Vorgespult

Wie Heldinnen mit Traumata umgehen

US-Schauspielerin Jessica Chastain spielt eine der Hauptrollen in "Das Verschwinden der Eleanor Rigby"
US-Schauspielerin Jessica Chastain spielt eine der Hauptrollen in "Das Verschwinden der Eleanor Rigby" © AFP PHOTO / RAFA RIVAS
Von Christian Berndt · 22.11.2014
Ein junges Paar gerät nach dem Tod ihres Kindes aus dem Tritt, eine Holocaust-Überlebende wird von einem jungen Mann ins Leben zurückgeholt und ein irregewordener Forscher in einer totalitären Zukunftswelt - drei Kinofilme thematisieren persönliche Traumata.
Filmausschnitt: "Wie in alten Zeiten, nicht wahr? – Hey Daddy. – Und jetzt? – Ich nehme an, gleich kommt eine Ansprache oder so was? – Was würdest Du denn gerne tun, Elle? - Was anderes."
Eleanor ist ratlos. Die junge Frau ist wieder bei den Eltern eingezogen – sie hat einen Selbstmordversuch hinter sich. Vor einigen Monaten haben sie und ihr Mann Conor ihr kleines Kind verloren. Darüber ist die Ehe zerbrochen, und Eleanor hat sich völlig zurückgezogen. Conor versucht verzweifelt, sie zu erreichen – dann trifft er sie auf der Straße:
Filmausschnitt: "Hey Rigby! – Was tust Du hier? – Ich hatte keine Chance zu reagieren, bevor Du abgetaucht bist. – Was hatten wir ausgemacht? – Gib mir wenigstens ne Sekunde. – Was hatten wir ausgemacht? – Gib mir eine Sekunde... - Du hattest haufenweise Sekunden. Tu mir einen Gefallen und lass mich einfach in Ruhe."
Ned Benson lässt sein Regiedebüt "Das Verschwinden der Eleanor Rigby" spannend und einfühlsam beginnen. Man weiß zunächst nicht, was Eleanor, die von der in Hollywood gerade unglaublich gefragten Jessica Chastain gespielt wird, widerfahren ist. Erst nach und nach erschließt sich der Grund für ihr Trauma. Aber nach vielversprechendem Anfang entwickelt sich die Geschichte immer mehr zur oberflächlichen Sinnsuche verwöhnter New Yorker Wohlstandskinder, die ungefähr so traumatisiert wirken wie nach einem verregneten Sommerurlaub. Erstaunlich, wie man mit derart eindrucksvoller Besetzung – unter anderem William Hurt und Isabelle Huppert – einen so biederen Langeweiler fabrizieren kann.
Er findet sie mit aufgeschnittenen Pulsadern
Echt wirkt dagegen die Traumatisierung, unter der die 84-jährige Heldin des deutschen Films "Auf das Leben" leidet. Ruth Weintraub, gespielt von Hannelore Elsner, ist Holocaust-Überlebende. Jetzt im hohen Alter wird die alleinstehende Berlinerin wegen Schulden gepfändet und muss in eine Sozialwohnung umziehen. Einer der Möbelpacker hilft Ruth beim Einrichten:
Filmausschnitt: "Haben Sie denn Kinder oder Verwandte, die Ihnen helfen können? – Ich hab keine Kinder, Du? – Nein. – Du siehst jemandem so unglaublich ähnlich, hat hier in der Filmhochschule studiert, also vor 100 Jahren."
Jonas, gespielt von Max Riemelt, gleicht Ruths früherem Liebhaber aufs Haar. Als er einige Zeit später nochmals bei ihr vorbeischaut, findet er sie mit aufgeschnittenen Pulsadern. Er kann sie gerade noch rechtzeitig in die Klinik bringen – sehr zum Ärger der lebensmüden Ruth.
Filmausschnitt: "Als ich klein war, wollte mich dieses Land mit allen Mitteln ermorden, und jetzt, wo ich alt bin, stecken die mich in ein Zimmer mit Gittern und ohne scharfe Ecken und Kanten, bloß damit ich mich nicht umbringe. – Könnte man ja als positive Entwicklung werten. – Ha."
Die beiden spüren eine gegenseitige Anziehung und beginnen, sich von ihren traumatischen Erfahrungen zu erzählen. Uwe Jansons Film "Auf das Leben" entwickelt sich zwar ein wenig vorhersehbar bis zum arg harmonieseligen Finale. Aber die Geschichte ist mit Witz erzählt, und den beiden sensibel miteinander agierenden Hauptdarstellern bei der Anbahnung dieser innigen Freundschaft zuzuschauen, ist berührend wie selten im deutschen Kino.
Orwellscher Überwachungsstaat und grelle Unterhaltungshölle
Traumatisiert ist auch der Held in Terry Gilliams Science Fiction "The Zero Theorem". Qohen, gespielt von Christoph Waltz, ist ein verschrobenes Computergenie. Er arbeitet für das allgegenwärtige Unternehmen ManCom, das mit seinen Werbebotschaften das gesamte öffentliche Leben dauerberieselt. Einzig der Individualist Qohen, der von sich immer im Plural spricht, will inmitten dieses Ameisenhaufens seine Ruhe haben, um nach dem sogenannten "Zero Theorem", einer Art Welterklärungsformel, zu forschen:
Filmausschnitt: "Was ist das vermeintliche Problem? - Wir wollen einfach zu Hause bleiben. Wir verstehen nicht die Logik darin, zu einem Arbeitsplatz zu pendeln, wo wir auf uns gestellt inmitten anderer arbeiten, die genauso eingekapselt sind wie wir."
Terry Gilliam hat in "The Zero Theorem" eine Art 2.0-Update seiner bizarren Zukunftsvision "Brazil" gedreht. In dieser quietschbunten Zukunftsgesellschaft - einer faszinierenden Mischung aus hypermoderner Technik und rattenverseuchten viktorianischen Häusern, Orwellschem Überwachungsstaat und greller Unterhaltungshölle - lässt sich zwischen real und virtuell nicht mehr trennen. Qohen forscht in diesem kafkaesken Labyrinth nach Sinn, was eine geheimnisvolle Macht verhindern zu wollen scheint. "The Zero Theorem" hat in seiner schillernden Sperrigkeit den Charakter eines Alterswerks – verschroben wie seine Hauptfigur, aber als absurd-pessimistischer Zukunftsentwurf wie immer bei Gilliam einzigartig im Kino.
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