Waldbrände in Lateinamerika

Paraguay und die deutschen Autobauer

07:48 Minuten
Partodobäume (Tabebuia caraiba) stehen auf trockenem Gras in Gran Chaco in Paraguay.
Gran Chaco in Paraguay - eine Region mit Trockenwäldern © imago images / imagebroker
Von Alexander Bühler · 16.11.2020
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Auch in diesem Jahr brennen die Wälder in Südamerika. Sind deutsche Autofirmen mitverantwortlich, dass der Lebensraum von Indigenen in Gefahr ist? Eine britische Umweltschutz-NGO enthüllt, was der Lederbedarf von BMW und Co. damit zu tun haben könnte.
Karen Liz Colman ist Biologin aus Paraguay. Jahrelang hat sie im nationalen Umweltministerium gearbeitet.
"Meine Abteilung kümmerte sich um Gesetz 9692 zur Waldfauna", erzählt sie. "Wir bewerteten die Umwelteinflüsse durch Viehzucht. Das macht jetzt keiner mehr. Denn nachdem es dieses Problem mit mir gab, wurden keine Akten mehr bearbeitet. Also ein paar schon noch - aber ohne Gutachten, nicht von Fachleuten für Waldfauna. Das Interessante ist, dass es in jener Abteilung, die die Erlaubnis zum Abholzen gibt, fünf Funktionäre gibt. Und die schaffen angeblich 500 Akten im Monat. Das ist unmöglich. Die Akten enthalten sehr viel Informationen, keiner kann das in einem Monat evaluieren. Und dann 500 Akten?"

Schlüsselzeugin für die Enthüllungen

Also werden die Akten nur noch im Copy-und-Paste-Verfahren bearbeitet. Niemand guckt mehr drauf, was vor Ort passiert, was mit der Umwelt passiert, sagt Colman. Sie habe mitansehen müssen, wie der Urwald zugunsten von Rinderfarmen vernichtet wurde. Sie war eine Schlüsselzeugin für die Enthüllungen der britischen Umweltorganisation Earthsight. Der ist es gelungen, etwas zu beweisen, was nach eigenen Angaben der Autofirmen unmöglich sein soll: Nämlich woher das Autoleder stammt, das in der automobilen Oberklasse verwendet wird.
Sam Lawson, Chef von Earthsight: "Eine der größten Abwaldungsursachen in Lateinamerika ist die Viehzucht, in der Chaco-Region Paraguays wird das Land für Rinderfarmen gerodet. In einem Naturschutzgebiet, das eigentlich einem unkontaktierten Stamm gehört. Wir haben die Spur der Rinder und ihrer Häute durch die Schlachthäuser und die Gerbereien weiterverfolgt. Bis nach Italien und dann direkt in die Lieferketten dieser Autofirmen."
Er zeigt sich entsetzt darüber, wie ungehemmt tatsächlich bisher alle Beteiligten vorgegangen sind. In ihrem Bericht beschreibt die NGO, wie etwa die Bagger einer Mennonitenfarm die bisher Indigenen schlicht überrollen. "Unkontaktiert", diese Vokabel beschreibt Völker, die bisher keinen Kontakt zur Außenwelt hatten, die auf traditionelle Weise in ihrem Ökosystem leben. Doch das wird in Südamerika, von Brasilien bis Paraguay, gerade völlig zerstört.

Reaktion der Autobauer

Der Gran Chaco, zwischen Bolivien, Argentinien und Paraguay gelegen, ist ein riesiges Trockengebiet. Heiß, dünn besiedelt, wasserarm, lebensfeindlich. Nur gering bewaldet. Das wenige Grün wird zerstört. Jetzt kommt von hier das Autoleder. Auf Anfrage hat BMW erklärt:
"Aktuell ist in einzelnen Fahrzeugen der BMW Group auch Leder enthalten, für das Vormaterialien aus Paraguay verwendet werden. (...) Mittelfristig wird dieser Anteil auf 0 Prozent zurückgehen, da wir unsere Lederlieferketten umstrukturieren und infolge dessen auf Leder aus Südamerika verzichten werden. (...) Natürlich haben wir die Earthsight-Recherche zum Anlass genommen, unsere Lieferkette nach möglichen Verstößen zu befragen. (...) Die BMW Group geht allen Verdachtsmomenten für Verstöße in ihren Lieferketten nach. (...) Sollten wir konkrete Belege dafür erhalten, dass in unseren Lieferketten gegen diese Nachhaltigkeitsstandards verstoßen wird, würden wir dies zum Anlass nehmen, von unseren Lieferanten eine Änderung ihrer Bezugsquellen einzufordern."

