Deutschland

Eine Reise durch den Waldbrandsommer

29:14 Minuten
Verkohlte Baumstämme in einem Mischwald.
Eine weggeworfene Zigarette, die noch nicht erloschen ist, Glutreste einer unbedachten Grillparty, solche Dinge reichen – und ein Waldbrand entsteht. © Marius Elfering
Von Marius Elfering · 20.09.2022
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Ob in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg oder Sachsen – im gesamten Bundesgebiet wüteten 2022 teils großflächige Waldbrände. Fest steht: Deutschland muss hinzulernen bei der Feuerbekämpfung. Es geht um Wissen, Vernetzung und Ausrüstung.
Wenn die richtigen Faktoren aufeinandertreffen, dann geht alles ganz schnell. Und in einer Welt, in welcher der Klimawandel immer weiter voranschreitet, treffen diese Faktoren häufig aufeinander.
Zuerst ist da der Boden: ausgetrocknet durch den wenigen Regen, durch den heißen Sommer. Gräser, trockene Ästchen, Nadelstreu. Material, das gut brennt.
Unter den passenden Bedingungen entzündet sich das Material bei etwa 300 Grad Celsius. Eine weggeworfene Zigarette, die noch nicht erloschen ist. Glutreste einer unbedachten Grillparty, die noch heiß sind. Diese Dinge reichen – und ein Bodenfeuer entsteht.
Mit einer Flammenlänge von bis zu zwei Metern und einer Geschwindigkeit von bis zu 1200 Metern pro Stunde frisst sich das Bodenfeuer, das etwa 75 Prozent aller Waldbrände ausmacht, durch den Wald. Und wenn der Wind bläst, das Feuer sich über die sogenannten „Feuerleitern“ in die oberen Bereiche der Bäume vorarbeitet und niemand kommt, der löscht, fangen auch die Baumkronen an zu brennen. Das Vollfeuer entsteht.

Kampf unter schwierigen Bedingungen

Im Wald beginnt ein Kampf. Die Feuerwehr, die Waldbesitzer, die Forstbetriebe, die Anwohner: Sie stehen den Flammen gegenüber. Während das Feuer sich seinen Weg sucht, versuchen sie diese Wege abzuschneiden und den Brand zu löschen. Und genau dieser Kampf wird immer häufiger ausgefochten, in immer größerem Maße, unter schwierigeren Bedingungen. So wie im Sommer 2022, in Deutschland.
„Und zwar melden unsere Kameras eine Rauchentwicklung im Bereich der 1-Alpha, ist euch da was bekannt? Alles klar, ich würde dann einmal schnell die Bilder und Peilung rüberschicken.“
„Kannten die das?“
„Ist eine Erstmeldung.“
In Lüneburg meldet Noah Kapell der Feuerwehr einen Brand. Mal wieder. An diesem Tag werden, wie den ganzen Sommer über, noch einige hinzukommen. In der Waldbrandzentrale in Lüneburg reiht sich Bildschirm an Bildschirm. Auf ihnen zu sehen sind Karten, Linien, Zahlen oder auch Kamerabilder. An diesem Morgen sitzen vier Menschen an ihren Schreibtischen und klicken sich durch aktuelle Warnmeldungen, die das System ihnen ausspielt. Auf manchen Bildern, die sie sich ansehen, sind nur Wolken oder aufgewirbelter Staub zu sehen, dann klicken sie weiter – bis sie wieder einmal fündig werden und die Feuerwehr vor Ort benachrichtigen.

