Warten auf den einen Moment
Die rund 100 Aufnahmen von Henri Cartier-Bresson hat der 2004 verstorbene Fotograf noch selbst zusammengestellt. Die Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg ermöglicht einen Überblick über Arbeitsweisen des Fotografen, für den Menschen und Städte ebenso Landschaften waren wie die Berge des Kaukasus.
Stets arbeitete er mit einer kleinen, unauffälligen Leica, näherte sich behutsam seinen Motiven - und fotografierte: Menschen bei der Arbeit und in ihrer Freizeit, Industriebrachen, Arbeiterviertel und kleine verschachtelte Bergdörfer, japanische Geishas und jugoslawische Hirten, eine einsame Pappelallee.
Schon auf den ersten Blick fällt auf, wie sorgfältig Henri Cartier-Bresson seine Bilder komponierte, wie er Flächen und Strukturen seiner Motive betonte. Die Ausstellung nimmt dies zum Anlass, die Fotografien erstmals weder thematisch noch chronologisch zu präsentieren, sondern geordnet nach ähnlichen Formprinzipien, wie Kunstmuseumsleiter Markus Brüderlin erklärt:
"Der Zusammenhang der Bilder ist rein formaler Art. Wir möchten zeigen eine Grundlage der Moderne überhaupt: Dass eben die Form der Inhalt ist. Und der Zusammenhang der Bilder ist wirklich so, dass man Kompositionsprinzipien von einem Bild auf die anderen überträgt. Und das ist die eigentliche Botschaft von dieser Ausstellung: Henri Cartier-Bresson ist eigentlich ein Abstrakter."
So hängen die parallel ausgerichteten Baumreihen eines Pariser Parks neben parallel verlaufenden Schneewehen in den Schweizer Alpen neben parallel zum Trocknen ausgelegten Teppichen in Indien.
Das Konzept macht damit Cartier-Bressons Fähigkeit für harmonische, klare Bildkompositionen überdeutlich und drängt gleichzeitig seine Inhalte unzulässig in den Hintergrund. Das Teppichbild besteht eben nicht nur aus parallelen Flächen, es zeigt auch harte Arbeit: nämlich indische Frauen, die unter gleißender Sonne schwere Stoffbahnen im Sand auslegen. Und Cartier-Bresson hält die Szene nicht aus purer Lust an der reinen Form streng parallel ausgerichtet fest, sondern weil er für die dargestellten Mühen eine formale Entsprechung sucht.
Löst man sich von der befremdlichen These, der Fotograf sei ein Abstrakter, erkennt man, wie dieser Wunsch, Form und Inhalt in Einklang zu bringen, Cartier-Bressons gesamtes Werk prägt.
"Das ist ja das Entscheidende an Cartier-Bresson, dass er eigentlich das Medium zum Kunstmedium gemacht hat, und vor allem über seine Tätigkeit als Fotojournalist das dann so eingesetzt (hat), dass es eben nicht einfach ‚nur’ für Dokumentationen in Zeitschriften war, sondern dass er aufgrund der ganz speziellen Kompositionsweise und Näherungsweise an das Motiv eine Konzeption gefunden hat, ein Auge entwickelt hat, für das, was eigentlich über den Moment hinaus Gültigkeit hat."
Eine unter ihrer Last gebeugte chinesische Bäuerin symbolisiert die Mühen der Arbeit. Autowracks in den Weiten des US-amerikanischen Westens verdichtet er zu Wahrzeichen des Zivilisationsmülls. Ein Mann, der vor weiter kaukasischer Berglandschaft übermütig seinen kleinen Sohn gen Himmel stemmt, wird zum Ausdruck purer Lebensfreude.
