Währungsunion vor 25 Jahren

Verführerisches Westgeld

Währungsunion am 1. Juli 1990 in der DDR
Währungsunion am 1. Juli 1990: Unter Beobachtung von Volkspolizisten wird in Leipzig die Deutschen Mark an DDR-Bürger ausgezahlt. © picture alliance / dpa / Foto: Volkmar Heinz
Von Dieter Bub  · 01.07.2015
Als am 1. Juli 1990 die Deutsche Mark in der noch existierenden DDR eingeführt wurde, waren die Erwartungen bei den Bürgern hoch. Windige Geschäftemacher und wenig Erfahrung mit dem Kapitalismus ließen aber schnell viele Illusionen platzen.
"Er wurde als erster eingelassen: Hans-Joachim Gordalli, ein Kohlenträger aus Berlin. Sieben Stunden hatte er gewartet. Die Bank bereitete ihm einen gebührenden Empfang und schenkte ihm ein Sparbuch mit 100 Mark. Die Kette der Kunden riss nicht ab. Die Währungsunion ist in Kraft."
Endlich die D-Mark. Ulrich Metzler, Chef einer kleinen Brauerei im thüringischen Dingsleben, fünf Kilometer von der ehemaligen innerdeutschen Grenze entfernt, hatte sein Familienunternehmen durch alle Schwierigkeiten sozialistischer Planwirtschaft gebracht und die Feriengäste des FDGB rund um Oberhof sommers wie winters mit Bier und Limonade versorgt. In den alten musealen Anlagen wurde das Bier abgefüllt. Metzler hatte sehnsüchtig auf den Tag der Tage gewartet:
"Wir ham uns auf die Währungsunion gut vorbereitet. Wir haben genug Grundmaterialien eingekauft, damit wir nicht gleich wieder Rohstoffe einkaufen müssen, damit wir nicht gleich wieder unser DDR–Geld verwandeln können in bundesdeutsches Geld, also in richtiges deutsches Geld."
Die D-Mark war Verlockung und Voraussetzung auf dem Weg zur Einheit. Welche Folgen die neue Währung haben würde, darüber waren sich die wenigsten im Klaren. Die Männer einer Gerüstbauer-Brigade in Halle an der Saale erzählten im Juni 1990 von ihren Erwartungen.
"Wer mir erstmaln Videorekorder holn, weils den erstmal nich jab, mir erstmal koofen, na denn erstmal abwarten und denn später erstmal Auto. Also wenn wir jetzt losrenn un kaufen un kaufen un immer was kaufen. Mit Krediten anschaffen, aber wie das nachher bezahlt wird und zu welchem Zinssatz: darüber sind wir ja vollkommen blind. Uns hamse blind jehalten und das sind wir och noch ja. Jetzt müssen wir uns erstmal an das neue System jewöhnen – an die Marktwirtschaft."
Scheinbares Konsumparadies
Viele konnten es nicht erwarten. Mit der D-Mark schien das Konsumparadies des Westens geöffnet. Wie in Zwickau kamen die Geschäftemacher aus dem Westen, öffneten die Ladeflächen ihrer Lastwagen und verhökerten auch ihre Ladenhüter: Teppiche, Kosmetik, Textilien, Taschen und überteuerte Gebrauchtwagen. Ahnungslose unterschrieben Versicherungsverträge, Zeitungsabonnements, nahmen überteuerte Kredite auf. Innerhalb weniger Stunden machten Heerscharen von Händlern den großen Reibach.
Kurze Zeit danach war der große Andrang der kleinen Betrüger vorbei. Man wusste schon bald, was die D- Mark wert war. So wie Stammgäste im Berliner "Anklamer Eck", einer alten Kiezkneipe. Die neuen Preise waren moderat: das Pils 0,2 für 1,20 und 0,3 für 1,60. Das Kassler Steak immerhin 4,05 Mark. Die Bockwurst, die "Bocky" mit Senf und Brötchen, war früher für 85 Pfennige der DDR über den Tresen gegangen. Trotzdem, so Peter:
"Die Kaufkraft is doch ne janz andere. Das ist doch janz normal un wer nichn bißchen blöde is, schnallt das auch. Für 1.000 Mark n Fernseher und das ist schon bald der Beste. Das überlegt man schon heute jarnich. Oder Lebensmittel, das is alles janz anders. Kaufst n Beutel voll für 39 Mark. Das konnt ich mir grad in zwei Hosentaschen stecken, wenn ich in Delikatladen jejangen bin."
Im Delikatladen gab es für D-Mark alles, was nicht zum normalen Angebot an Nahrungsmitteln gehörte. Kurz nach der Einführung der D-Mark herrschte Optimismus. Manfred, ein anderer Kiezkneipen-Stammgast, erzählt:
"Na, ich bin ja seit elf Jahren Fensterputzer und seit der Währungsunion bin ich Privatmann und da ist es wunderbar jeloofen. Is jetzt neu eröffnet worden. Zwei–Mann–Betrieb. Inzwischen sind es acht, neun Angestellte und können uns vor Aufträgen jar nich retten. Deshalb weil die Firma so niedrige Preise jemacht. Weil den ganzen VEB–Betrieben geht langsam das Geld aus in meiner Branche so. Für mich läuft das wunderbar. Ich kann nicht meckern."
Das große Saubermachen
Nach kurzer Zeit kam das Aus. Einmal waren es die Reinigungs–Großunternehmen aus dem Westen, die das große Saubermachen übernahmen, zum anderen machten alte Seilschaften aus dem Osten das Geschäft mit den ehemaligen SED-Genossen. Der Fensterputzer orientierte sich neu und eröffnete ein Blumengeschäft am Rosenthaler Platz. Das bedeutete morgens um sechs Einkauf auf dem Großmarkt, ab acht Uhr im Laden.
Kurze Zeit später blieben im "Anklamer Eck" die Stammkunden weg. Viele konnten sich ihr Feierabendbier nicht mehr leisten. Die Mieten stiegen. Die Berliner Kneipe wurde zu einer schicken Adresse. Für die Alteingesessenen war kein Platz mehr.
Die Gerüstbauer in Halle verloren ihren Job. Sie wurden zu Hilfsarbeitern degradiert. Jahrzehnte war es ihre Aufgabe, die verrotteten Altbauten unter schwierigen Bedingungen, ohne ausreichenden Schutz vor dem Zusammenbruch zu retten. Nun hofften sie auf den Aufschwung. Jetzt würde ihre Zeit kommen: die Sanierung der Altstadt mit erstklassiger Ausrüstung. Sie mussten nach wenigen Wochen begreifen, dass sie keine Chance hatten. Die Banken verweigerten ihnen den erforderlichen Kredit für Material. Sie hatten nichts vorzuweisen als ihre Arbeitskraft. Stattdessen waren sofort westdeutsche Firmen zur Stelle und erhielten die Aufträge westdeutscher Bauträger.
Ulrich Metzler im thüringischen Dingleben wies die Angebote westdeutscher Brauereien zur Übernahme zurück. Stattdessen behauptete er sich gegen die westdeutsche Konkurrenz. Im Laufe der Jahre investierte er über sechs Millionen Euro. Heute liefert er Bier, Limonade und Osta–Cola wie früher in seiner Heimat Thüringen und weiter bis an die Ostsee, nach Russland und China – ein florierendes mittelständisches Unternehmen.
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