Präsidentschaftswahl in Kolumbien

Südamerika kippt nach links

23:45 Minuten
Ein Herr mit Jacket und weißem Hemd und eine Afrokolumbianerin mit gelbem Kleid nehmen sich lächelnd in den Arm.
Hoffen auf einen Sieg: Gustavo Petro und Francia Márquez, die Kandidaten des Linksbündnisses "Historischer Pakt". © imago / NurPhoto
Anne Herrberg im Gespräch mit Isabella Kolar |
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Noch nie gelang es der Linken in Kolumbien, in den Präsidentenpalast gewählt zu werden. Das könnte sich nun ändern: mit dem Ex-Guerillero Gustavo Petro und der afrokolumbianischen Feministin Francia Márquez. Woher kommt diese Wechselstimmung?
Die Kolumbianerinnen und Kolumbianer wählen am 29. Mai einen neuen Präsidenten. Der rechtskonservative Iván Duque gibt sein Amt als kolumbianischer Präsident verfassungsgemäß nach vier Jahren ab.

Unbeliebtester Präsident Kolumbiens

Damit endet seine wohl eher unrühmliche Amtszeit: Duque war der unbeliebteste Präsident, den das Land je hatte, sagt unsere Südamerika-Korrespondentin Anne Herrberg. Seine Regierungsjahre seien überschattet gewesen von Korruptionsskandalen und Klientelpolitik. Aber auch in der Sicherheitspolitik, der Bastion der Rechten, habe er versagt.
Ein ordentlich frisierter Mann mit Jacket und roter Krawatte spricht in ein Mikrofon.
"Desaströse Amtszeit von Iván Duque." Nach vier Jahren scheidet der unbeliebte Präsident Kolumbiens aus dem Amt.© imago / ZUMA Wire
Die Regierung Duque stand dem Friedensvertrag von 2016 mit der linken Farc-Guerilla schon vor ihrem Amtsantritt skeptisch gegenüber. Als sie an die Macht kam, habe sie die Vereinbarungen dann gebrochen, so Herrberg. Deshalb sei Kolumbien jetzt weiter vom Frieden entfernt als vor der Regierungszeit Duques.

Proteste und Gewalt

Auch die Sicherheitslage in Kolumbien hat sich nach Ansicht von Beobachtern in den vergangenen vier Jahren deutlich verschlechtert. Zudem wurde das Land massiv von der Corona-Pandemie getroffen. Vor einem Jahr brach sich der Unmut der Bevölkerung dann Bahn: Es kam zu heftigen Protesten. Die Regierung ging gewaltsam gegen die Demonstranten vor.

Dieses Gefühl, dass die da oben sich für die Menschen im Land überhaupt nicht interessieren, dass sie überhaupt keinen Blick für die Realität haben und dass sich endlich etwas ändern muss, diese Atmosphäre ist im ganzen Land zu spüren.

Anne Herrberg, Südamerika-Korrespondentin

Wegen der schlechten Bilanz seiner Amtszeit hat Duques Partei bei der anstehenden Präsidentschaftswahl wohl auch keinen eigenen Kandidaten aufgestellt, sagt Anne Herrberg. Aus ihrer Sicht ein ungewöhnlicher Vorgang.
Ein Herr mit etwas längeren Haaren und weißem Hemd gestikuliert zwischen zwei Anhängern mit der Hand und spricht in ein Mikrofon.
Unterstützung von rechts verringert seine Wahlchancen: Federico Gutiérrez will der nächste Präsident Kolumbiens werden.© Anne Herrberg, ARD-Studio Rio de Janeiro
Stattdessen sammeln sich die Rechte und die Eliten nun hinter dem Kandidaten Federico Gutiérrez, einem ehemaligen Bürgermeister von Medellín: eine unerwartete Wahlkampfunterstützung, von der nicht klar ist, ob sie wirklich hilfreich sei, meint Herrberg. Schließlich könnten die neuen Unterstützer Gutiérrez auch als Makel ausgelegt werden. Vielleicht einer der Gründe, weswegen er in den Umfragen nicht führt.

Machtverschiebung auf dem Kontinent

An der Spitze der Wählergunst steht dagegen Gustavo Petro, Ex-Bürgermeister von Bogotá. Am 29. Mai hat er die Chance, die Linke in Kolumbien erstmals an die Macht zu führen. Würde Kolumbien – nach Chile, Bolivien und Argentinien – auch links regiert, wäre dies eine deutliche Machtverschiebung auf dem südamerikanischen Kontinent.

Dass Kolumbien nie links war, hat auch mit der langen Geschichte von Gewalt zu tun, mit dem Bürgerkrieg in dem Land, der der Rechten auch immer als Rechtfertigung für ihren Law-and-Order-Diskurs gedient hat. Links ist hier immer in Verbindung gesetzt worden mit dem brutalen Terror, mit der Gewalt der linken Guerilla. Da hat sich durch den Friedensprozess etwas verändert.

Anne Herrberg, Südamerika Korrespondentin

Doch mit dem Friedensprozess sind gerade bei der jungen Generation Kolumbiens Erwartungen geweckt worden. Zum Symbol für den Wandel und den Wunsch nach einem Neuanfang ist die Afrokolumbianerin Francia Márquez geworden. Márquez ist in Armut aufgewachsen und hat jetzt realistische Aussichten, Vizepräsidentin Kolumbiens zu werden.

Jugend hofft auf einen Wandel

Das Duo Petro und Márquez befindet sich auf einem Siegeszug durch das Land. Zumindest bis zum ersten Wahlgang. Nicht ausgeschlossen sei aber ein zweiter, meint Herrberg.
Ein bunte Demo mit vielen fahnenschwenkenden afrokolumbianischen Frauen bei einer Wahlkampfveranstaltung.
Der neue Star Kolumbiens und bald Vizepräsidentin? Wahlkampfauftritt von Francia Márquez in Cali.© Anne Herrberg, ARD-Studio Rio de Janeiro
Inhaltlich verfolgt das linke Team des sogenannten "Historischen Pakts" einen Wechsel in der Sicherheitspolitik und möchte seinen Fokus auf Soziales richten. Das Ziel: Die gesellschaftlichen Ursachen der Gewalt im Land bekämpfen. Dazu gehört das Schicksal der Kokabauern und die hohe Arbeitslosigkeit.

Militär mischt sich in den Wahlkampf ein

Auch die Korruption in den Sicherheitskräften soll zum Thema werden. Im Drogenkrieg gibt die linke Kandidatin Francia Márquez ein ganz klares Signal zum Umdenken: weg von der Bestrafung von Produzenten und Konsumenten, hin zu einer möglichen Legalisierung.
Doch sind diese Ziele in Kolumbien, wo die Sicherheitskräfte große Macht haben, wirklich umsetzbar? Unsere Korrespondentin Anne Herrberg sieht das eher kritisch. Erstmals habe sich das Militär auch in den Wahlkampf eingemischt und vor dem Linksbündnis gewarnt.
Eine angespannte Situation kurz vor dem möglichen Machtwechsel, der auch in Washington genau verfolgt wird. Denn Kolumbien ist als einziges Land auf dem Kontinent strategischer NATO-Partner der USA und außerdem wichtigster Verbündeter im Drogenkrieg. Die Zusammenarbeit mit einem Linksbündnis könnte sich aus Sicht der USA schwieriger gestalten als unter der vorherigen rechtskonservativen Regierung.
(ik)

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