Weltraumforschung gegen Waldbrände

An einem der Schreibtische sitzt Helmut Beuke, ein Mann in heller Weste und grauem Hemd. Er leitet die Waldbrandzentrale in Lüneburg.
„Diese Kameras, Sensoren, die sind montiert auf hohen Bauwerken. Das sind bei uns in aller Regel Mobilfunkmasten. Und diese Kameras sind eben auf der Spitze von diesem Bauwerk, im Idealfall, drehen sich dort im Kreis und bleiben alle zehn Grad stehen, machen drei Schwarz-Weiß-Fotos und vergleichen die miteinander. Und wenn dann bei den Grauwerten oder bei den Fotos insgesamt Unterschiede zwischen diesen drei Bildern entdeckt werden, wird hierher eine Meldung abgesetzt, und wenn wir sagen, ‚Das ist Rauch‘, dann wird die nächstgelegene Einsatzleitstelle der Feuerwehr oder die Bundeswehrfeuerwehr alarmiert, und die wiederum schicken dann die Löschkräfte los.“
Dadurch, dass Helmut Beuke und sein Team darauf achten, dass die Verdachtsfälle von mindestens zwei Kameras aus zu sehen sind, können sie durch eine sogenannte „Kreuzpeilung“ den genauen Standort ermitteln. Insgesamt überwachen sie hier eine Fläche von einer Million Hektar. Und dabei nutzen sie nicht irgendwelche Kameras, nicht irgendwelche Systeme, sondern haben sich die Raumforschung zu Nutzen gemacht.
„Das sind Sensoren, die kommen ursprünglich aus der Weltraumforschung, sind mal entwickelt worden für die Weltraummission Rosetta. Rosetta war ein Flugkörper, ein Raumfahrzeug, was einen Kometen angesteuert hat. Und dieser Komet sollte untersucht werden hinsichtlich verschiedener anderer Sachen. Und dafür benutzt man Schwarz-Weiß-Sensoren oder Kameras, mit sehr viel Auflösungsvermögen für den Bereich Schwarz-Weiß. Wir können damit über 16.000 Grauwerte unterscheiden. Und diese Technik macht man sich zunutze, um hier auf der Erde auch nach Abweichungen bei verschiedenen Grauwerten zu suchen. Und das kann zum Beispiel sein: Rauch. Rauch ist nichts anderes als ein Grauwert in der Landschaft, den können wir detektieren mit dieser Technik, die ursprünglich aus der Weltraumforschung kommt.“

Verbesserung der Länderzusammenarbeit

Mehrere Bundesländer in Deutschland setzen inzwischen auf solche Waldbrandzentralen, wie hier in Lüneburg. Helmut Beuke startete bereits 2008 mit dem Aufbau. Das hier sei eine Präventionsmaßnahme, meint er. Er und seine Kolleginnen und Kollegen hätten die Aufgabe, die Brände zu finden und zu melden, bevor sie den Wäldern wirklich gefährlich werden könnten. Und sie arbeiten auch an einer verstärkten Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern.
„Wir werden das Ende des Jahres, denke ich, flächendeckend so weit abgeschlossen haben, dass die vier Bundesländer, die ja relativ nah zusammenliegen, das ist also Niedersachsen, Mecklenburg, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, dass wir gemeinsam das System hier bedienen und auch pflegen können und damit dann auch in der Länderzusammenarbeit insgesamt besser werden, als wir das nur im einzelnen Land machen.“
Während Helmut Beuke spricht, entdecken die anderen hier immer wieder neue Stellen, zu denen die Feuerwehr ausrücken muss, um sich die Sache näher anzusehen.
„Waldbrandzentrale Lüneburg, Kapell. Ja, genau. Schick ich euch rüber. Ist schon bekannt, was brennt? Alles klar, ich schicke dann erst mal die Peilung rüber … Ist noch unbekannt, was brennt, aber wurde schon gemeldet.“
Helmut Beuke merkt, dass sich etwas ändert in Deutschland. Das war für ihn in den vergangenen Jahren schon spürbar. Doch das Jahr 2022 markiert den bisherigen Höhepunkt einer ebenso schwierigen wie auch traurigen Entwicklung.
„Das ist für uns ein Extremjahr, wie wir das noch nicht erlebt haben. Und ich bin seit jetzt 14 Jahren hier in der Zentrale. Das erste richtig extreme Jahr war 2018, danach 2019/20, die waren auch schon schlimm, aber 2022 wird alle Rekorde brechen.“