Cartier-Bresson wurde 1908 in Paris geboren. Nach Anfängen als Maler, begann er in den 30er-Jahren zu fotografieren. Im Spanischen Bürgerkrieg arbeitete er erstmals als Fotojournalist. Später dokumentierte er die Befreiung von Paris, beobachtete Ende der 40er-Jahre den Unabhängigkeitskampf in Indonesien, arbeitete mehrfach in China und der UdSSR. Bald gehörte er zu den Großen seines Fachs, doch nie interessierte ihn das schnelle oder sensationelle Bild. Er ließ sich Zeit. Oft reiste er für Monate durch ein Land, wollte dessen Verhältnisse begreifen, so Markus Brüderlin:
"Es geht um die Entdeckung der Langsamkeit, um dann das entscheidende Foto zu machen. Und man hat eigentlich das Gefühl, eigentlich müssten gerade die heutigen Fotojournalisten - eben die schnell mal nach Aserbaidschan fliegen oder so - genau das wiederentdecken, um bessere Fotos zu machen."
Allerdings kollidieren Cartier-Bressons Ansprüche schon zu seiner Zeit heftig mit den Vorstellungen der Redaktionen: Für jeden Auftrag von "life" oder "Harper’s Bazaar" muss er sich seine Arbeitsbedingungen neu erkämpfen. Dabei hilft die Fotoagentur "Magnum", deren Mitbegründer er war. Das Ergebnis: Bilder von beeindruckender ästhetischer Qualität. Denn ob Landschaften, Slums, Straßenszenen oder Menschen - stets wartet Cartier-Bresson auf die "Geometrie des Augenblicks". Auf den einen Moment, in dem Motiv, Komposition und Anliegen eine Einheit bilden. Dann erst drückt er den Auslöser - und das Bild ist fertig. Eine Bearbeitung in der Dunkelkammer, die Suche nach dem besten Aus- oder Anschnitt, gibt es bei ihm nicht.
"Im Zeitalter von Photoshop glaubt man es gar nicht mehr, dass Cartier-Bresson, nachdem das Foto geschossen ist, eigentlich da nichts mehr gemacht hat. ... Und das ist ja das Erstaunliche: Das ohne Nachbearbeitung so hochqualitative Bilder hervorkommen. Das ist die absolute Leistung."
Der Beweis dafür, dass die Fotografien nicht nachbearbeitet wurden? Es ist der schmale schwarze Bildrand, der jeden seiner Abzüge umgibt, und der nur entsteht, wenn man ein Negativ ganz entwickelt.
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Das Bild macht den Unterschied
Fotografie als Metasprache
Schon auf den ersten Blick fällt auf, wie sorgfältig Henri Cartier-Bresson seine Bilder komponierte, wie er Flächen und Strukturen seiner Motive betonte. Die Ausstellung nimmt dies zum Anlass, die Fotografien erstmals weder thematisch noch chronologisch zu präsentieren, sondern geordnet nach ähnlichen Formprinzipien, wie Kunstmuseumsleiter Markus Brüderlin erklärt:
"Der Zusammenhang der Bilder ist rein formaler Art. Wir möchten zeigen eine Grundlage der Moderne überhaupt: Dass eben die Form der Inhalt ist. Und der Zusammenhang der Bilder ist wirklich so, dass man Kompositionsprinzipien von einem Bild auf die anderen überträgt. Und das ist die eigentliche Botschaft von dieser Ausstellung: Henri Cartier-Bresson ist eigentlich ein Abstrakter."
So hängen die parallel ausgerichteten Baumreihen eines Pariser Parks neben parallel verlaufenden Schneewehen in den Schweizer Alpen neben parallel zum Trocknen ausgelegten Teppichen in Indien.
Das Konzept macht damit Cartier-Bressons Fähigkeit für harmonische, klare Bildkompositionen überdeutlich und drängt gleichzeitig seine Inhalte unzulässig in den Hintergrund. Das Teppichbild besteht eben nicht nur aus parallelen Flächen, es zeigt auch harte Arbeit: nämlich indische Frauen, die unter gleißender Sonne schwere Stoffbahnen im Sand auslegen. Und Cartier-Bresson hält die Szene nicht aus purer Lust an der reinen Form streng parallel ausgerichtet fest, sondern weil er für die dargestellten Mühen eine formale Entsprechung sucht.
