche Wahl"© Siedler Verlag