Waldbrandbekämpfung in Deutschland verbessern

In einem großen Konferenzsaal in Bonn sitzt Alexander Held, ein Mann mit kurz geschorenen Haaren, Vollbart und kurzer Hose. Der Forstwissenschaftler beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Feuerverhalten und Waldbränden, hat unter anderem in Europa und Südafrika zu dem Thema gearbeitet und ist heute Teil des European Forest Institutes in Bonn. Eines seiner Kernthemen stellt die Frage in den Raum: Wie könnte eine bessere Waldbrandbekämpfung in Deutschland aussehen?
„Wenn wir es runterbrechen, müssen wir uns bewusst machen: Feuerverhalten resultiert aus dem Zusammenwirken von Topografie, Wetter und Brennmaterial. Also, Topografie relativ einfach zu erklären: Ein Feuer brennt bergauf anders als bergab. Ein Feuer an einem Südhang oder Süd-Westhang, wo den ganzen Tag die Sonne rein scheint, brennt anders als eines an einem Nordhang, wo keine Sonne rein scheint. Also, es hat was mit der Exposition der Landschaft zu tun“, erklärt er.
„Brennmaterial: Wie viel Brennmaterial, also Brennmaterialmenge, Brennmaterialart, was für einen Typ von Brennmaterial habe ich da? Ein Weizenfeld oder einen Buchenwald? Oder eine Mischung? Wie verändert sich dieses Brennmaterial im Laufe des Feuers? Welche Struktur hat dieses Brennmaterial? Also die Menge, die Struktur und die Art. Und dann kommt das Wetter dazu und da hauptsächlich der Wind. Also aus welcher Richtung und wie schnell? Dann kommt dazu Sonneneinstrahlung, Lufttemperatur und Luftfeuchte.“
Alexander Held steht auf einem Waldweg.
Der Forstwissenschaftler Alexander Held beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Feuerverhalten und Waldbränden.© Marius Elfering
Viele Faktoren beeinflussen die Entwicklung von Feuer. Aber es sind nicht nur diese äußeren Einflüsse, die entscheiden, wie schnell ein Feuer gelöscht ist. In Deutschland würde der große Fehler gemacht, Waldbrände häufig nicht als die Katastrophensituationen anzusehen, die sie sind. Und die uns in den kommenden Jahren immer wieder begleiten werden.
„Wir bauen zum Beispiel ja keine Häuser mehr in Überflutungsgebiete, keine Neubaugebiete. Aber wir bauen sehr wohl Neubaugebiete in den grünen Wald in Brandenburg. Ohne dass in diesen Bauplänen ein Konzept wirklich drin ist, wie wir mit dem Risiko Feuer umgehen.“

Spezialeinheiten könnten helfen

Eines der zentralen Probleme, meint Alexander Held, bestehe darin, dass sich die Feuerwehren in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten nur selten mit so großen Waldbränden wie in diesem Jahr auseinandersetzen mussten. Laut der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände verbrannten 2022 allein bis Mitte August fast 4300 Hektar Wald, bei Großbränden von mindestens 30 Hektar. Schaut man sich den Durchschnittswert pro Jahr seit 1991 an, hat sich dieser mehr als verfünffacht. Für die Einsatzkräfte ist dies natürlich eine enorme Herausforderung.
„Die sind ausgebildet für alle Eventualitäten. Vom Kellerbrand über Chemieunfall, Autounfall, Überflutung, Katzen retten aus dem Baum, die machen alles. Und eine spezielle Waldbrandausbildung, die ja jetzt fast schon reingeht in eine forstwirtschaftliche Ausbildung, die war bisher nicht nötig oder sehr selten nötig. Und natürlich im Schwerpunkt sehr, sehr selten ist es vorgekommen, dass wir das gebraucht haben für die Feuerwehrleute. Und jetzt stehen natürlich Einsatzkräfte vor Feuern, wenn es ein kleiner Brand ist, dann funktioniert es trotzdem, weil wir einfach genügend Ressourcen haben. Jetzt haben wir aber doch einige Brände dieses Jahr gesehen, die erstens so groß sind, sich so schnell ausbreiten und so ein Feuerverhalten zeigen, wo viele davorstanden, also auch erfahrene Kameraden, mit denen wir gesprochen haben, die gesagt haben: ‚So was habe ich noch nie gesehen.‘“
Die Durchsetzung einer nationalen Waldbrandstrategie sei in Deutschland aufgrund des föderalen Systems schwierig, meint Alexander Held. Aber auch innerhalb der Bundesländer fehle es häufig an organisiertem und geplantem Vorgehen.
Einer von vielen Schritten, meint er, könne es sein, speziell ausgebildete Teams zu etablieren, die in den jeweiligen Bundesländern oder auch deutschlandweit bei großen Waldbränden vor Ort unterstützen könnten. Im Grunde Sondereinsatzkommandos, die aus Waldbrandexperten bestehen.
„In Amerika gibt es für Waldbrände, die eine gewisse Größe und Komplexität überschreiten, sogenannte ‚Incident Management Teams‘. Und es ist eine Gruppe, ein Team von Leuten, die erfahrener sind, qualifizierter sind, kompetenter sind. Und dann kann man mit solchen, ‚Sondereinsatzkommandos* ist vielleicht ein bisschen martialisch formuliert, aber mit solchen ‚Incident Management Teams‘ wieder ein bisschen Ordnung reinbringen und Situationen, die die lokalen Einsatzkräfte tatsächlich, wegen der Dimension, überfordern, besser koordinieren.“

