Wandern mit Downsyndrom

Ein bisschen Herzklopfen gehört dazu

07:54 Minuten
Zwei Frauen laufen einen Wanderweg entlang.
Susanne Abel (r) ist die Tour vorher schon einmal gelaufen, denn die jungen Erwachsenen mit Downsyndrom sollen sich auch wohlfühlen. © Deutschlandradio/Anja Scheifinger
Von Anja Scheifinger · 19.10.2020
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Die Wanderführer Susanne Abel und Gerhard Gruber kommen aus der Erlebnispädagogik und organisieren Wandertouren für Menschen mit Downsyndrom. Dabei ergeben sich auch immer ganz besondere Momente, erzählt Susanne Abel.
André ist startklar für einen Tag wandern – zusammen mit anderen jungen Erwachsenen, die das Downsyndrom haben.
"Ich liebe wandern, das ist einfach megaschön."
Die beiden Wanderführer Susanne Abel und Gerhard Gruber haben die Führung an Moni, Finea, André, Christian und Enes abgegeben. Sie sind zwischen 25 und 35 Jahre alt und sollen ihren Weg selber auskundschaften – denn Eigenverantwortung und Selbstständigkeit sind große Themen bei jungen Erwachsenen mit Downsyndrom. Oft wird ihnen zu wenig zugetraut. Deshalb geht es Susanne und Gerhard um mehr als nur einen Tag Bewegung draußen in der Natur:
"Dass sie selber entscheiden können und bissle unter sich sein können."
"Jeder darf mal Wanderführer sein. Der Enes hat gleich ja gesagt."

"Ach du Scheibenkleister"

Ein Blick auf den von Susanne Abel vorbereiteten Spickzettel ist erlaubt, helfen sowieso. Enes führt durch den Ort, dann gehts raus ins Grüne: "Aber nicht hinfallen, gell!"
Alle tasten sich Schritt für Schritt ein kurzes Waldstück hinunter zu einem Felsenkeller:
"Jetzt ist der Moment, wo Ihr Eure Stirnlampen braucht."
"Ach du Scheibenkleister!"
"Ich krieg jetzt schon Panik!"
"Ich sehe ein paar Steine, und es ist dunkel. Aber ich hab‘ keine Angst."
"Du guckst so ums Eck, und da sieht man, dass man ganz schön weit noch laufen kann, gell?"
"Vorsicht, Stein!"
"Ich fühle mich pudelwohl hier."
"Dann machen wir mal alle das Licht aus!"
"Kann man was hören? Ich rieche was, das stinkt nach Erde."
"Ich find, es riecht gut. Könnt ihr was sehen?"
"Ich gar nichts."
"Hat keiner von Euch Herzklopfen?"
"Na ja, bisschen vielleicht."


Langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit des höhlenartigen Kellers – und wir sehen immer mehr Konturen, riechen die Erde, hören – nichts. Kalt ist es in der Löwengrube, einem ehemaligen Bierkeller. Alle Sinne sind geschärft, es kann weitergehen.
"Enes, du schnaufst so, warum?"
"Weil das anstrengend ist, oben machts dann Spaß."
"Das ist dann super, ne, wenn man‘s geschafft hat oben?"
"Ja!"
Die Anstrengung wird belohnt – mit einem wunderschönen Rundumblick:
"Fußballfeld, schöne Landschaft, megaschön hier."
"Mit tollem Blick über Wald und Hügel und kleine Dörflein."
"Landschaft genießen, ohne Handys. Ich finde das schön mit Euch allen rumzulaufen."
"Hier ist große Pause. Für alle Wanderführer, die bis jetzt geführt haben, einen dicken Applaus. Alles Essen, das in Euren Rucksäcken ist, auf die Bank."
Eine Wandergruppe läuft an einem Felsvorsprung bergauf.
Die Anstrengung wird belohnt – mit einem wunderschönen Rundumblick.© Deutschlandradio/Anja Scheifinger

