Brände in Amazonien

Kippt der EU-Handelsvertrag?

21:55 Minuten
Verbrannte Vegetation im Westen Brasiliens
Seit Präsident Bolsonaro regiert, haben in Brasilien die Abholzung und die Waldbrände zugenommen. © Deutschlandradio / Thomas Milz
Von Thomas Milz  · 21.09.2020
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Im Amazonas wird weiter fleißig gerodet. Die aktuelle brasilianische Regierung gibt Agrarflächen für den Export von Fleisch und Soja Vorrang vor dem Umweltschutz. Soll die EU dennoch ein Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten abschließen?
Der Amazonaswald brennt - schon wieder. Tagtäglich kommen neue Hiobsbotschaften aus dem weltweit größten Tropenwald. Seitdem der Rechtspopulist Jair Messias Bolsonaro im Januar 2019 sein Amt angetreten hat, nehmen die Abholzung und die Waldbrände zu. Derzeit kann man auf Satellitenbildern riesige Qualmwolken sehen, die aus Amazonien über Tausende von Kilometern bis weit nach Südbrasilien ziehen.
Auch über dem Bundesstaat Acre hängt seit Wochen dichter Qualm. Eigentlich dürfte das gar nicht so sein. Denn im Juli hatte die Regierung ein viermonatiges Verbot von offenen Feuern für die Amazonasregion verhängt. Doch offensichtlich nimmt das niemand ernst.

"Die Gier nach Geld hat Einzug gehalten"

Acre liegt an der westlichsten Spitze des brasilianischen Amazonaswaldes. Bis in die 80er-Jahre hinein schützte die abgelegene Lage den Wald. Als dann die ersten Landwirte aus dem Süden hierherkamen, stellten sich die Kautschuk-Zapfer um ihren Anführer Chico Mendes, ihnen in den Weg. Brasiliens erste Umweltbewegung war geboren.
Zwar gewannen die Aktivisten ein Schutzgebiet für sich, doch Chico Mendes bezahlte den Kampf gegen das Agrarbusiness mit seinem Leben. Ende 1988 wurde er im Auftrag von Farmern ermordet. Heute ist sein Erbe in Gefahr, berichtet Maria Emília Coelho, eine Aktivistin für den Schutz der Umwelt und der Indigenen in Amazonien:
"Bis vor einigen Jahren waren die Abholzungsraten hier in Acre die niedrigsten in ganz Amazonien. Doch heute ist das anders. Die Abholzung nimmt zu, und das nach Chico Mendes benannte Schutzgebiet, wo damals der Kampf der Umweltaktivisten begann, ist heute das am meisten gerodete Naturschutzgebiet Brasiliens. Man spürt hier den Druck des Agro-Business und der illegalen Holzwirtschaft."
Saba Marinho sitzt neben einem blauen Fass.
Kautschuk-Zapfer Saba Marinho ist ein Weggefährte von Chico Mendes.© Deutschlandradio / Thomas Milz
Es gibt noch idyllische Farmen im Chico-Mendes-Schutzgebiet an der Grenze zu Bolivien. Doch immer weniger Bewohner halten sich hier an die strengen Regeln, erklärt der 77-jährige Kautschuk-Zapfer Sabá Marinho, ein Weggefährte von Chico Mendes.
"Wir sind sehr besorgt über den Kahlschlag, der hier im Wald geschieht", sagt er. "Ein großer Teil der Kautschuk-Zapfer will heutzutage nicht mehr mit Kautschuk ihr Geld verdienen. Sie wollen abholzen, um dann Rinder zu züchten. Dabei besitzen die meisten nicht mal ein einziges Kalb. Trotzdem holzen sie ab, weil die Farmer sagen: Reiß den Wald um, und ich sorge für die Kälber. Bei diesen Kautschuk-Zapfern hat die Gier nach Geld Einzug gehalten und sie wollen selber zu Farmern werden, mitten im Schutzgebiet."