Aufmerksame Bürgerinnen und Bürger gefragt

„Ja, genau, im Zweifel, ja, Geruch wäre jetzt für mich noch nicht so konkret, aber wenn ihr … Ja, genau, dann ruft im Zweifelsfall an. Die 112, genau. Jaja, guckt mal, ob ihr es lokalisieren könnt irgendwas, und ansonsten ruft ihr halt an. Und dann, klar, dann rollt halt die Maschinerie.“
Im Hardtwald, einem Wald ganz in der Nähe von Karlsruhe, fährt Lukas Stange, ein hagerer Mann mit schwarz gerahmter Brille, einen staubigen Weg entlang. Immer wieder orientiert er sich mithilfe des GPS in seiner Umgebung, biegt mal links, dann mal rechts ab. Lukas Stange ist hier im Hardtwald der Waldbrandschutzbeauftragte für die Forst BW, den größten Forstbetrieb des Landes Baden-Württemberg. Außerdem ist er bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv. Lukas Stange ist auf dem Weg zu der Stelle, die ihn und viele andere hier am Tag zuvor massiv gefordert hat. Im Hardtwald hat es gebrannt. Das Feuer ist mittlerweile gelöscht, doch beruhigt sind die Einsatzkräfte hier in diesen Tagen dennoch nicht. Die Polizei ermittelt wegen Brandstiftung. Es gab weitere Brände, ein wenig, scheint es, als lege jemand gezielt Feuer. Auch an diesem Tag erreicht Lukas Stange wieder ein Anruf.
Lukas Stange steht in einem Waldstück inmitten verkohlter Baumststämme.
Lukas Stange ist im Hardtwald der Waldbrandschutzbeauftragte für den größten Forstbetrieb des Landes Baden-Württemberg. Außerdem ist er bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv.© Marius Elfering
„Ja, das ist jetzt ganz spannend. Jetzt habe ich gerade von einem Kollegen, der das Revier Waldstadt hat, der Forstrevierleiter, habe ich den Anruf bekommen, dass er Rauch wahrnimmt im Wald. Oder den Geruch von Rauch und Feuer in der Nase hat. Dem wird jetzt nachgegangen und im Zweifel muss auf jeden Fall, auch so, wie es jeder aufmerksame Bürger, jede aufmerksame Bürgerin machen sollte, im Zweifelsfall, wenn sie irgendwo Rauch wahrnehmen, dann sollten sie auf jeden Fall die Feuerwehr rufen.“
Lukas Stange hält am Wegrand und läuft in den Wald hinein. Vorbei an verkohlten Ästen, die auf dem Boden liegen. Vor wenigen Stunden erst, haben sie das Feuer gelöscht. Auch er war die ganze Zeit im Einsatz. Rund 5000 Quadratmeter Wald brannten hier.
„Das war ein Bodenfeuer, kein Kronenfeuer und die Flammenlängen waren immer 20 bis 30 Zentimeter, genau.“
Besonders Nadelholz-Monokulturen gelten in Deutschland als ein Waldbrandrisiko. Das ist der Hardtwald nicht. Stattdessen führte die Trockenheit im Sommer 2022 dazu, dass viele der Bäume im Hardtwald schon früh Blätter abwarfen – Material, das sich besonders schnell entzündet. Auch der eher sandige Boden ist ein Problem, da er Wasser nicht so gut speichert.

