Wallfahrtskloster Ostrog in Montenegro

Zwischen Wunderheilungen und Machtkämpfen

08:28 Minuten
Im Felsmassiv fügt sich das Kloster Ostrog ein, eine orthodoxe Pilgerstätte in Montenegro.
Das serbisch-orthodoxe Wallfahrtskloster Ostrog in Montenegro wurde im 17. Jahrhundert in 900 Metern Höhe in den Fels gebaut. © Imago / agefotostock
Von Martin Sander |
Audio herunterladen
Das Kloster Ostrog ist der bekannteste Wallfahrtsort der serbisch-orthodoxen Kirche in Montenegro. Bis heute mischt sie sich immer wieder in die Politik des Landes ein. Die Pilger hingegen suchen vor allem nach Heilung – und einem Partner fürs Leben.
„Das ist ein heiliger Platz. Das ist sozusagen unser orthodoxes Jerusalem. Und hierher kommen Leute aus der ganzen Welt, egal welcher Religion und Nationalität.“ Das heilige Jerusalem der serbisch-orthodoxen Kirche, wie es die Pilgerin Tamara bezeichnet, ist ein Kloster im Norden von Montenegro: Ostrog. In 900 Metern Höhe baute man Mitte des 17. Jahrhunderts dieses Kloster in eine steile Felswand – unzugänglich für alle Feinde, vor allem für osmanische Eroberer.
„Unser Heiliger heißt Sv. Vasilije Ostroški. Er liegt hier 400 Jahre.“ Der serbisch-orthodoxe Bischof Vasilije, auf Deutsch Basilius, der für die ihm zugeschriebenen Wundertaten heiliggesprochen wurde, kam 1610 in der benachbarten Herzegowina zur Welt. Basilius hat Ostrog gegründet, und er ist dort 1671 auch verstorben. Seine Gebeine liegen in der kleinen Grabkapelle des Klosters unter einer Decke im aufgeklappten Sarg, ein Anziehungspunkt für Besucher.

Erst starb der Metropolit, dann der Patriarch

Covid-19 hat dem kleinen Land Montenegro stark zugesetzt. Über 100.000 der rund 600.000 Einwohner wurden infiziert und über 1.600 starben. Das hat auch mit der Einstellung der serbisch-orthodoxen Kirche zur Pandemie zu tun. Ihre Vertreter und viele Gläubige ignorierten das herrschende Versammlungsverbot, sie trugen keine Masken und hielten keinen Abstand.
Als Amfilohije, langjähriger Metropolit der Serbisch-Orthodoxen Kirche in Montenegro, am 30. Oktober 2020 Covid-19 erlag, geriet sein Begräbnis in der Hauptstadt Podgorica zum Superspread-Ereignis. Viele Gläubige küssten Amfilohijes tote Hände am offenen Sarg. Unter anderem steckte sich Patriarch Irinej an, das Oberhaupt der Serbisch-Orthodoxen Kirche. Kurz darauf verstarb Irinej in einem Belgrader Militärhospital.

Die Serbisch-Orthodoxe Kirche gegen den Staatspräsidenten

In Montenegro fiel Corona 2020 mit einem öffentlichen Dauerprotest der serbisch-orthodoxen Kirche gegen den Staatspräsidenten Milo Djukanović zusammen. Djukanović wollte die Macht der in Montenegro vorherrschenden serbisch-orthodoxen Kirche schwächen. Denn sie stand seinem eigenen Projekt einer montenegrinischen, von Serbien unabhängigen Nation im Wege. Deshalb unterstützte der Staatspräsident die eigentlich unbedeutende, kleine montenegrinisch-orthodoxe Kirche.
Die Serbisch-Orthodoxen fühlten sich in ihrem Einfluss bedroht und bangten sogar um ihren historischen Besitz von Kirchen und Klöstern. Doch dann wendete sich das Blatt. Im Dezember 2020 verlor die Präsident Djukanović hörige Regierung die Parlamentswahlen und wurde von einer Koalition von Djukanović-Gegnern abgelöst.