Viele Menschen haben offenbar genug vom Umweltschutz

Die Farmer, die die Kautschuk-Zapfer zum Roden und Abbrennen der Wälder anstacheln, kommen aus Südbrasilien und aus dem benachbarten Gliedstaat Rondonia, der in den vergangenen Jahrzehnten bereits zu einem großen Teil gerodet wurde. Jetzt ziehen sie nach Acre weiter. Denn hier gibt es noch Potenzial. Sprich: Wälder, die in Viehweiden und Sojafelder verwandelt werden können.
Solange es noch so viel Wald gibt, ist die Abholzung auch kein großes Problem, meint Assuero Veronez, Präsident des Agrarverbands von Acre und einer der mächtigsten Landwirtschaftslobbyisten Amazoniens.
"Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, werden Sie feststellen, dass es nicht so schlimm ist wie die Medien es darstellen", sagt er. "In Acre wurden gerade einmal 14 Prozent der Wälder abgeholzt, 86 Prozent sind intakt. Und die Abholzungsrate ist sehr gering, lediglich Kleinbauern mit Familienbetrieben holzen hier ein oder zwei Hektar Wald ab, um ihren Reis oder ihre Bohnen oder Mais zu produzieren und ihre Familien zu ernähren."
Ein Outdoor-Poster mit Präsident Bolsonaro steht neben einer Straße.
Ein von Farmern in der Stadt Capixaba aufgestelltes Outdoor-Plakat mit Präsident Bolsonaro.© Deutschlandradio / Thomas Milz
Genau wie Präsident Bolsonaro setzt sich der Agrarlobbyist für eine wachsende wirtschaftliche Ausbeutung Amazoniens ein. Damit ist er in Acre nicht alleine. Nach über 20 Jahren unter einer linken, dem Umweltschutz verpflichteten Regierung der linken Arbeiterpartei PT bekam Bolsonaro bei den Wahlen 2018 in Acre 75 Prozent der Stimmen - sein landesweit bestes Ergebnis. Und auch die Landesregierung wird heute von Vertretern des Agrar-Business gestellt. Es scheint, dass die Menschen hier genug vom Umweltschutz haben.
"Wir brauchen ein Projekt, wie wir Amazonien wirtschaftlich erschließen können. Denn wir dürfen nicht auf ewig zu Armut verdammt sein. Hier muss die Regierung aktiv werden und politische Entscheidungen treffen, um die Region zu entwickeln. Und hören Sie mir bitte mit dieser alten Leier auf, dass der intakte Wald mehr wert ist als die gerodete Fläche. Heute ist eine gerodete Fläche 12.000 bis 15.000 Reais pro Hektar wert, und der intakte Wald nur 1000 Reais pro Hektar."

Bolsonaro sieht sich als Umweltschützer

Abholzung und Brände gehen Hand in Hand. Erst wird der Wald per Motorsägen oder mit Traktoren niedergerissen. Dann lässt man das Holz über Wochen und Monate liegen und trocknen, um es dann im amazonischen Sommer abzufackeln. Zwischen Juli und Oktober brennen dann an Tausenden von Stellen in dem sechs Millionen Quadratkilometer großen Amazonasgebiet die Wälder.
Gut zwei Drittel dieses riesigen Gebiets gehören zu Brasilien. Damit ist die Naturzerstörung ein innerbrasilianisches Problem, hatte Präsident Bolsonaro bereits vor einem Jahr der ausländischen Presse gegenüber klargemacht:
"Erst einmal müssen Sie verstehen, dass Amazonien Brasilien gehört, und nicht euch. Und ich sage Ihnen noch einmal: Wir schützen mehr als jedes andere Land der Welt, und deshalb hat kein anderes Land die Moral und das Recht, über Amazonien zu reden. Denn ihr habt eure Ökosysteme ja schon zerstört, wir werden das aber nicht so machen. Trotzdem verlangen stets alle etwas von uns. Deutschland zum Beispiel: Ihr erzeugt mit fossilen Brennstoffen eure Energie, mit Kohle. Wir hier benutzen praktisch keine Kohle. Wir sind ein Vorbild für euch."
Bolsonaro will Musterknabe in Sachen Umwelt sein - wie passt das zusammen mit den Bildern brennender Wälder und Savannen, die derzeit um die Welt gehen? Zumal die Daten zur Abholzung und den Bränden von der Regierungsbehörde Inpe stammen. Bolsonaro glaubt jedoch, dass das staatliche Klimainstitut die Zahlen aufbläst, um ihm und seiner Regierung zu schaden. Bolsonaro vermutete gar ausländische NGOs hinter der Aktion.
Sein Vize, General Hamilton Mourao: "Da gibt es jemanden in Inpe, der gegen die Regierung arbeitet. Wenn es negative Zahlen gibt, veröffentlicht dieser Kerl sie. Aber wenn sie für uns positiv sind, verheimlicht er sie."

