Vorgespult

Brutal, überraschend und illusionslos

Leila Bekhti (Mitte) als die attraktive, geheimnisvolle Kellnerin Lou in einer undatierten Szene des Films "Bevor der Winter kommt".
Leila Bekhti (Mitte) als die attraktive, geheimnisvolle Kellnerin Lou in einer undatierten Szene des Films "Bevor der Winter kommt". © picture alliance / dpa / Fabrizio Maltese
Von Christian Berndt · 08.11.2014
Ein Taugenichts wird zum skrupellosen Sensations-Filmreporter, aus einer zufälligen Bekanntschaft entwickelt sich ein Krimi und ein Verbrechen, lässt Abgründe pathologischer Grausamkeit erkennen. Drei düstere Filme der nächsten Woche in "Vorgespult"
Filmausschnitt:"Entschuldigen Sie Sir, ich suche nach einem Job. Mein Plan ist, einen Bereich zu finden, in den ich hinein wachsen kann. Wer ich bin? Ich bin ein Arbeitstier, setze mir hohe Ziele, und man sagt mir nach, ich sei hartnäckig.“
Lou hat die Selbstvermarktungssprache der modernen Arbeitswelt vollständig drauf. Aber der Schrotthändler stellt ihn trotzdem nicht ein. Lou ist nur ein Kleinkrimineller, der wie ein einsamer Wolf auf der Suche nach Beute durchs nächtliche Los Angeles streift - ein Niemand. Bis er eines Nachts Zeuge eines Unfalls wird:
Lou beobachtet dabei einen sogenannten Nightcrawler - einen Kameramann, der Unfälle und Polizeieinsätze filmt, um die Aufnahmen brühwarm an Fernsehsender zu verkaufen. Lou ist elektrisiert: Kurzerhand legt er sich einen Camcorder und Technik zum Abhören des Polizeifunks zu - und los geht’s. Der intelligente Lou lernt schnell, und bald führt er sein Filmmaterial einem Fernsehsender vor. Die Nachrichtenchefin ist begeistert:
Filmausschnitt: "Ich möchte, dass Sie sich bei mir melden, wenn Sie etwas haben. Wir wollen Verbrechen, aber nicht alle Verbrechen. Unsere Zuschauer interessiert besonders, wie die Kriminalität aus der Stadt in die Vororte übergreift. Am besten ist also ein Opfer oder mehrere, die vorzugsweise wohlhabend und weiß sind, und ein Täter aus der Unterschicht oder einer ethnischen Minderheit."
Ein Nachrichtensender, der für die Quote Vorurteile schürt. Dan Gilroys Regiedebüt "Nightcrawler" zeichnet ein düsteres Medien- und Gesellschaftsbild. Lou ist mit seiner Fähigkeit, sich schnellstens und ohne moralische Skrupel jeglichen Erfordernissen anzupassen der ideale Arbeiter in dieser Welt - auf seiner Jagd nach Sensationen geht er buchstäblich über Leichen. Das alles wird nicht gerade subtil inszeniert, aber Lou, von Jake Gyllenhaal großartig als ausgemergelter Getriebener gespielt, ist in seiner ambivalenten Mischung aus Skrupellosigkeit und dem einsamen Bedürfnis, irgendwo dazuzugehören, eine so faszinierende Figur, dass der Film packend bis zum bitteren Ende bleibt.
Erst subtiles Drama, dann Krimi
In einem ganz anderen Milieu lebt der Protagonist des französischen Films "Bevor der Winter kommt". Paul ist ein wohlhabender Chirurg, dessen Leben hauptsächlich aus Arbeit besteht - bis ihn eines Tages die Bedienung eines Cafés anspricht:
Filmausschnitt: "Wissen Sie, ich kenne Sie. Sie haben mich operiert, Blindarm. - Nein, mein Gebiet ist die Neurochirurgie. - Doch, doch, das waren Sie. - Ich hab schon mal Kollegen vertreten, aber das ist lange her. - Ja, da war ich ganz klein. - Tut mir leid, ich erinnere mich nicht. - Sie waren sehr freundlich."
Paul irritiert das Interesse der hübschen, jungen Frau, trotzdem entwickelt sich ein vorsichtiger Kontakt. Obwohl daraus keine Affäre wird, erlebt Paul einen zweiten Frühling, der ihn und seine Familie in ziemliche Unordnung stürzt. Und mehr und mehr stellt sich die Frage, ob die Fremde ein doppeltes Spiel mit dem wohlhabenden Familienvater treibt.
Der Schriftsteller Philippe Claudel inszeniert seinen dritten Film "Bevor der Winter kommt" als leises Drama, das sich subtil zum Krimi entwickelt. Zwar fehlt es der allzu spröde erzählten Geschichte an emotionaler Spannung - aber der mit Daniel Auteuil und Kristin Scott Thomas erstklassig besetzte Film ist in vielen Nuancen so fein beobachtet und unvorhersehbar, dass er einen ganz eigenen Sog entwickelt:
Suche nach pathologischen Frauenmördern
An Spannung fehlt es dem amerikanischen Thriller "Ruhet in Frieden" zunächst überhaupt nicht. Der New Yorker Privatermittler Scudder wird für einen Mordfall engagiert:
Filmausschnitt: "Also, was kann ich für Sie tun? - Jemand hat meine Frau entführt. - Das ist ein Fall für die Polizei. - Die haben gesagt, keine Cops. - Das sagen sie doch immer. Besser, Sie wenden sich an das FBI. - Ich wende mich an Sie. - Wenn Sie mich darum bitten wollen, Lösegeld zu überbringen, das gehört nicht zu meinen Aufgaben. - Ich habe schon bezahlt. - Und ihre Frau, wo ist sie? - Sie ist tot. Die haben sie ermordet, obwohl ich bezahlt habe.“
Scudder übernimmt den Fall und beginnt mit Recherchen, die ihn nicht nur auf weitere, grauenvolle Frauenmorde stoßen, sondern auch Verbindungen zur Drogenbehörde erkennen lassen. Scott Frank beginnt "Ruhet in Frieden" atmosphärisch und spannungsvoll nach klassischer Thriller-Manier, die Suche nach den pathologischen Frauenmördern lässt an Filme wie "Das Schweigen der Lämmer" denken. Leider lässt die frühe Preisgabe der Identität der Killer die Spannung merklich abflauen. Aber Liam Neesons Darstellung des einsamen Detective in Film-Noir-Tradition hat eine Tiefe, die den Film über Schwächen der Handlung hinüber trägt.