Die einen fühlen sich als Montenegriner, die anderen als Serben

„Gott sei Dank! Unser Herr hat für eine neue Regierung gesorgt. Und die hat ein entspanntes Verhältnis zu uns“, sagt der Mönchspriester Sergije Rekić. Als Klosterverwalter kümmert er sich in Ostrog seit vielen Jahren um die landwirtschaftliche Produktion.
Zufrieden zeigt er auf die Gewächshäuser an den steilen, karstigen Hängen unterhalb des Klosters. Der Agraringenieur und Theologe ist ein Serbe aus dem Norden Kroatiens. Zwischen Serben und Montenegrinern sieht er keine Diskrepanz: „Montenegriner, Serben: Vor 20 Jahren wäre noch niemand darauf gekommen, dass es da einen Unterschied gibt.“
Mönchspriester Sergije, Verwalter in Ostrog.
Der Mönchspriester Sergije, Verwalter in Ostrog.© Deutschlandradio / Martin Sander
Die Wirklichkeit ist ein wenig komplizierter. Die Frage, ob Montenegriner Serben sind oder eine eigene Nation bilden, flammte nicht erst in jüngster Zeit auf. Seit Jahrzehnten wird immer wieder darum gestritten. Gemäß dem jüngsten Zensus von 2011 sieht sich eine knappe Hälfte der Bevölkerung des Landes als Montenegriner, ein Drittel fühlt sich als Serben.

Sympathie für verurteilte Kriegsverbrecher?

Besonders die Vertreter der serbisch-orthodoxen Kirche sehen in den Montenegrinern Serben. Die Geschichte Montenegros ist für sie Teil der serbischen Geschichte. Als die deutschen Besatzer Jugoslawien 1941 zerschlugen, suchte das damalige Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche, der Patriarch Gavrilo, Zuflucht im Kloster Ostrog. Dorthin brachte man auch einen Teil des jugoslawischen Staatsschatzes, der dann von der Gestapo konfisziert wurde.
50 Jahre später, im Jugoslawienkrieg der 1990er-Jahre sympathisierte die serbisch-orthodoxe Kirche größtenteils mit der großserbischen Politik von Slobodan Milošević. Dem in Den Haag als Kriegsverbrecher verurteilten bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić, der aus Montenegro stammt, sagt man Verbindungen zum Kloster Ostrog nach. Klosterverwalter Sergije Rekić wehrt sich gegen meine Frage, ob er sich von Karadžić distanziere:
„Diesen Menschen habe ich nie getroffen. Aber die Frage, ob ich mich von ihm distanziere, ist ernst. Ich müsste mich dazu erst mit seinem Opus beschäftigen. Glauben Sie mir, meine Sache ist das Gebet. Und ich bete bei Gott für alle Menschen, für den Frieden. Gott ist der einzige Richter, der die Wahrheit kennt. Ich kann mich nicht distanzieren. Denn ich weiß nicht, wovon ich mich distanzieren sollte.“

Die Pilger suchen Heilung – und Partner fürs Leben

Die Serbisch-Orthodoxe Kirche ist eine Institution, die stets in der Politik der Region mitmischt. Die Pilger in Ostrog hingegen sind weniger an Politik interessiert. Ihnen geht es zum Beispiel um die Heilung von einer Krankheit, wie sie der heilige Basilius möglich gemacht haben soll. „Ich habe Epilepsie und komme jeden Monat hierher. Das hilft mir mehr als manches Medikament. Ich bin etwas nervös. Aber das geht dann vorbei. Mir hilft das Gebet, und mir helfen die Ikonen“, bekennt eine Frau aus der Küstenstadt Bar im Süden Montenegros.
Prozession in Jovando – ein neueres Kloster der serbisch-orthodoxen Kirche unweit von Ostrog. In der Mitte der neu ernannte Metropolit in Montenegro, Bischof Joanikije.
Prozession in Jovando – ein neueres Kloster der serbisch-orthodoxen Kirche unweit von Ostrog. In der Mitte der neu ernannte Metropolit in Montenegro, Bischof Joanikije.© Deutschlandradio / Martin Sander
Tamara, die in einem kleinen Ort im Norden des Landes lebt und auch öfter in Ostrog vorbeikommt, bewegt dagegen etwas anderes: „Sie haben da oben auch etwas, wo Leute alle zusammen schlafen, wie in einer Soldatenkaserne. Also alle Betten sind auf drei Etagen, egal ob Männer oder Frauen, Gesunde oder Kranke, alle zusammen. Und die Leute haben natürlich Spaß, weil nicht nur Kranke kommen, sondern auch Gesunde, die sich kennenlernen. Manche finden hier Ehepartner.“
Im Corona-Jahr 2021 waren die Herbergen des Klosters bislang allerdings kaum belegt. Und das wird vermutlich noch einige Zeit so bleiben.
Mehr zum Thema