Das Budget der Umweltbehörden wird immer weiter gekürzt

Derzeit plant die Regierung, in Amazonien Klarheit in die undurchsichtigen Besitzverhältnisse zu bringen. Doch die geplante Legalisierung der Ländereien stößt auf Widerstand bei Umweltschützern und indigenen Völkern. Denn sie käme einer Amnestie für Landraub gleich. Auf einen Schlag wären Flächen, die in Naturschutzgebieten, indigenen Reservaten oder in Gebieten des Bundes illegal besetzt wurden, plötzlich legal.
Im vergangenen Jahr hatte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch einen Bericht veröffentlicht, der die kriminellen Seilschaften zwischen Unternehmen, Politik und den Behörden aufzeigt, die die Vernichtung des Amazonaswaldes vorantreiben.
Cesar Munoz von Human Rights Watch: "Unsere Untersuchung zeigt, dass die Abholzung in Amazonien und die Brände hauptsächlich durch kriminelle Banden durchgeführt werden, die nicht nur die Umwelt zerstören, sondern sich auch Gewalt bedienen und jeden einschüchtern, der sich ihnen in den Weg stellt. Das schließt auch Beamte der brasilianischen Umweltbehörden ein, Polizisten, indigene Völker und Landwirte, also Bewohner der Gebiete, die mitansehen müssen, wie das Gebiet zerstört wird. Und nichts dagegen tun können."
Ein beladener Holztransporter fährt auf einer Straße im Bundesstaat Acre
Abgeholzte Bäume: ein Transporter im Bundesstaat Acre im Westen Brasiliens© Deutschlandradio / Thomas Milz
Seit Mai sind 4000 Soldaten in die Amazonasregion abkommandiert, um gegen die Abholzung und die Brände vorzugehen. Auch soll Goldsuchern, der Holzmafia und illegalen Wilddieben Einhalt geboten werden. Viel bewirkt haben sie bisher jedoch nicht. Wohl auch deshalb, weil die Regierung gleichzeitig den Umweltbehörden Ibama und ICMBio die Budgets gekürzt und ihre Kompetenzen eingeschränkt hat - damit das Agro-Business freie Hand in Amazonien hat, wie Umweltschützer vermuten.

Die EU kann Bedingungen für ein Abkommen stellen

Deshalb soll die Europäische Union das mit dem Mercosur-Block ausgehandelte Handelsabkommen nutzen, um Brasilien zum Umweltschutz zu verpflichten, fordert Maria Laura Canineu von Human Rights Watch Brasilien.
"Wir haben dokumentiert, dass die Abholzung in Amazonien zu einem großen Teil von kriminellen Gruppen durchgeführt wird", sagt sie. "Deshalb sollte Europa als erstes Kriterium vorgeben, dass die Straffreiheit bei der Abholzung aufhören muss. Als zweites Kriterium sollte die effektive Reduzierung der Abholzungsraten sein, sodass Brasilien auch wieder seine in Paris gemachten Versprechen erfüllen kann."

In der EU regt sich Widerstand gegen das Abkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Eigentlich sollte es noch während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ratifiziert werden, aber allein in Deutschland fordern 60 Organisationen einen Stopp des Abkommens. Grund dafür ist insbesondere die derzeitige Politik in Brasilien. "Es darf kein Handelsabkommen mit Bolsonaro geben", meint auch Sven Hilbig, Referent für Handel bei Brot für die Welt.


