Wandern mit dem Smartphone

Von Johannes Schiller |
QR-Codes sehen aus wie chaotische Wimmelbilder. Computer können den Code entschlüsseln und Informationen liefern. Innerhalb weniger Sekunden, deswegen die Abkürzung QR - für Quick Response. In Thüringen startet jetzt ein großes Code-Projekt, ausgerechnet mitten im Wald.
"Da passiert jetzt gar nichts."

Simone Drews scannt zum ersten Mal in ihrem Leben einen QR-Code. Die 47-jährige Berlinerin richtet die Smartphone-Kamera auf ein schwarz-weißes Wimmel-Bild, das auf einer Holztafel angebracht ist. Eine Software entschlüsselt den Code und lädt die entsprechende Webseite.

"Jetzt öffnet sich so eine Art Buch. Mit einem schönen Foto und einen Art Text. Und wie geht es jetzt weiter? Ach so hier gibt es jetzt Fakten über den Naturpark. Da muss ich den Baedeker nicht mitnehmen, ich hab den praktisch hier unterwegs."

Während Simone Drews durch den Kyffhäuser-Naturpark wandert, erfährt sie zum Beispiel, dass es hier nur ganz selten regnet. Oder dass die Böden aus Gips-Karst einzigartig sind. Die Informationen liegen auf einem Internet-Portal. Jeder Smartphone-Nutzer, der eine App für QR-Codes hat, kann sie abrufen. Ein gutes Angebot, findet Simone Drews. Auch wenn sie selbst kein modernes Handy hat.

"Naja, ich bin jetzt nicht der Durchschnittstyp. Also ich hab ein Handy zum Telefonieren, also für den Notfall. Ansonsten halte ich mich nicht für so wichtig, dass ich immer erreichbar sein muss. Aber ich finde es eine gute Idee: Denn es gibt ja genug Leute, die so ein Teil tagtäglich benutzen. Und ... so lange es solche Möglichkeiten gibt, die die Technik bietet, sollte man sie auch nutzen, solange es in den Rahmen passt."

Buchen oder Pappeln dicht an dicht, dann kann Simone Drews plötzlich auf Felder, Hügel und ein Dorf blicken. Links geht es 50 Meter steil bergab, rechts ein Hang mit seltenen Pflanzen und ein weiteres QR-Code-Schild.

"Also jetzt wird mir hier angezeigt, welche Pflanzen hier in der Nähe wachsen. Und da kann ich die einzelnen Pflanzen auch noch mal anklicken und bekomme über die Informationen angezeigt. - Reporter: Was haben sie jetzt angeklickt? - Den Berglauch."

Reporter: "Kennen Sie den?"

"Den Berglauch kenne ich nicht, deswegen habe ich den angeklickt. Ach hier ist er, also der ähnelt wohl dem Schnittlauch."

Bislang stehen gerade mal fünf Code-Schilder auf dem insgesamt 37 Kilometer langen Kyffhäuserweg. Aber bis zu 100 weitere will der Leiter der Naturpark-Verwaltung, Jörg Nonnen, aufstellen lassen. Er hofft, dass er so ein breiteres Publikum für Natur und Umwelt begeistern kann:

"Es geht eigentlich an die Menschen, die aus der Stadt kommen und überhaupt nur bis zu zehn Pflanzensorten kennen. Dass die mal nicht achtlos an diesem Magerrasen vorbeigehen, sondern dass die eben auch erkennen, wie vielfältig und schön die Natur bei uns im Naturpark Kyffhäuser ist."

Besonders im Fokus: junge Leute, denen der Umgang mit dem Smartphone Spaß macht. Aber Jörg Nonnen hofft auch auf die klassischen Wanderer – meist 40 Jahre oder älter:

"Die werden sicher in einigen Jahren auch ganz normal mit diesem Medium umgehen. QR-Code wird jeder kennen. Und dann haben wir eben schon seit langen Jahren gute Erfahrungen gemacht und können die Besucher dann eben auch über dieses Medium an die Natur heranführen."

Der nächste Schritt ist eine eigene Naturpark-App. Sie hat alle Informationen im Speicher und braucht keine permanente Internet-Verbindung. An abgelegenen Orten könnte es sonst Probleme mit dem Handy-Netz geben. Gerade dann, wenn es um größere Datenmengen geht. Wie zum Beispiel bei dem Hörspiel über eine alte Eiche, das künftig per QR-Code aufgerufen werden kann.

Hörspiel "Egon eiche":
"Ah ... mein linker Ast ... oh Besuch, da will ich mich mal vorstellen: Ich heiße Egon Eiche und bin seit 200 Jahren im Naturpark ansässig."

Aber nicht nur im Kyffhäuser stehen Tafeln mit QR-Codes, die anderen Thüringer Naturlandschaften sollen bald folgen. Und auch die Stadt Gotha nutzt die Technik. Wenn Touristen am Bahnhof ankommen, begrüßt sie auf ihrem Smartphone seit Kurzem der Oberbürgermeister per Videobotschaft:

"Herzlich willkommen in Gotha in dieser wunderschönen Residenzstadt in Thüringen."

Hinter dem Thüringer QR-Code-Projekt stehen Wissenschaftler der Fachhochschule Schmalkalden. Dort forscht Thomas Urban an seinem Lehrstuhl für Multimedia-Marketing schon länger zu der Technik. Seit vergangenem Jahr gebe es hierzulande einen regelrechten Boom bei QR-Codes:

"Deutschland hat so diese kritische Masse – man spricht auch so bei Netzwerkdiensten – überwunden. Das heißt, dass jetzt ein exponentieller Anstieg der Nachfrage vorhanden ist. Wobei man in Japan da schon lange drüber hinweg ist. Also wir hängen da schon zeitlich noch ein wenig hinterher."

Japan ist Vorreiter bei Smartphone-Codes. Sie sind fester Bestandteil des Alltags. Deswegen gibt es dort auch schon viel mehr Erfahrung mit der Technik. In Deutschland dagegen herrscht noch Forschungsbedarf. Mit einer jährlichen Studie will Thomas Urban die Akzeptanz der Thüringer QR-Codes testen:

"Wir wollen dann wissen: Für was interessiert sich denn der Nutzer konkret? Welchen Mehrwert möchte er haben? Und wir wollen dann auch jedes Jahr die vorhandenen Inhalte optimieren, in Abhängigkeit von den abgerufenen Inhalten."
Noch experimentieren sie in Gotha munter mit den Möglichkeiten der QR-Codes. Eine Tafel am Rathaus-Turm stellt eine Wissens-Frage – für Touristen und Bewohner. Ein junger Mann mit Ohrstöpseln greift zum iPhone:

"Warum ist das Rathaus rot? Und jetzt drauf. A. Weil der Oberbürgermeister von Gotha Mitglied der SPD ist. B. Der Architekt wollte, dass sich das Haus deutlich von der Nachbarschaft abhebt. C. Weil das Gebäude typisch für die Renaissance ist. Ich nehme an C. ... Richtig! ... Seit der Sanierung 1966 erstrahlt das Rathaus in den für die Renaissance typischen Farben."

Eine erste Nutzer-Bilanz gibt es zumindest für Gotha schon: Zum Thüringentag Anfang Juli war dieses Geräusch etwa 3.000 Mal zu hören.
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