Walter Tevis: "Der Mann, der vom Himmel fiel"

Wir sind die Aliens

06:39 Minuten
Cover von Walter Tevis' Roman "Der Mann, der vom Himmel fiel".
© Diogenes

Walter Tevis

Aus dem amerikanischen Englisch von pociao und Roberto de Hollanda

Der Mann, der vom Himmel fielDiogenes, Zürich 2022

272 Seiten

19,99 Euro

Von Marten Hahn · 12.08.2022
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Der Roman "Der Mann, der vom Himmel fiel" ist schon sechs Jahrzehnte alt. Eine Neuübersetzung zeigt nun, das Walter Tevis' Geschichte nichts an Aktualität eingebüßt hat. Es geht um sterbende Welten, reiche Aliens und das Erlösungsversprechen der Technologie.
Er lese nur Bücher von Autoren, die bereits 30 Jahre tot seien. Nur Literatur, die von der Zeit getauft wurde, so ein Protagonist im Roman „Norwegian Wood“ des japanischen Autors Haruki Murakami. Alles andere sei Zeitverschwendung. Dass es sich dabei um eine gute Strategie handelt, beweist ein Buch, dass nun neu übersetzt im Diogenes-Verlag erschienen ist.
„Der Mann, der vom Himmel fiel“ von Walter Tevis wurde erstmals 1963 veröffentlicht. Damit ist der Roman des US-Autors fast 60 Jahre alt. Dennoch fühlt sich die Geschichte unglaublich heutig an. Die äußerst gelungene Übersetzung von pociao und Roberto de Hollanda dürfte ihren Teil dazu beitragen.  

Tech-Gott aus dem All

Tevis‘ Science-Fiction-Roman verhandelt das bekannte „Sie sind unter uns“-Motiv. Der Vertreter einer außerirdischen, aber menschenähnlichen Spezies landet auf der Erde.
Der Antheaner gibt sich den Namen Thomas Jerome Newton, verkleidet sich als Mensch und geht an die Arbeit. Bewaffnet mit Erfindungen und Patenten der eigenen, überlegenen und zugleich sterbenden Zivilisation sucht sich Newton einen Anwalt, baut ein Technologie-Imperium und beginnt Millionen zu scheffeln. Ein Tech-Gott aus dem All.
Allerdings geht es dem Antheaner nicht um den eigenen Kontostand. Newton ist mit einer Mission auf der Erde gelandet: die verbliebenen Antheaner nachholen: „Es würde eine endlose Quelle der Freude sein, verglichen mit seiner eigenen Welt, der Trockenheit, der Leere, der Stille weiter, unbelebter Wüsten zwischen beinahe verlassenen Städten, wo nur das Heulen des ewigen, kalten Windes zu hören war, der dem Todeskampf seines sterbenden Volks eine Stimme gab.“
In Zeiten von Aufrüstung, Rekordhitze und brennenden Wäldern ist die Message schnell klar: Die Aliens sind wir.

Konzentriert auf das Alien

Und auch Newtons Tech-Gott-Status ist uns so vertraut wie das Handy in der Hosentasche. Mit wenig Mühe lässt sich der Roman damit als Allegorie auf die Erlösungsversprechen lesen, die uns täglich aus dem Silicon Valley und artverwandten Biotopen erreichen.
„Der Mann, der vom Himmel fiel“ wird so zur Geschichte über die Hoffnung, dass uns eines Tages unsere eigenen, sehr irdischen Tech-Götter vor dem selbstverschuldeten Untergang retten werden. Manchmal muss man eben Zukunftsliteratur aus der Vergangenheit lesen, um die Gegenwart zu verstehen.
Der Roman ist kurz. Tevis konzentriert seine narrative Energie auf das Alien und seine subtile Andersartigkeit und auf einige wenige Vertraute des Antheaner. Keine Unmengen an Roman-Personal. Kein „world building“. Warum auch. Das Alien hat uns besucht und nicht umgekehrt. Der Autor muss keine fremden Welten beschreiben. Die Erde, durch die Augen des Besuchers, ist fremd genug.

Als TV-Serie verfilmt

Dass Walter Tevis gerade wiederentdeckt wird, haben wir möglicherweise der US-Filmindustrie zu verdanken. Sein Buch „Das Damengambit” wurde 2020 erfolgreich von Netflix verfilmt. Und auch „Der Mann, der vom Himmel fiel“ ist nicht nur als Buch bei Diogenes, sondern auch als TV-Serie wieder auferstanden. Der US-Sender Showtime nimmt Tevis‘ Geschichte als Ausgangspunkt und dreht sie weiter.
Gut möglich, dass das der schnöde Anlass für die Neuübersetzung ist. Egal: Tevis‘ Roman ist eine Oase im Meer der Mittelmäßigkeit der gegenwärtigen Science-Fiction-Literatur. „Der Mann, der vom Himmel fiel“: Alles andere ist Zeitverschwendung.
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