Waffengewalt in Musikvideos

Madonnas Haltung und Cardi B's Herkunft

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Das Bild zeigt die Sängerin Madonna während einer Rede. Sie trägt ein schwarzes Gewand mit vielen Lagen silbernen Schmuck um ihren Hals und um ihre Handgelenke. Auf dem Kopf trägt sie eine Art Krone mit spitzen Zacken.
In ihrem neuen Musikvideo zur Single "God Control" behandelt Madonna die Debatte zur Waffenkontrolle. © gettyimages / Michael Loccisano
Raphael Smarzoch im Gespräch mit Martin Böttcher · 03.07.2019
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Aktivisten rufen seit Jahren nach strengeren Waffengesetzen in den USA. Pop-Diva Madonna reiht sich mit dem Video "God Control" ein. Zeitgleich erscheint das Video der Rapperin Cardi B zu "Press", das Schusswaffen verherrlicht.
Immer wieder sterben Menschen in den USA durch Schusswaffen. Amokläufe machen in trauriger Regelmäßigkeit Schlagzeilen. Dann wird die Forderung nach einer Verschärfung der Waffengesetze kurzzeitig wieder lauter. Umsonst.
Nun regt sich auch in der Musik Widerstand. Die Pop-Diva Madonna veröffentlichte am 26. Juni ein neues Video, "God Control", ein musikalischer Appell gegen Waffengewalt in den USA. Am selben Tag erschien auch ein neues Video von Cardi B, das wiederum mit harten Gewaltdarstellungen durch Schusswaffen provoziert. Ein Grund für Raphael Smarzoch, beide Videos gegenüber zu stellen.

Madonnas Griff ins historische Ambiente

Madonna verlege den Missbrauch von Schusswaffen in die 70er, in eine Disco-Glamour-Welt, so Smarzoch. "Weite Teile der Handlung spielen in einer Diskothek, die an das berühmte 'Studio 54' erinnert. Dort dringt ein Schütze ein und beginnt, einfach um sich zu schießen und Menschen zu töten."
Die Machart des Videos stelle keine aktuellen Bezüge her, sagt Smarzoch. "Es sieht aus wie ein Musikvideo, das Anfang der 2000er-Jahre gemacht wurde. Die Ästhetik hat absolut nichts Zeitgenössisches."
Das treffe auch auf den Sound zu. Madonna wähle also ausgerechnet das Genre Disco, um etwas über die Gegenwart auszusagen.
Allerdings erinnere der Clip die Zuschauer an das Attentat von Orlando im Nachtclub "Pulse" von 2016, denn Madonnas Szenerie spiele in einer Diskothek. Außerdem habe sie ein entscheidendes Datum für die Veröffentlichung gefunden: einen Tag vor dem 50. Jahrestag der Stonewall-Unruhen. Diese führten Anfang der 70er-Jahre zur Gründung der homosexuellen Befreiungsbewegung in den USA. Diese präge auch den heutigen Kampf um LGBT-Rechte nachhaltig, so der Studiogast.

Discoraum als utopischer Ort

Madonna habe in Interviews erläutert, dass sie das Disco-Ambiente gezielt ausgewählt habe, weil Waffengewalt genau dort stattfinde.
"Andererseits geht es ihr vielleicht auch um eine nostalgische Sicht auf die Dinge. Disco als utopischer Ort, eine Gegenwelt, wo Menschen einst hingegangen sind, um der Realität und ihren Problemen zu entfliehen."
Und genau dort würden sie dann mit der bitteren Realität konfrontiert werden, so Smarzoch weiter.
Smarzoch findet allerdings, diese Konfrontation gelinge Madonna nicht: Die Ästhetik der Bilder, die Schönheit würden der Brutalität und Ernsthaftigkeit des Themas nicht gerecht werden: "Alles ist wie in Watte gepackt und mit einer viel zu süßen Zuckerglasur überzogen."

Zufälliger Zusammenprall

Das Video "Press" der Rapperin Cardi B, bei dem im Refrain Pistolenschüsse zu hören sind, kam zufällig zur gleichen Zeit heraus. "Ein wirklich interessanter Zufall", wie Smarzoch meint. Im Vergleich zu Madonna habe die Rapperin allerdings keine nachhaltige Botschaft. Sie verfolge wohl keine pädagogischen Absichten und stelle sich nicht als moralische Instanz dar.
"Stattdessen feiert sie Sex und Gewalt und ihren Reichtum. Sie inszeniert sich als Femme fatale, der man sich besser nicht in den Weg stellen sollte, weil man sonst sterben muss."
In "Press" zeige Cardi B ihre dunkle Seite, eben nicht nur die der erfolgreichen Musikerin, die durchaus über ein komisches Talent verfüge. Smarzoch sagt:
"Wie viele Rapper ist sie auch im Ghetto aufgewachsen, sie kennt also ein Leben voller Gewalt. Und der Besitz von Schusswaffen in diesen Milieus kann auch so etwas wie eine Lebensversicherung sein. Buchstäblich eine Form der Selbstverteidigung."
Themen wie Gegenwehr, Selbstschutz, Widerstand würden im Clip in sehr drastischen Bildern verarbeitet.

Parallelen ins wirkliche Leben

Momentan steht Cardi B wie im Video vor Gericht – sie ist wegen Körperverletzung angeklagt.
"Im Video muss sie sich für einen Mord verantworten und während des Prozesses werden alle gegen sie aussagenden Zeugen im Gerichtssaal erschossen. Das heißt, Gewalt wird hier zu einem Mittel, um das Rechtssystem zu überwinden. Aber auch um unliebsame Kritiker mundtot zu machen."
Schließlich richte sich ihr Song ja auch gegen die Presse, die Cardi B angeblich immer schlecht porträtiere, beobachtet Smarzoch.
Das Bild zeigt Cardi B während eines Auftritts. Sie wird von einer Gruppe von Männern getragen. Ihre beiden Arme hat sie in die Luft gestreckt und ihre Hände zu imaginären Waffen geformt.
In ihrem neuen Musikvideo erschießt die Rapperin Cardi B alte, weiße Journalistinnen. © gettyimages / Kevin Winter
Cardi B gehe es nicht um eine Auseinandersetzung mit dem Thema Waffengewalt. Ihr gehe es, so urteilt Smarzoch, um Selbstbehauptung und Emanzipation.
"Notfalls auch unter dem Einsatz von Gewalt. Da kann Madonna nicht mitreden, weil sie aus einer sehr privilegierten Perspektive auf das Thema blickt und höchstwahrscheinlich niemals Gewalt anwenden musste, um zu überleben."
In beiden Videos prallten also verschiedene Welten aufeinander, die dann in unterschiedliche künstlerische Umsetzungen mündeten.

Weckruf versus Lebenserfahrung

Madonna gehe es um einen politischen Weckruf – Cardi B dagegen vermittle eine kompromisslose, neoliberale Haltung. Und so fasst Smarzoch zusammen: "Damit ist sie Donald Trump, den Madonna aufs schärfste kritisiert, näher, als ihr vermutlich lieb ist."
(cdr)
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