Löst man sich von der befremdlichen These, der Fotograf sei ein Abstrakter, erkennt man, wie dieser Wunsch, Form und Inhalt in Einklang zu bringen, Cartier-Bressons gesamtes Werk prägt.
"Das ist ja das Entscheidende an Cartier-Bresson, dass er eigentlich das Medium zum Kunstmedium gemacht hat, und vor allem über seine Tätigkeit als Fotojournalist das dann so eingesetzt (hat), dass es eben nicht einfach ‚nur’ für Dokumentationen in Zeitschriften war, sondern dass er aufgrund der ganz speziellen Kompositionsweise und Näherungsweise an das Motiv eine Konzeption gefunden hat, ein Auge entwickelt hat, für das, was eigentlich über den Moment hinaus Gültigkeit hat."
Eine unter ihrer Last gebeugte chinesische Bäuerin symbolisiert die Mühen der Arbeit. Autowracks in den Weiten des US-amerikanischen Westens verdichtet er zu Wahrzeichen des Zivilisationsmülls. Ein Mann, der vor weiter kaukasischer Berglandschaft übermütig seinen kleinen Sohn gen Himmel stemmt, wird zum Ausdruck purer Lebensfreude.
Cartier-Bresson wurde 1908 in Paris geboren. Nach Anfängen als Maler, begann er in den 30er-Jahren zu fotografieren. Im Spanischen Bürgerkrieg arbeitete er erstmals als Fotojournalist. Später dokumentierte er die Befreiung von Paris, beobachtete Ende der 40er-Jahre den Unabhängigkeitskampf in Indonesien, arbeitete mehrfach in China und der UdSSR. Bald gehörte er zu den Großen seines Fachs, doch nie interessierte ihn das schnelle oder sensationelle Bild. Er ließ sich Zeit. Oft reiste er für Monate durch ein Land, wollte dessen Verhältnisse begreifen, so Markus Brüderlin:
"Es geht um die Entdeckung der Langsamkeit, um dann das entscheidende Foto zu machen. Und man hat eigentlich das Gefühl, eigentlich müssten gerade die heutigen Fotojournalisten - eben die schnell mal nach Aserbaidschan fliegen oder so - genau das wiederentdecken, um bessere Fotos zu machen."
Allerdings kollidieren Cartier-Bressons Ansprüche schon zu seiner Zeit heftig mit den Vorstellungen der Redaktionen: Für jeden Auftrag von "life" oder "Harper’s Bazaar" muss er sich seine Arbeitsbedingungen neu erkämpfen. Dabei hilft die Fotoagentur "Magnum", deren Mitbegründer er war. Das Ergebnis: Bilder von beeindruckender ästhetischer Qualität. Denn ob Landschaften, Slums, Straßenszenen oder Menschen - stets wartet Cartier-Bresson auf die "Geometrie des Augenblicks". Auf den einen Moment, in dem Motiv, Komposition und Anliegen eine Einheit bilden. Dann erst drückt er den Auslöser - und das Bild ist fertig. Eine Bearbeitung in der Dunkelkammer, die Suche nach dem besten Aus- oder Anschnitt, gibt es bei ihm nicht.
"Im Zeitalter von Photoshop glaubt man es gar nicht mehr, dass Cartier-Bresson, nachdem das Foto geschossen ist, eigentlich da nichts mehr gemacht hat. ... Und das ist ja das Erstaunliche: Das ohne Nachbearbeitung so hochqualitative Bilder hervorkommen. Das ist die absolute Leistung."
Der Beweis dafür, dass die Fotografien nicht nachbearbeitet wurden? Es ist der schmale schwarze Bildrand, der jeden seiner Abzüge umgibt, und der nur entsteht, wenn man ein Negativ ganz entwickelt.
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Fotografie als Metasprache