Vordenker des Widerstandes

Rezensiert von Tilmann Lahme |
Wenig wollte man in der jungen Bundesrepublik vom Widerstand gegen Hitler wissen – er war ein gar zu deutliches Zeichen für all die Mitläufer und Wegseher, dass es durchaus andere Optionen gegeben hatte. "Vaterlandsverräter" hieß es lange Zeit. Adam von Trott ging es nicht besser.
Daran konnten auch die persönlichen Erinnerungen, Briefe und Aufsätze wenig ändern, die seine Frau Clarita zu einer Materialsammlung zusammenstellte. 1994 erschien diese Sammlung zum ersten Mal als Buch. Nun liegt es in einer erweiterten Neuausgabe vor – ein dichtes, bewegendes Porträt aus der Feder der mittlerweile 91-jährigen Witwe. "Ich brach damals nicht zusammen", schreibt sie über die Zeit nach der Enttarnung ihres Mannes, "aber der Abgrund des Entsetzens, der sich auftat, hat sich nie wieder ganz geschlossen."

Adam von Trott ist der seltene und damit herausragende Fall eines aus konservativ-adliger Familie stammenden Widerständlers, der von Beginn an für internationale Verständigung, den Ausgleich der Klassen und für Demokratie eintrat. Es ist ein großes Verdienst der Historikern Benigna von Krusentjern, in ihrer nun erschienenen Adam-von-Trott-Biografie klar und quellensatt wie nie zuvor den politischen Weg Trotts zu verdeutlichen. Zur Verwunderung seines konservativen Vaters, ehemals preußischer Kultusminister, der sich vehement gegen die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts eingesetzt hatte, wählte Adam von Trott 1930 die SPD. Überhaupt neigte er sozialistischen Ideen zu und hatte Freunde unter Arbeitern und Kommunisten.

Seine Vita klingt wie die eines heutigen hoffnungsvollen Jungakademikers: Jurastudium in Deutschland, dann Auslandsstudium und ein weiteres Examen in Oxford – zu seiner Zeit musste Trott sich diese "undeutsche Ausbildung" vorhalten lassen. Im Sommer 1933 kehrte er aus England zurück in ein Deutschland, in dem Hitler herrschte. Das "größte Wagnis" seines Lebens nannte Trott das damals und wusste noch gar nicht, wie recht er hatte. Über diese Zeit heißt es bei Benigna von Krusenstjern:

"In Sorge, nur als Parteimitglied seinen Referendardienst fortsetzen zu können, hatte sich Adam von Trott noch von Oxford aus an seinen Onkel Eberhard um Rat gewandt. Dieser hatte ihm einen Wehrsportkurs empfohlen, der außer einem möglichen 'praktischen' Nutzen ihm eine 'bessere Einführung in die neue Zeit' vermitteln würde als die 'Amtsstuben juristischer Renegaten'. [ ... ] So nahm [Adam von Trott] an einem zweiwöchigen SA-Wehrsportlager freiwillig, wenn auch widerwillig teil. [ ... ] Seine jungen Lagergefährten – alles organisierte Nazis – fand er ebenso nett wie grob, insgesamt wirkten sie auf ihn 'geistestötend', und er war dankbar, dass sie ihn nicht weiter beachteten. Die zwei Wochen kamen Trott endlos vor, aber den Einblick in diese ihm bisher gänzlich unbekannte Gesellschaft wollte er nicht missen [ ... ]."

Mehrfach wird Adam von Trott in der kommenden Zeit bedeutet, er möge in die Partei oder wenigstens in eine ihrer Nebenorganisationen eintreten – doch er bleibt eisern, nimmt schlechte Bewertungen in Kauf und verzichtet lieber auf eine glanzvolle Karriere, als seinen Überzeugungen untreu zu werden. Die Selbstständigkeit seiner Gedanken, so grotesk geht es zu, wird 1936 im Zweiten Staatsexamen ausdrücklich bemängelt.

