Vorwürfe gegen "kaltschnäuzige" Stadtverwaltung von Duisburg

24.07.2013
Der Verein "Loveparade Selbsthilfe" wirft der Stadt Duisburg vor, viel Geld in die Vertuschung der Loveparade-Katastrophe zu investieren. Anlässlich des dritten Jahrestags des Unglücks sagte Beiratsmitglied Lothar Evers, die Verwaltung lasse Gefälligkeitsgutachten erstellen.
Hanns Ostermann: Sie wollten einfach nur das Leben genießen, tanzen, feiern. Am Ende starben 21 Besucher der Love Parade in Duisburg, erdrückt und erstickt in einem unvorstellbaren Gedränge am einzigen Ein- und Ausgang des Geländes. Mehr als 500 Verletzte gab es damals. Am dritten Jahrestag wird heute in Duisburg des Unglücks gedacht. Es wird getrauert und ganz sicher auch gefragt, warum dauert die strafrechtliche Aufarbeitung so lange? Lothar Evers arbeitet im Verein der Hinterbliebenen und Verletzten des 24. Juli 2010. Guten Morgen, Herr Evers!

Lothar Evers: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Warum engagieren Sie sich in diesem Verein, obwohl sie selbst ja unmittelbar gar nicht betroffen sind?

Evers: Am Abend der Love Parade, dem 24. Juli, waren die Kinder meiner Freundin verschwunden und wir konnten sie nicht erreichen. Sie tauchten dann zum Glück gegen Mitternacht auf, und daraufhin habe ich mir am nächsten Tag die Pressekonferenz aus dem Rathaus der Stadt Duisburg angeguckt und habe gemerkt, hier stimmt was nicht. Dann verschwanden die Webseiten vom Netz. Und so hat das angefangen, und ich bin da dran geblieben und habe immer weiter Fragen gestellt.

Ostermann: Und die ganze Sache lässt Ihnen keine Ruhe. Warum nicht?

Evers: Nun, weil das sicherlich eine Verhöhnung der Opfer ist, was da in Duisburg passiert. Ich hab früher selber mit Verfolgten des Nationalsozialismus gearbeitet und habe seitdem eigentlich so was Kaltschnäuziges, wie das in der Kommune Duisburg passiert, nicht mehr erlebt.

Ostermann: Was ist daran so kaltschnäuzig? Dass noch immer, auch nach drei Jahren, es keine offizielle Erklärung gibt?

Evers: Nun, das liegt sicherlich daran, dass die Stadt Duisburg unter dem früheren Oberbürgermeister Sauerland und dem immer noch praktizierenden Rechtsdezernent Wolfgang Raabe im Wesentlichen ihr Geld in Vertuschung, in Expertisen, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen, investiert hat, und da ist es zu einer grundsätzlichen Wende zu der Zuwendung zu den Opfern nicht wirklich gekommen. Die Etats von über einer Million Mark gehen nach wie vor in Verteidigung der über zehn städtischen Angestellten, die inzwischen von der Staatsanwaltschaft als Beschuldigte geführt werden, und in Gefälligkeitsgutachten.

Ostermann: Sie sprechen von organisierter Verantwortungslosigkeit in diesem Zusammenhang – welche entscheidenden Fehler wurden konkret gemacht?

Evers: Ich glaube, der erste entscheidende Fehler hängt sicherlich mit der Love Parade selber zusammen. Man hätte sie auf diesem engen, eingezäunten, verschotterten Bahnhofsgelände nie stattfinden lassen dürfen, vor allen Dingen weiß jeder, der sich mit Veranstaltungen beschäftigt: Man muss zur gleichen Zeit einen getrennten Ein- und Ausgang haben. Man kann gerne Leute erst in eine Arena reingehen, dann gibt es ein Konzert, und vier Stunden später gehen sie raus. Wenn ich aber ein Event auf einem öffentlichen, dazu noch eingezäunten Platz mache, dann muss ich die Besucher in einem Zirkel halten und muss Eingang und Ausgang trennen. Das hat der Veranstalter, Lopavent des Fitness-Unternehmers Schaller, so geplant, weil er eine riesige VIP- und Pressebühne haben wollte, da wäre der andere Ausgang gewesen. Und das hat letztendlich die Verwaltung, die es nicht hätte durchwinken dürfen, der Stadt Duisburg, durchgewinkt.

Ostermann: 40 Prozent der Ordner sollen damals ihren Dienst nicht angetreten haben. Inwiefern ist dieser Gesichtspunkt mit entscheidend für das Unglück?

Evers: Es ist in der entscheidenden Phase an diesem Samstagnachmittag zwischen drei und fünf Uhr den Ordnern nicht gelungen, den Eingang dieses Veranstaltungsgeländes zuzumachen. Es ist ihnen auch nicht gelungen, am Ende dieser Rampe, über die alle Zuschauer gehen mussten, die Zuschauer an den dort kreiselnden Lkws, im Szenejargon "Floats", vorbeizubringen. Das hätte man alles vielleicht mit mehr Ordnern schaffen können, aber grundsätzlich muss man sagen, das gesamte Veranstaltungsdesign, die Streckenführung, die Zuschauerführung, das war ein einziges Desaster, und jeder Mensch, der in einem deutschen Bauamt öfter mit solchen Veranstaltungen zu tun hat, musste das merken und musste die Veranstaltung stoppen.

Ostermann: Auf sich warten lässt nicht nur die strafrechtliche Aufarbeitung, auf sich warten lässt ja auch die Entschädigung der Opfer. Wie wichtig wäre die?

Evers: Na, die Entschädigung der Opfer wäre natürlich eine Anerkennung ihres Leids. Es gibt einerseits die Hinterbliebenen und es gibt andererseits die Menschen, die darüber ihren Beruf verloren haben, zum Teil nicht wieder Fuß gefasst haben. Und die haben natürlich massive Schäden, leben zum Teil von Hartz-IV. Aber es ist natürlich völlig logisch, in Deutschland kommt immer zunächst die strafrechtliche Aufarbeitung, wer ist schuld, und dann kommt die Entschädigung. Große Ausnahme, muss man sagen, das Land Nordrhein-Westfalen hat einen Soforthilfefonds aufgelegt, kurz danach, und hat den Hinterbliebenen 20.000 Euro gegeben und den Verletzten immerhin 500 Euro pro Krankenhaustag, die sie dort verbringen mussten.

Ostermann: Wann rechnen Sie denn jetzt mit einer Anklage, so komplex die Ereignisse damals auch waren?

Evers: Ich gehe davon aus, dass wir zu Ende dieses Jahres, spätestens Anfang nächsten Jahres, von der Staatsanwaltschaft Duisburg die Anklageschrift lesen werden. Es ist natürlich bei so einem komplexen Geschehen mit so vielen Beteiligten, sehr schwierig, die individuelle Schuld eines Individuums, und nur darum geht es im Strafprozess, herauszuarbeiten. Daran arbeiten die Leute in der Staatsanwaltschaft, glaube ich, im Moment mit Hochdruck. Das große Versäumnis findet bei der Stadt Duisburg statt, die einfach ihr Organisationsversagen jenseits des Individuums A oder B zu untersuchen hätte und die eigentlich in diese Richtung bisher nicht wirklich was unternommen hat.

Ostermann: Meint Lothar Evers. Er arbeitet im Verein der Hinterbliebenen und Verletzten des 24. Juli. Heute jährt sich das Unglück von Duisburg zum dritten Mal. Herr Evers, danke für das Gespräch!

Evers: Gerne!


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