Zusammenarbeit von Forstwirten und Feuerwehr

Lukas Stange geht einige Schritte weiter. Wellenförmig zieht sich die Brandschneise durch den Wald. Wie ein frisch geteerter, schwarzer Straßenbelag, an dessen Rändern Bäume stehen, die zwar völlig trocken sind, aber kein Feuer gefangen haben.
„Wir hatten quasi keinen Wind, es war nahezu windstill. Ansonsten kann man sagen: Es gibt immer eine Richtung, in die sich das Feuer bewegt. Wenn es windstill ist, dann frisst es sich dort entlang, wo der Untergrund am besten, wo das Brennmaterial das beste ist. Wir sehen hier jetzt auch einzelne Placken, wo die Fichten zum Beispiel oben drüberstehen. Wir haben auch die Äste unten weggesägt. Aber da war einfach die Luftfeuchtigkeit oder die Bodenfeuchtigkeit auch zu hoch und dort hat es dann überhaupt nicht brennen können. Und sie sehen es: Es hat hier um den Baum außen rum gebrannt. Also das Feuer sucht sich dann den einfachsten Weg, wo es gut brennen kann.“
Direkt neben der gelöschten Brandstelle steht, mitten auf dem Waldweg, ein dicker gelber Plastiksack. Aus einem Anschluss, der in den Sack eingelassen ist, tropft etwas Wasser heraus.
Eine sogenannte Wasserblase steht in einem Wald.
Mithilfe sogenannter Wasserblasen können Forstwirte Löschrücksäcke betanken, um noch vorhandene Glutnester zu löschen.© Marius Elfering
„Eine Wasserblase nennt man das. Da sind circa 700 Liter Wasser drin. Diese Wasserblase wurde von der Feuerwehr hier gefüllt. Wir vom Forst haben keine Löschfahrzeuge, aber die Aufgabe der Forstwirte war es jetzt hier, dass man eben die Nachkontrollen unternimmt in bestimmten Taktungen. Also heute Morgen, dann heute Mittag noch mal. Dass man eben hier nachschaut, ob sich vielleicht noch mal einzelne Glutnester irgendwo gehalten haben oder doch noch mal Feuer da ist. Einfach um hier sicherzugehen, auf Nummer sicher. Und deshalb hat man sich hier ein Wasserreservoir aufgestellt und kann dann hier seine Löschrucksäcke beispielsweise betanken und dann noch mal auf die Fläche gehen.“

Standardausrüstung verbessern

Lukas Stange steigt zurück in sein Auto. Nach wenigen Minuten, die er tiefer in den Wald fährt, taucht eine größere Kreuzung auf, an der einige Autos abgestellt sind und mehrere Männer stehen. Einer von ihnen ist Alexander Held vom European Forest Institute in Bonn.
Alexander Held läuft mit einem laut dröhnenden Laubbläser einen Waldweg entlang. Blätter und Staub wirbeln vor ihm in die Luft. In wenigen Stunden wird Baden-Württembergs Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Peter Hauk hier eintreffen. Alexander Held, der Forstbetrieb und die Feuerwehr wollen dann demonstrieren, wie moderne Waldbrandbekämpfung funktionieren kann. Eines der Geräte, die dabei hilfreich sein können, ist eben jener Laubbläser, mit dem Alexander Held den Weg abläuft.
Alexander Held trägt auf seinem Rücken einen Laubbläser.
Moderne Waldbrandbekämpfung: Alexander Held mit einem Laubbläser.© Marius Elfering
„Der Laubbläser ist bei uns in Deutschland noch unbekannt als Feuerbekämpfungswerkzeug. In anderen Teilen der Welt ist der Laubbläser Standardausrüstung. Und wir haben das vor ungefähr zehn Jahren auch eingeführt in Großbritannien. Da gehört heute der Laubbläser in der Waldbrandsaison tatsächlich zur Standardbeladung der Feuerwehr. Weil mit einem leistungsfähigen rückentragbaren Blasgerät kann man nicht nur Feuer ausblasen, im wahrsten Sinne des Wortes, also den Flammenabriss hinkriegen, sondern man kann auch und das wollte ich hier eben zeigen, wenn es der Untergrund hergibt, Brennmaterial vor dem Feuer entfernen und eine Schneise blasen.“
Im Mai 2020 starteten Alexander Held und andere das Projekt „Waldbrand-Klima-Resilienz“. Hierbei geht es vor allem darum, Wissenslücken in der Waldbrandbekämpfung zu schließen und Erfahrungen in diesem Bereich an unterschiedliche Gruppen weiterzugeben. Ein wichtiger Baustein des Projekts ist die intensive Zusammenarbeit zwischen der Feuerwehr und den Forstbetrieben. Wenn diese bei der Prävention und Bekämpfung von Waldbränden besser zusammenarbeiten und verstehen, welche Expertise die jeweils andere Seite mitbringt, so der Leitgedanke, wird die Gefahr durch die Feuer beherrschbarer. Im Hardtwald wurde zu diesem Zweck eine Demonstrationsfläche angelegt.
„Wenn man so Modelle hat, wie hier jetzt in der Modellregion in Baden-Württemberg, das hat man jetzt gestern in dem Brand wunderbar gesehen … Die Feuerwehr ist relativ offen, um zu sagen: ‚Gut, dann probieren wir eben auch die Handwerkszeuge aus, und dann probieren wir auch die Schneise aus und die Mulchraupe aus.‘ Und wenn das dann funktioniert, so wie gestern, dann ist die Feuerwehr sehr, sehr offen, diese neuen Dinge auch auszuprobieren.“