Stolz über die erste Etappe

Alle rennen zur Bank, und jeder freut sich, dass es jetzt was zu essen gibt. Heute ist die Bank mal der Tisch. Da liegen jetzt Käse und Gurken, Heidelbeeren und Brot Humus, Salami. Das Essen wurde schon beim morgendlichen Treffpunkt am Bahnhof auf alle Rucksäcke aufgeteilt. Jeder hat etwas für alle getragen. Alle sind stolz, die erste Etappe geschafft zu haben. Und es stellt sich heraus wie bei jeder Wanderung: Pause machen ist das Beste.
"Auf jeden Fall!"
"Genießen entspannen. Essen ist unwichtig."
"Essen ist wichtig!"
"Einfach Energie sammeln."
"Ja, für die Muskeln. Der Körper braucht viel Energie, dass man wieder fit wird für den Muskelaufbau, dass man nicht schwächelt und einem nicht schlecht wird. Und viel trinken!"
"Jetzt gehts wieder los. Volle Kraft voraus. Jetzt sind die Rucksäcke leichter, oder?"
"Viel leichter. Ich freue mich jetzt schon, weiterzugehen."


Erlebnispädagogin Susanne ist die Wanderung vor ein paar Wochen schon einmal gegangen – zur Vorbereitung.
"Worauf ich hier besonders achte, ist auch, dass die Wegbeschaffenheit so ist, dass die jungen Erwachsenen mit DS sich auch wohlfühlen. Jetzt habe ich eine Gruppe von Menschen, die schon viel Sport machen, und trotzdem ist es nicht einfach, einen Steig nach unten zu laufen. Das ist vom Gleichgewicht, der Trittsicherheit, der Anatomie, von der Motorik anders. Das heißt nicht, dass die das nicht schaffen."
"Wie bist Du überhaupt darauf gekommen, das zu machen?"
"Mir fällt auf, dass Menschen mit Behinderung oft nicht rauskommen. Ich selber bin sehr gerne draußen im Wald, und ich weiß, was ich daraus ziehe und wie viel mir das gibt. Da dachte ich mir: Eigentlich schade, dass oft die Menschen mit Behinderung nicht so viel rauskommen."
"Kommen die nicht raus wie andere Menschen ohne Behinderung auch?"
"Doch schon, aber es ist natürlich mit Mehraufwand verbunden."

"Man lernt viel voneinander"

Susanne und Gerhard sind ein eingespieltes Team. Sie haben sich bei der Ausbildung zu Erlebnispädagogik kennengelernt.
"Man lernt viel voneinander. Den Blick aufs Wesentliche, die Lebensfreude, die sie haben."
"Ich hab‘ die Erfahrung gemacht, dass es was ganz Besonders ist, wenn sich Menschen mit DS untereinander treffen. Da passiert was, was sonst nicht passiert. Als hätten die miteinander so eine Verbindung, die wir nicht haben."
"Was gibt Dir selber so ein Tag?"
"Was ich am meisten mitnehme, ist, dass die Menschen, mit denen ich heute wandere, absolut im Hier und Jetzt leben, die ganze Zeit. Und dadurch tu ich das an dem Tag auch, das ist wundervoll."


Die Augen der Wanderer leuchten. Nur manchmal kommt ein wenig Nachdenklichkeit auf. Angesprochen auf das Downsyndrom, erzählt André, dass die Leute ihn ansehen, als wäre er anders:
"Mit dem DS fühl ich mich nicht so prickelnd. Alle Leute sagen, ich bin das und jenes… Und das belastet mich."
"Es belastet Dich, dass die manchmal komisch reden?"
"Ja. Über mich."
"Und jetzt? Hast Du ja lauter Menschen, die das auch haben, die nicht so reden, oder?"
"Genau, z.B. die Moni und Finea sind gut, und die halten gut zusammen. Wir sind dicke Freunde."
"Ich bin halt froh, dass ich die hab."
"Ich brauch meine Freunde!"
Zwei Kilometer noch, dann ist es geschafft.
"Was auch klar ist, dass sie sich gegenseitig unterstützen. Das ist ein ganz besonderer Spirit!"
"Applaus für alle Wanderer. Echt klasse, Leute! Ihr seid heute zehn Kilometer gewandert. Zehn Kilometer ist ganz schön weit."
"War anstrengend."
"Mir hats Spaß gemacht."
"Der Tag war wunderschön!"
Eine Wandergruppe schaut sich Informationstafel mit einer Karte an.
Ein Teamspirit, der alle ans Ziel bringt.© Deutschlandradio/Anja Scheifinger
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