Julya Rabinowich, geboren 1970 in St. Petersburg, lebt seit 1977 in Wien. Sie ist bildende Künstlerin, Autorin, Simultandolmetscherin, Kolumnistin in der österreichischen Tageszeitung "Der Standard". Für ihren Debütroman "Spaltkopf" (2008) erhielt sie u.a. den Rauriser Literaturpreis, das Buch wurde in mehrere Sprachen übersetzt. 2011 nahm Julya Rabinowich am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teil. Ihre Theaterstücke wurden an mehreren Bühnen aufgeführt, ihre Romane " Herznovelle" (2011, nominiert für den Prix du Livre Européen), "Die Erdfresserin" (2012) und "Krötenliebe" (2016) erschienen bei Deuticke. Für ihr bei Hanser 2016 publiziertes Buch "Dazwischen: Ich" erhielt Julya Rabinowich den österreichischen Jugendbuchpreis.
Theaterdonner mit Gefahrenpotenzial
Es ist nicht zu überhören: Der Ton in der deutschen Politik wird schärfer, denn am 24. September wählen die Deutschen. Ähnliches passiert in Österreich. Dort wird wenig später auch abgestimmt. Julya Rabinowich ist besorgt über den richtigen Wahlkampfton.
"Über allen Gipfeln ist Ruh. In der EU spüret man kaum einen Hauch." Wie gerne würde man dazu sagen können: "Warte nur, balde ruhest du auch." Aber nein, das Gegenteil ist vielmehr wahr. In der EU geht es rund. Es kracht im Gebälk.
Die einen schieben ihre Verpflichtung vor sich her wie einen Bauchladen voller leerer Versprechen. Den anderen droht gar ein Verfahren wegen durchaus erfolgversprechender Versuche, aus einem demokratischen Land eine funktionierende Diktatur samt Förderungsbezügen aus dem EU-Topf zu machen. Dritte wiederum werden geografisch bedingt Anlaufpunkt für Flüchtlinge und damit durchaus allein gelassen.
Laute Forderungen auf der Grundlage falscher Daten
Und dort, wo gerade Wahlkampf herrscht, verlaufen tektonische Erdbebenlinien, die ganz Europa erschüttern könnten. Derjenige, der die Mittelmeerroute von Österreich aus schließen möchte, will auch jüngster Kanzler werden: Sebastian Kurz, Mitglied der ÖVP, die sich als Europapartei bezeichnet, und derzeit noch Außen-und Integrationsminister.
In dieser Funktion gab er vor einiger Zeit eine wissenschaftliche Studie über islamische Kindergärten in Wien in Auftrag. Dass die Studie offenbar von Beamten seines Ministeriums entscheidend ins Negative verändert wurde, beschäftigt nun die Universität Wien. Es hielt Kurz dennoch nicht davon ab, die Schließung aller islamischer Kindergärten zu fordern.
Bevor man ins Grübeln geraten konnte, ob der Integrationsminister nicht doch meint, ein Segregationsministerium zu leiten, platzte die nächste Eskalation als ungebetener Gast auf die Bühne. Nicht genug der Spaltung nach innen - wer auffallen möchte, trägt dies im Wahlkampf auch gern nach außen, um zu Hause als einer, der auf den Tisch hauen kann, dazustehen.
Also ließ der österreichische Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil an seinem Vorhaben teilhaben, Panzer an den Brenner zu entsenden. Zwar wurde diese Provokation von Kanzler Christian Kern umgehend wieder abgeblasen, aber der Schaden war schon eingetreten: Italien reagierte mehr als konsterniert, samt Einberufung des österreichischen Botschafters in Rom.
Erst waren Panzer und dann Botschafter unterwegs
Nun herrscht dies- und jenseits der Brennergrenze angespanntes Warten. Auf was? Auf die finale Eskalation? Wie kann jemand, der Kanzlerwürden anstrebt, der gleichzeitig Außen-und Integrationsminister ist, das Trennende vor das Vereinende stellen? Ein Verteidigungsminister fröhlich vor sich hin eskalieren? Was will man denn international riskieren, um national vermeintliche Pluspunkte abzuräumen? Wo bleibt das einheitliche Vorgehen, wo das Zusammenhalten - also das, was die EU eigentlich ausmachen sollte? Und wo kommt dieses Projekt des Friedens hin, wenn sich einzelne Mitglieder wahlkampflüstern ihr Kriegsgerät gegenseitig vor die Nase schieben - und die faire Verteilung der Flüchtlinge noch immer nicht gewährleistet ist?
Der wahlkampfbedingte Theaterdonner könnte ganz realen Ärger bedeuten, den man so leicht nicht wieder in den Griff bekommt. Die Rast scheint noch weit.