Vorläufiger Fußball-EM-Kader

Löw jongliert mit den Optionen

Bundestrainer Joachim Löw gestikuliert auf der Pressekonferenz vor einem DFB-Logo
Bundestrainer Löw bei der Präsentation in der französischen Botschaft in Berlin © dpa/Rainer Jensen
Von Arno Orzessek · 17.05.2016
Joachim Löw hat gesprochen. Und das diplomatisch und geschmeidig wie immer, kommentiert Arno Orzessek: Endlich wissen wir, wen der Bundestrainer für die bevorstehende Fußball-EM berufen hat. In seinem vorläufigen Kader erblühen die schönsten Alternativen.
Endlich! Endlich können die Deutschen in ihren geliebten sommerlichen Daseins-Modus umschalten... Nämlich in den Wenn-ich-Bundestrainer-wäre-Modus, der den lustvollen Gebrauch des Besserwisser-Konjunktivs ermöglicht und verlangt. Und darum eines gleich voraus: Wenn ich Bundestrainer wäre, ich hätte es in puncto vorläufiger EM-Kader genauso wie Joachim Löw gemacht.
Doch der Reihe nach.
Viel zu selten wird ja gewürdigt, dass der Bundestrainer schon sprachlich ein ganz Gewiefter ist. Zur Erinnerung: Sein Amtsvorgänger Jürgen Klinsmann war der, wo seine Mühen mit dem Relativsatz hatte. Löw dagegen beherrscht feinstes Schwarzwälder Hochdeutsch. Und es ist eine im Munde Minderbegabter unscheinbare Wortfolge, die das Wesen seines Genius am hellsten erhellt:

Wunderbar warme Wortfolge

Wo immer es gilt, geschmeidig und diplomatisch, also unverbindlich und ausweichend zu sein, fügt der Rhetoriker Löw sein wunderbar warmes 'schon auch' ein. Für Löw ist alles Mögliche "schon auch wichtig"... Dieser Spieler und jener, die Vorbereitung und die Stimmung, das Kollektiv natürlich, aber "schon auch" die Einzelkönner.
Löws 'schon auch' ist aber nicht nur Rhetorik, es ist der Kerngedanke seiner Fußball-Philosophie... Wie man am vorläufigen Kader ablesen kann. Einerseits hält sich Löw an Leistungskriterien, anderseits lässt er schon auch nostalgische Gefühle zu.
Darum darf der Gute-Laune-Bär Lukas Podolski, dessen taktischer Begriff von Fußball tief in der unterkomplexen Klinsmann-Ära steckengeblieben ist, noch einmal mit ins Trainingslager.

Ein Herz für Etablierte

Einerseits findet Löw die Etablierten von Neuer bis Khedira, von Hummels bis Kroos, von Özil bis Müller nach wie vor Spitze. Andererseits will er schon auch konsequent junges Blut untermischen - und das pulst in den Adern von Joshua Kimmich, Julian Brandt und Julian Weigl.
Wozu unbedingt zweierlei gesagt werden muss: Diese drei sind genau die Überraschungen, die seit Monaten als Überraschungen diskutiert werden und nun als solche zu ihrer Bestimmung finden.
Zweitens fällt auf, dass Brandt, Weigl und der vornamensgleiche Julian Draxler eine nie dagewesene Häufung des hochmögenden Namens in der Nationalelf nach sich ziehen. Vermutlich hat sich Löw von der Maxime 'nomen est omen' leiten lassen.

Vorname "Julian" mit Symbolcharakter

Julian kommt ja vom lateinischen Lulius und das war bekanntlich der zweite Vorname des überaus begabten Feldherrn Gaius Caesar. Die fußballerische Feldherrn-Qualität namentlich eines Julian Weigl auf der Sechser-Position könnte Löw jedenfalls noch gut gebrauchen. Immerhin ist Ilkay Gündogan, der begnadete Dortmunder Verletzungs-Krösus auf der Sechs, schon wieder verletzt.
Und Sebastian Schweinsteiger, der im WM-Finale 2014 seinen Dienst am Fußballvaterland - getreten und geschlagen, blutend und genäht - eigentlich komplett abgeleistet hat, wird womöglich auch nicht mehr gesund.
Und im Sturm? Nun, einerseits will Löw weiterhin technisch erlesenen Ballbesitz-Fußball spielen lassen, andererseits aber schon auch einen wie Mario Gomez… Der in der fußballeuropäischen Randlage Türkei beileibe kein Supertechniker geworden ist, wohl aber ein super Knipser alter Schule.

Ein Kader der Optionen

Kurz: Im vorläufigen EM-Kader erblühen die schönsten Alternativen. Goethe warb einst für Konsequenz und Entschiedenheit, er behauptete: "Dreingreifen, Packen ist das Wesen jeder Meisterschaft". Weltmeisterschaftstrainer Löw dagegen jongliert mit den Optionen.
Aber ob so oder so: Europameister würden wir schon auch gern werden.
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