Benigna von Krusenstjerns Ziel ist eine "lebenswarme" Biografie, eine, die nicht nur den Politiker und Hitler-Gegner in den Blick nimmt. Das ist ein tragfähiger Ansatz, der viel Neues zutage fördert, gerade über den Menschen Adam von Trott: liebend und leidend, irrend, schwankend und handelnd tritt er dem Leser gegenüber. Allerdings kann man nicht verschweigen, dass dieser Ansatz auch Schwächen offenbart: Insbesondere im ersten Teil der Biografie, in der naturgemäß wenig Spannendes geschieht, Kinderspiele gespielt werden und Milchzähne ausfallen, dreht Krusenstjern dennoch jeden Stein um, auf dem Adam von Trott einmal gesessen hat. Das ist auch vom Erzählton her zuweilen ermüdend – verliert sich aber zunehmend und zum tragischen Ende hin vollkommen.

Trotz seiner aufrechten Haltung fand Adam von Trott nach Beginn des Weltkrieges doch noch, über Umwege, Beziehungen und dank seiner Auslandserfahrungen, seinen Weg zu einer wirksamen Position. Mit Absicht: Er war jetzt zum aktiven Widerstand entschlossen, trat dafür sogar in die NSDAP ein und wollte das System von innen bekämpfen. Adam von Trott wurde Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, sammelte Kontakte zu Regimegegnern und wurde einer der wichtigsten und klügsten außenpolitischen Vordenker des Widerstandes – Krusenstjerns Biografie zeigt beeindruckend, welch ein politisches Talent hier zugrunde ging.

Seinem eigentlichen Ziel kam Adam von Trott hingegen kaum ein Stück näher. Er wollte die alliierten Kriegsgegner vom deutschen Widerstand überzeugen und Verhandlungszusagen für den Fall erwirken, dass Hitler gestürzt wird. Niemand ließ sich darauf ein, die Alliierten rückten kein Stück von ihrer Forderung nach bedingungsloser Kapitulation ab. Sie trauten auch dem Deutschen nicht so ganz, der ein gefährliches Doppelspiel spielen musste, er galt manchen als "Hitlers Meisterspion". Schließlich wagte man das Attentat auch ohne Rückendeckung des Auslands, und Adam von Trott war eine der wichtigsten Stützen Stauffenbergs, gerade in den letzten Tagen vor dem 20. Juli. Kurz nach dem missglückten Tyrannenmord folgten für Adam von Trott Enttarnung, Prozess und Hinrichtung.

Krusenstjern schreibt über die Zeit nach dem Todesurteil:

"Elf Tage sollte Adam von Trott noch leben. In dieser Zeit war er wie in den Wochen zuvor völlig isoliert. Er durfte nicht besucht werden, er durfte kein Päckchen mit Essen oder anderem Inhalt empfangen, er durfte weder Briefe schreiben noch erhalten. Niemand konnte bezeugen, ihn damals gesehen oder etwas von ihm gehört zu haben. In seinem ganzen Leben war mündlicher und schriftlicher Austausch für Trott so wichtig gewesen, jetzt am Ende umgab ihn ein großes Schweigen."

Clarita von Trotts Erinnerungsbuch und der klugen und reichhaltigen Biografie von Benigna von Krusenstjern ist es zu verdanken, dass im Jahr des 100. Geburtstages den großen Widerstandskämpfer und Politiker Adam von Trott kein Schweigen mehr umgibt.


Clarita von Trott zu Solz: "Adam von Trott zu Solz. Eine Lebensbeschreibung",
Lukas Verlag, Berlin 2009

Benigna von Krusenstjern: "dass es Sinn hat zu sterben – gelebt zu haben. Adam von Trott zu Solz 1909 - 1944",
Wallstein Verlag, Göttingen, 2009
Cover: Benigna von Krusenstjern: "dass es Sinn hat zu sterben - gelebt zu haben. Adam von Trott zu Solz 1909 - 1944"
Cover: Benigna von Krusenstjern: "dass es Sinn hat zu sterben - gelebt zu haben. Adam von Trott zu Solz 1909 - 1944"© Wallstein Verlag