Im Dezember 2015 in Paris hatte sich die damalige brasilianische Regierung im Rahmen des Klimaschutzabkommens dazu verpflichtet, die Abholzung langfristig auf null zu senken. Doch die aktuelle Regierung von Jair Messias Bolsonaro scheint nicht an einer Umsetzung interessiert, misstraut sie doch internationalen Gremien. Bolsonaro will sich in Amazonien nicht durch internationale Verträge binden lassen.
"Bolsonaro hat bisher keinerlei Interesse gezeigt, irgendwelche Verpflichtungen einzuhalten. Ganz im Gegenteil. Alle wissen ja, dass er jedwede Möglichkeit zerstört, dass Brasilien diese Versprechen einlösen könnte. Seit dem vergangenen Jahr schwächt er die Umweltbehörden, wie Ibama, das eigentlich gegen die Umweltzerstörung ankämpfen sollte und für die Kontrolle verantwortlich ist. Er hat das System der Bußgelder ausgehebelt, was die Straffreiheit weiter ausweitet. Deshalb denken wir über das Handelsabkommen, dass Europa ein klares Signal schicken sollte. Sie sollten Bolsonaro kategorisch sagen, dass die Ratifizierung nicht erfolgt, solange die Regierung nicht zeigt, dass sie bereit ist, die Umweltschutzversprechen auch einzuhalten."

Der Blick richtet sich nach China

Ratifizieren oder nicht - auch unter brasilianischen Umweltaktivisten und Wirtschaftsexperten ist man sich nicht einig. Nachdem ausländische Investoren der Regierung gedroht hatten, Gelder abzuziehen, drängen nun auch brasilianische Unternehmen die Regierung, auf Brasiliens Image im Ausland und auf die Exportchancen brasilianischer Produkte Rücksicht zu nehmen.
Der deutsch-brasilianische Politikwissenschaftler Oliver Stuenkel von der Universität Fundacao Getulio Vargas in Sao Paulo warnt jedoch vor zu großen Hoffnungen, Bolsonaro beeinflussen zu können.
"Der Einfluss anderer Länder auf Bolsonaro ist gar nicht so groß, wie man sich das vorstellt", sagt er. "Deutschland und Norwegen haben ja zum Beispiel den Amazonas-Fonds suspendiert. Im Moment hält die brasilianische Regierung kein Geld, um den Wald zu schützen. Weil sie einfach nicht genug getan haben und die Programme nicht gut genug umgesetzt hat. Dazu muss man auch sagen, dass die internationale Kritik für Bolsonaro politisch gesehen sogar sinnvoll ist. Als im letzten Jahr der französische Präsident Macron den brasilianischen Präsidenten scharf angegriffen hat auf den sozialen Medien, konnte Bolsonaro das politisch intern sehr gut nutzen: Weil er oft erzählt, dass die Europäer eigentlich nicht auf Umweltschutz aus sind, sondern Brasiliens Souveränität im Amazonas schwächen wollen."
Rinder stehen auf einer Viehweide
Viehweide im Westen Brasiliens: An Märkten wird es nicht mangeln, glauben Brasiliens Agrarproduzenten. © Deutschlandradio / Thomas Milz
Doch wie wichtig ist Europa überhaupt noch für die brasilianische Landwirtschaft? Die Stimmen in Brasilien, die lieber nach China exportieren wollen, werden lauter. Auch Assuero Veronez, der mächtige Agrar-Lobbyist in Acre, macht sich da so seine Gedanken.
"Europa ist wichtig, und das Mercosul-Abkommen ist wichtig", sagt er. "Aber wir werden auch nicht sterben, wenn es nicht zustande kommt. Die Weltmärkte werden größer, die Bevölkerung wächst, und der asiatische Markt ist sehr hungrig nach Commodities und wächst immer weiter. Deshalb glauben Brasiliens Produzenten, dass es nicht an Märkten mangeln wird. Zudem die Preise für Fleisch und Soja gerade sehr hoch sind. Auch wenn Europa als Absatzmarkt wegfällt, würde das nicht so viel ausmachen. Wir würden weiter produzieren, und es würde genug Käufer geben. So denkt man hier - ob das dann auch so eintrifft, weiß ich natürlich nicht."
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