Erfahrung und Ausbildung fehlen

Es sind Geräte wie der Laubbläser, eine Mulchraupe, aber auch einfache Hacken, die Alexander Held mitgebracht hat. Oder auch ein Geländewagen, der sich durch eine aufsetzbare Konstruktion für die Ladefläche im Sommer zu einem kleinen Einsatzfahrzeug aufrüsten lässt, um an einer Brandstelle schnell eingreifen zu können, während die Forstbetriebe den Wagen im Winter als normale Autos nutzen können. Viel zu selten würden solche Hilfsmittel genutzt, findet Alexander Held.
„Die Erfahrung fehlt, die Ausbildung fehlt. Insofern ist es toll, wenn sich jetzt so Fachberater bilden, die dann mit der Einsatzleitung in beratender Funktion zusammen zu Entscheidungen kommen, neue Taktiken probieren, neue Ausrüstung probieren, und dann ist die Offenheit von allen Beteiligten da.“
Die Bekämpfung von Waldbränden ist ein Handwerk, so sieht er es. Und in Deutschland, einem Land, für das riesige Waldbrände, wie in diesem Jahr, eher ein neues Phänomen sind, muss dieses Handwerk erst gelernt werden.
„Was schwieriger noch ist, als jetzt die Feuerwehr sozusagen zu überzeugen, mal was anders zu machen, ist, die anderen Akteure in das Bewusstsein zu kriegen, dass sie auch Verantwortung haben für einen Waldbrand. Also wir müssen ganz klar sagen: Wenn wir uns auf die bequeme Position zurückziehen: Wenn es brennt, rufen wir die Feuerwehr, und die löst das Problem dann, dann ist es der Feuerwehr gegenüber äußerst unfair. Weil sie immer dann vor dem Problem stehen: Sie doktern am Symptom herum. Und insofern müssen wir stark daran arbeiten, dass Agrar, Forst, Umwelt, Tourismus, räumliche Planung, Umweltbildung, dass all diese Akteure in die gleiche Richtung arbeiten, damit wir zu einer, ist so ein dummes Schlagwort mittlerweile, resilienten Landschaft kommen, zu einer resilienteren Gesellschaft, die tatsächlich damit lernt zu leben, dass wir in Zukunft mehr Feuer haben werden. Und dann kann die Feuerwehr ihren Job besser und sicherer und effektiver machen.“
Nicht nur Alexander Held fordert eine verzahnte Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure. Auch politisch scheint sich in diesem Sommer etwas zu tun. Im August 2022 stellt das Land Nordrhein-Westfalen ein Waldbrandschutzkonzept vor, in dem es einen besonderen Fokus auf die „verstärkte Zusammenarbeit der Forstverwaltung mit den Feuerwehren“ legt.
Eine Drohne für das Waldbrandmonitoring hinter Absperrband.
Drohnen werden für das Waldbrandmonitoring aus der Luft benutzt.© Marius Elfering
Im Hardtwald und rund um Karlsruhe wird es in diesen Tagen gleich an mehreren Stellen brennen. Während Alexander Held und die anderen an diesem Tag dem Minister ihre Lösungsansätze für die Zukunft zeigen, vom Laubbläser über die Mulchraupe bis hin zur Drohne, die hier schon genutzt wird, um Brände aus der Luft zu beobachten, rücken wenige Kilometer entfernt die Einsatzkräfte aus, um die ausgebrochenen Brände zu löschen. Im August 2022 wird der Landkreis Karlsruhe, in dem der Hardtwald liegt, einer der Kreise sein, in dem es deutschlandweit am häufigsten zu Flächen- und Waldbränden gekommen ist. Die Polizei ermittelt weiter wegen Brandstiftung.