Indigene Völker in Gefahr

Es geht um 800.000 Quadratkilometer, so groß ist der Gran Chaco. 3400 Pflanzenarten, 900 Tierarten sind hier beheimatet, vor allem Jaguare und Riesen-Ameisenbären. 250.000 Indigene leben hier. Der bekannte britische Naturkundler und TV-Moderator David Attenborough hat dieses Gebiet einmal als eine der letzten großen Wildnisse in der Welt bezeichnet. Und doch verschwindet es unglaublich schnell.
Durch den Vergleich von Satellitenbildern kam eine paraguayische NGO zum Schluss, dass seit 2013 jedes Jahr 446.000 Hektar abgeholzt werden. Wo nicht Rinder grasen, wird Soja für die Viehzucht in anderen Ländern angebaut.
"Unser gesamtes Rechtssystem ist so", erklärt Karen Liz Colman. "Die Viehzüchter sind im gesamten politischen Raum vertreten, es gibt sogar eine Partei voller Viehzüchter. Daher haben sie viel Macht in Paraguay. Der Ex-Präsident, Cartes, der Senator Fidel Zavala, sie sind alle in politischen Schlüsselstellungen. Es ist sehr schwierig, die Stimme zu erheben, und zu sagen, dass hier im Land etwas schiefläuft. Cartes hat zum Beispiel verschiedene Radio- und Fernsehstationen. Der Kleinbauer, der ein bisschen Land will, ist der Schlechte, das ist eine Gehirnwäsche. Die Großbauern sind in diesen Medien die Leistungsträger. Die Indigenen sind alle Nichtstuer."

Lieferkettengesetz der EU als langfristige Maßnahme

Und diese Entwicklungen laufen schon seit Jahrzehnten so ab. Nur kurz kam es zu einer Irritation, als eine Linkskoalition an die Macht kam, die versprach, Kleinbauern Land zu geben. Doch nach ein paar Morden und außergerichtlichen Hinrichtungen waren die Großbauern schnell wieder im Sattel. Wie kann man also langfristig diese Missverhältnisse ändern?
Ein Weg könnte das geplante Lieferkettengesetz sein, sagt die grüne EU-Abgeordnete Anna Cavazzini: "Es ist natürlich immer ein bisschen schwieriger, um die Ecke Einfluss zu nehmen auf die brasilianische Politik oder auch die Politik in Paraguay. Wenn wir zum Beispiel endlich ein Lieferkettengesetz hätten oder ein Gesetz, das Produkte aus Entwaldung auf dem europäischen Markt verbietet: Dann hätte das zur Konsequenz, dass entweder die europäischen Autohersteller, die hier ganz oft die Käufer sind von diesem Leder, dass die entweder genau hingucken müssen und das Leder von woanders beziehen müssten, da wo es halt nicht zur Entwaldung beiträgt. Oder aber, die müssten halt Druck ausüben auf die Zulieferer, auf diese zwei, drei großen Farmen zum Beispiel in Paraguay und ganz klar sagen: Leute, wenn ihr nicht aufräumt mit euren Methoden, wenn ihr weiterhin Urwald den abholzt, dann kaufen wir nicht mehr von euch. Ich glaube, dass sich über diese Marktmacht was ändern würde."

"Man hört meine Stimme nicht"

Die EU muss endlich ihre Hausaufgaben machen, denn aufgrund des neuen Freihandelsabkommens Mercosur könnte Paraguay die Menge seiner Fleischimporte in die EU vervierfachen. Und das vollkommen ohne Sanktionsmöglichkeiten für die EU. Um die fortschreitende Zerstörung zu verhindern, muss dringend ein europäisches Lieferkettengesetz eingeführt werden.
Sonst, sagt Karen Colman, hat der Wald keine Chance: "Was Europa und die USA von so kleinen, unterentwickelten Staaten unterscheidet, ist, dass es hier zu viel Straflosigkeit gibt. Ich glaube, es gibt alles: Gesetze, Regulierungen, Studien, Alarme, aber man bestraft nicht, wenn so was passiert. Diese Struktur macht, dass ich allein bin. Man hört meine Stimme nicht. Schlimmer als die Korruption ist, dass man Umweltverbrechen nicht bestraft. Nie."
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