Wahlen in Weißrussland

"Angststarre" liegt über dem Land

In Europa am längsten Staatsoberhaupt: Alexander Lukaschenko.
In Europa am längsten Staatsoberhaupt: Alexander Lukaschenko. © dpa / Belta
Von Sabine Adler · 08.10.2015
Am 11. Oktober finden in Weißrussland Präsidentschaftswahlen statt. Staatsoberhaupt Alexander Lukaschenko wird zum fünften Mal kandidieren – und vermutlich siegen. Seine Widersacher hat er kaltgestellt und die Opposition ist zerstritten, berichtet Sabine Adler.
Es klingt wie Wahlkampf, ist jedoch der Aufruf zum Boykott. Und Protest: Gegen Putins Absicht, einen Luftwaffenstützpunkt auf weißrussischem Territorium zu errichten. Mikalaj Statkewitsch hat ein paar hundert Anhänger mobilisiert. Bei der Wahl vor fünf Jahren war er der wichtigste Oppositionskandidat. Präsident Alexander Lukaschenko ließ ihn seitdem und bis vor kurzem im Gefängnis schmoren, so lange, dass er bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag nicht mehr antreten kann. Doch Mikalaj Statkewitsch macht dem Autokraten das Leben trotzdem schwer. Er hat ein wirklich heißes Eisen angepackt:
"Die Führung Russlands will auf dem Territorium Weißrusslands ihre Militärbasis errichten. Das erklärte sie, ohne das weißrussische Volk zu fragen. Eine russische Militärbasis auf unserem Territorium widerspricht unserer Verfassung, bedroht unsere Unabhängigkeit, zieht Weißrussland in Kämpfe mit europäischen Nachbarn, macht unser Land zu einem Aufmarschgebiet, zur Zielscheibe und gefährdet das Leben der Weißrussen. Für ein friedliches neutrales Weißrussland! Es lebe Weißrussland, nein zu fremden Militärstützpunkten!"
40 Prozent der Weißrussen lehnen russische Militärbasen in ihrem Land ab. Präsident Lukaschenko hat Wladimir Putins Ansinnen lange unbeantwortet gelassen, nun kurz vor der Wahl ließ Lukaschenko verlauten, dass über die Stationierung nichts entschieden sei. Der Kreml hingegen veröffentlichte schon am 18. September auf seiner Webseite, dass Putin eine Erklärung über einen russischen Luftwaffenstützpunkt in Weißrussland unterschrieben hat.
Die Protestdemonstration vom Sonntag dürfte ein juristisches Nachspiel haben. Vermutlich aber erst nach der Wahl. Lukaschenko gibt sich derzeit großzügig. Doch die Europäische Union wird er kaum beeindrucken. Anders als von Lukaschenko vielleicht angenommen, wurde nach der Freilassung der sechs politischen Gefangenen, unter ihnen Statkewitsch, die Aufhebung der Sanktionen gegen Vertreter des Regimes noch nicht mal in Erwägung gezogen.
Die Stimmung in der Bevölkerung
Einladend präsentieren die Händler ihr Obst und Gemüse in der Markthalle von Minsk. Doch an den Ständen kauft kaum jemand ein, zu teuer. In einer Ecke, dort wo die Ware direkt von einem LKW herunter und deutlich billiger angeboten wird, drängt sich die Kundschaft, größtenteils ärmlich gekleidet.
Ein Stück weiter diskutiert ein Grüppchen vor einem Wahlplakat, das die Oppositionskandidatin Tatjana Korotkewitsch zeigt.
"Lukaschenko ist der Garant, dass es hier niemals einen Maidan gibt! Wozu braucht es diese Frau? fragt eine Rentnerin. Ein junger Mann zischt die Rentnerin an: Wenn sie unter Lukaschenko alles so großartig finde, solle sie doch nach Russland gehen, da sei es noch besser. Ja das hätte sie sogar schon überlegt, gibt die Rentnerin zurück. Das ist doch interessant, dass eine Frau antritt, sagt eine deutlich jüngere Passantin. Endlich mal ein anderes Gesicht als das ewig gleiche, das man ständig im Fernsehen sieht. Endlich mal andere Ansichten."
Drei Zählkandidaten und eine zerstrittene Opposition
Auch wenn feststeht, dass am Sonntag Alexander Lukaschenko die meisten Stimmen holen wird, schlägt sich die einzige Oppositionskandidatin mit prognostizierten 17 Prozent der Stimmen weit besser als die anderen zwei Herausforderer. Doch alle sind sie reine Zählkandidaten. Tatjana Korotkewitsch, Psychologin und Chefin des Wahlkampfteams von Wladimir Neklajew, einem Oppositionskandidaten 2010, muss fast ohne Unterstützung auskommen, wird sogar von den früheren Mitstreitern diffamiert.
Die Opposition ist zerstritten, wozu auch die lange Haftzeit von Mikalaj Statkewitschs beigetragen hat. Statkewitsch darf nicht kandidieren, Wladimir Neklajew will nicht mehr, denn der Schriftsteller hat sich von der Parteipolitik ganz abgewendet. Er findet, dass sich nach Russlands Vorgehen in Syrien und in der Ukraine viele Fragen ganz neu, viel grundsätzlicher stellen.
"Ich habe der politischen Opposition den Rücken zugekehrt, denn die bringt keinerlei Resultate. Stattdessen baue ich jetzt eine Bewegung auf, die für die Souveränität und Unabhängigkeit Weißrusslands kämpft. Denn die ist in Gefahr. Weißrussland droht die Annexion. Wenn Lukaschenko von dieser Gefahr spricht, verweist er gern auf die Armee und den KGB, aber das ist keine weißrussische Armee und kein weißrussischer Geheimdienst, beides ist russisch."
Russland wird nicht als Aggressor wahrgenommen
Dass sich Russland nach der Krim auch Weißrussland einverleiben könnte, löst in der Bevölkerung keinerlei Alarmstimmung aus. Nicht weil das Szenarium zu herbeigeholt erscheint, sondern weil Russland noch immer nicht als Aggressor wahrgenommen wird. Stattdessen herrscht Angst vor einem Maidan wie in Kiew, den viele Weißrussen mit Krieg gleichsetzen, obwohl es dafür nicht das geringste Anzeichen gibt. Die Opposition weiß, dass sie derzeit kaum Gehör findet, sagt der Politologe Valeri Karbalewitsch.
"Das Risiko, die Gefahr, die Macht zu verlieren, ist für Lukaschenko von Seiten Russlands viel größer als von Seiten einer weißrussischen Maidan-Bewegung. Russland reagierte auf die Revolution in der Ukraine. Lukaschenko weiß, dass er die Machtverhältnisse intern wie nach außen nicht verändern darf, dann wird es keine Wiederholung des Krim-Szenariums in Weißrussland geben."
Weißrussland ist in Angst erstarrt, alles wird vorerst so bleiben wie es ist.
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