Deutschland wird zum Waldbrandland

Erfahrung ist bei der Bekämpfung von Waldbränden ein besonderes Gut. Deshalb geht der Blick bei der Suche nach Zukunftskonzepten immer wieder in Länder, die mehr Erfahrung bei der Bekämpfung von Waldbränden haben.
Juliane Baumann arbeitet als Beraterin mit dem Themenschwerpunkt „integrativer Waldbrandschutz“. Ihr Fokus liegt vor allem auf dem Bundesland Brandenburg. Und: Sie bringt einiges an internationaler Erfahrung dabei mit. Seit vielen Jahren unterstützt sie die katalanische Feuerwehr in Spanien bei Waldbränden. Auch im Jahr 2022 hat sie vor Ort bei der Waldbrandnachsorge geholfen. Sie kennt sich mit großen Waldbränden aus und weiß, was Deutschland international lernen kann.
„Was jetzt in Brandenburg, zum Beispiel, in diesem Jahr wirklich neu war, dass wir die Situation hatten, zwei, ja etwas größere Waldbrände, für die Verhältnisse hier in Brandenburg hatten, aber die praktisch beide gleichzeitig gebrannt haben. Und das war natürlich für die Feuerwehreinsatzkräfte eine große Herausforderung, gleich auf zwei Waldbränden gleichzeitig sozusagen im Einsatz zu sein. Und das ist überhaupt keine Seltenheit eigentlich. Also hier wurde das sehr empörend wahrgenommen, aber in Waldbrandländern ist das keine Seltenheit.“
Manchmal macht Juliane Baumann in Deutschland die Beobachtung, dass Waldbrandprävention vor allem aus der Anschaffung von schwerem Gerät besteht, beispielsweise dem Kauf von Hubschraubern. Das könne natürlich sinnvoll sein, meint sie, doch letztlich sei Waldbrandbekämpfung vor allem dann effektiv, wenn die Einsatzkräfte vor Ort viele Möglichkeiten der Reaktion auf ein Feuer hätten.
„Das fängt an bei der Bekleidung: Die Deutsche Feuerwehr geht immer noch mit sehr schwerer Bekleidung zu Waldbränden. Das hat immer das Problem, dass man irgendwann überhitzt. Man schafft nicht, mit so einer vollen Montur, länger als zwei Stunden auf einem Waldbrand zu sein. Und Kleidung, Wasser, das wird natürlich auch das nächste Problem. Ich war in Spanien noch nie auf einem Waldbrand, wo Löschwasser gefehlt hat. Und hier war 2018, als es in Fichtenwalde gebrannt hat die Feuerwehr eine fünf Kilometer lange Leitung bis zum nächsten See gelegt, weil kein Löschwasser vor Ort war. Und so was würde in Spanien, was ein mit Abstand viel trockeneres Land ist, nicht passieren.“

