Vor 40 Jahren

Spanien überlässt Marokko die West-Sahara

Dorf der Sahraouis in Smara im algerischen Exil.
Zehntausende Saharouis sind nach Algerien geflohen. © imago/Engelhardt
Von Julia Macher · 26.02.2016
Erst vor 40 Jahren, am 26. Februar 1976, zog sich Spanien aus seiner letzten Kolonie in Afrika zurück und überließ sie Marokko. Seitdem schwelt der Konflikt zwischen Marokko und den Saharauis, die für einen unabhängigen Staat auf dem Territorium kämpfen. Die West-Sahara gilt der UNO als einziges afrikanisches Gebiet, in dem die Entkolonialisierung nicht abgeschlossen ist.
In El Aaiún wird die spanische Fahne eingeholt. Die knapp 17.500 spanischen Siedler haben die Westsahara bereits vor Wochen verlassen, jetzt folgen die Soldaten und die Obrigkeit. Am 26. Februar 1976 zieht sich Spanien offiziell aus seiner letzten Kolonie in Afrika zurück. Das Territorium an der nordwestafrikanischen Atlantikküste, das seit der Berliner Kolonial-Konferenz von 1885 unter spanischer Herrschaft stand, fällt an Marokko und Mauretanien. General Federico Gómez de Salazar gibt den scheidenden Truppen mit auf den Weg:
"Hinter uns liegen angespannte Monate, in denen zu jeder Zeit ein Krieg hätte ausbrechen können. Wir haben uns streng an das Abkommen von Madrid gehalten und gehen nicht als Besiegte, auch wenn das böse Zungen behaupten."
Während die Regierung sich bemüht, den Rückzug als friedenswahrenden Erfolg zu verkaufen, zeigen sich die spanischen Diplomaten entsetzt: Statt einen unabhängigen Staat zu gründen oder der ehemaligen Kolonialmacht über Assoziierungsabkommen verbunden zu bleiben, hat in der West-Sahara nun ein Drittstaat das Sagen.
Am Tag nach dem spanischen Abzug ruft die Frente Polisario, die militärische Unabhängigkeitsorganisation, die Demokratische Arabische Republik Sahara aus. Ein 15-jähriger Guerilla-Kampf gegen die neuen marokkanischen Machthaber beginnt. Zehntausende Saharauis fliehen vor der marokkanischen Armee in die Wüste Richtung Algerien. Viele fühlen sich verraten: Immer wieder hatte Spanien – auf Druck der Vereinten Nationen – ein Referendum über die politische Zukunft versprochen, die Entkolonialisierungspläne jedoch verschleppt.
Der Historiker José Luis Rodríguez Jiménez hat das Ende der spanischen Herrschaft in seinem Buch "Agonie, Verrat und Flucht" analysiert.
"Spanien hatte mehrfach das Recht auf Selbstbestimmung versprochen. Aber in den letzten Monaten des Jahres 1975 legte die Regierung den Rückwärtsgang ein und übergab das Gebiet an Marokko. Dieser Kurswechsel erklärt sich auch vor dem Hintergrund der ungeklärten Nachfolge Francos. Der Diktator war über 80 und bereits schwer krank, in Spanien kämpften Reformer und Bewahrer um die Macht, da verliefen die Entscheidungsprozesse anders als gewöhnlich. Die meisten Franquisten konzentrierten sich auf die Innenpolitik, auch um das eigene politische Überleben zu sichern."

Marokko wusste die Situation zu nutzen

Das Land reklamierte seit den 70er Jahren "historische Rechte" auf die rohstoffreiche Region. Von einer Eingliederung der West-Sahara versprach sich der marokkanische Herrscher außerdem eine Stärkung seiner innenpolitischen Position. Am 5. November 1975 verkündete König Hassan der Zweite im Rundfunk die "friedliche Invasion" des Gebiets.
Unbewaffnet, mit dem Koran in der Hand, zogen Hunderttausende marokkanische Männer und Frauen Richtung Süden, auf spanisches Gebiet. Die Weltöffentlichkeit war irritiert, die UNO reagierte konfus. Während Franco dahinsiechte, trafen sich spanische und marokkanische Minister und Vertreter der Königshäuser zu Geheimverhandlungen.

Am 14. November schließlich wurde das "Dreiseitige Abkommen" über die Zukunft der West-Sahara unterzeichnet: die Grundlage für den Rückzug Spaniens. Der damalige Informationsminister León Herrera Esteban:
"Spanien ist innerhalb seiner Möglichkeiten dazu bereit, eine vorübergehende Verwaltung unter Beteiligung von Marokko, Mauretanien und der saharauischen Bevölkerung zu errichten. Es ist wichtig, dass dabei die Meinung des saharauischen Volkes respektiert wird."
Doch dazu konsultierte Marokko auch in den Folgejahren lediglich einige Stammesfürsten; auf ein Referendum wartet die Bevölkerung bis heute. Spanien sei es nicht gelungen, für seine Kolonie gemeinsam mit der Bevölkerung und der Internationalen Gemeinschaft eine langfristige Strategie zu entwickeln, sagt Rodríguez Jiménez. Stattdessen habe man sich überstürzt aus der Affäre gezogen:
"Spanien war Marokko militärisch überlegen, das Risiko eines Krieges war minimal. Der grüne Marsch war in erster Linie ein politischer Schachzug Marokkos, den Spanien als letzten Vorwand nutzte, um sich zurückzuziehen."
Marokko und die Frente Polisario haben 1991 einen Waffenstillstand vereinbart. Doch der Konflikt schwelt weiter. Immer noch leben über 100.000 Flüchtlinge in Zeltstädten im benachbarten Algerien. Der UNO gilt die West-Sahara als einziges afrikanisches Gebiet, in dem die Entkolonialisierung noch nicht abgeschlossen ist.
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