Blick nach Spanien kann helfen

Dass sich die Waldbrandbekämpfung ändern müsse, das merke man langsam auch in Deutschland, meint sie. Und sich international, zum Beispiel an Spanien, zu orientieren, könne sinnvoll sein.
„Es gibt halt diese Spezialeinheit, zum Beispiel die GRAF, die praktisch ausgebildet nur für Waldbrände sind und auch mit Gegenfeuer arbeiten, was sich auch lohnen würde in Brandenburg. Das wurde ja dieses Jahr auch das erste Mal praktisch umgesetzt.“
Beim „Gegenfeuer“ versuchen die Einsatzkräfte, Schneisen in den Wald zu schlagen und von dort aus gezielt Feuer zu legen, sodass sich der Waldbrand dann letztlich nicht weiter ausdehnen kann.
Neben all den großen und kleinen Maßnahmen, die besonders für die Feuerwehr relevant sind, ist Juliane Baumann aber eine Sache besonders wichtig.
„Worauf ich immer das Hauptaugenmerk lenke, ist auf den Bevölkerungsschutz. Es muss wirklich die Priorität für den Schutz der Bevölkerung da sein. Das ist in Deutschland noch nicht überall so angekommen. Waldbrandbekämpfung und Waldbrandschutz war vorher immer so eine Art von Naturschutz oder Waldschutz oder so was. Aber es war nicht klar, dass man damit praktisch auch die Bevölkerung schützt.“
Juliane Baumann erinnert sich an einen Waldbrand in Spanien, der diesen Gedanken verdeutlicht.
„Das Feuer dort war so intensiv und so massiv, dass teilweise wirklich gesagt worden ist: ‚Es wird überhaupt nicht mehr gelöscht, es wird nur noch evakuiert.‘ Und dann hat das Feuer praktisch so einfach vor sich hin gebrannt, ohne bekämpft zu werden, weil die Priorität da war, die Leute zu evakuieren. Und diese Priorisierung muss hier klar sein. Und zwar nicht nur in der aktiven Waldbrandbekämpfung, sondern eben auch in der präventiven Waldbrandbekämpfung.“

Neuausrichtung braucht Zeit

Die Neuausrichtung der Waldbrandbekämpfung in Deutschland wird Zeit brauchen. Doch niemand kann sagen, ob vielleicht schon das Jahr 2023 wieder besonders heiß und trocken werden wird. Die kommenden Monate, das denkt Juliane Baumann, müssten intensiv genutzt werden, um vor allem Wälder in der Nähe von Siedlungen auf diesen Fall vorzubereiten.
„Das kann man zum Beispiel durch eine räumliche Ordnung der brennbaren Masse im Wald schaffen. Und dafür eignet sich, im Übrigen eignen sich auch Kiefern dafür, Schutzstreifen zum Beispiel anzulegen, und da geht es darum dann, die Bäume weiter so aufzulichten und die Bodenvegetation zu reduzieren oder zu entnehmen. Und dann hat man schon einen großen Schutz, weil ein gefährliches Vollfeuer nur entstehen kann, wenn Bodenvegetation und ein Übergang, also durchgängig bis in die Kronen, vorhanden ist.“
In den kommenden Monaten wird Juliane Baumann genau hieran arbeiten. Gemeinsam mit der Stadt Beelitz, deren direkte Umgebung in den vergangenen Jahren von massiven Waldbränden betroffen war, erstellt sie nun einen Plan zur Prävention zukünftiger Feuer.
„Die Feuerwehrleitstelle Soltau.“
„Die Waldbrandzentrale Lüneburg. Wir haben eine unklare Rauchentwicklung vom Turm Schneverdingen, in süd-östlicher Richtung. Nähe der Ortschaft Freyersen. Ist da was bekannt?“
Blick in den Arbeitsraum der Waldbrandzentrale Lüneburg. Drei Personen sitzen vor Computern. Im Hintergrund eine digitale Karte an der Wand.
Das Team der Waldbrandzentrale Lüneburg meldet mögliche Brände an die Feuerwehren Niedersachsens.© Marius Elfering
In der Waldbrandzentrale in Lüneburg melden sie an diesem Tag im September weiter mögliche Brände an die Feuerwehren Niedersachsens. Ihre Einsatztage pro Waldbrandsaison haben sich in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. Die möglichen Brände, die sie melden, sogar vervierfacht.
So wie hier arbeiten Menschen in ganz Deutschland, von der Feuerwehr bis zur Forstwirtschaft, daran, Waldbrände zu verhindern oder möglichst schnell zu löschen. Und es ist eine Aufgabe, die bleiben wird. Deutschland wird zum Waldbrandland. Der Sommer 2022 ist nur der Auftakt. Sie alle wissen es.

Redaktion: Carsten Burtke
Regie: Frank Merfort
Technik: Hermann Leppich
Sprecherin: Nina West

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