Vor 100 Jahren wurde der Atlantik überflogen

Ein Meilenstein der Luftfahrtgeschichte

Coloriertes Foto eines Vickers Vimy Bombers, mit dem John Alcock und Arthur Brown geflogen
Heute ist ein Nonstopflug über den Atlantik alltäglich - vor 100 Jahren war es eine Sensation. © imago images / United Archives International/ WHA
Von Ulrike Rückert · 14.06.2019
John Alcock und Arthur Whitten Brown flogen als erste Menschen über den Atlantik. Dem für waghalsige Risikofreude bekannten Testpiloten und dem peniblen, pflichtbewussten Ingenieur gelang das Meisterstück bereits 1919 - acht Jahre vor Charles Lindbergh.
Wer flog zuerst nonstop über den Atlantik? Nicht Charles Lindbergh, sondern John Alcock und Arthur Whitten Brown vollbrachten die Pioniertat acht Jahre vor dem Superstar – im wohl größten Wettrennen der Luftfahrtgeschichte.
John Alcock (links) und Arthur Brown stehen vor einem Flugzeug und schauen in die Kamera.
Gefeiert und zum Ritter geschlagen: Der Pilot John Alcock (links) und sein Ingenieur Arthur Whitten Brown absolvierten als erste Menschen einen Nonstop-Transatlantik-Flug.© imago / Ken Welsh
Schlagzeilen wie "Ozeanflüge in sechs Monaten! - Bald Luftschiffe über Atlantik!" waren kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs beidseits des Atlantiks zu lesen. Schon 1913 hatte die englische Zeitung "Daily Mail" einen Preis von 10.000 Pfund für den ersten Flug über den Ozean ausgesetzt. Was damals wie Science Fiction klang, schien nun möglich.
"Die spektakuläre Entwicklung der Luftfahrt im Kriege hat die Erwartungen ihrer optimistischsten Befürworter weit übertroffen, und dieser Erfolg hat viele in eine milde Form von Rausch versetzt", spöttelte die "New York Times".
Nicht nur die Technik hatte einen Sprung gemacht: Aus Tüftlerwerkstätten waren große Fabriken geworden. Eine Industrie, die nur für das Militär produziert hatte und zum Überleben nun eine zivile Luftfahrt brauchte.

Ein Wettrennen beginnt

Einige kündigten schon kühn die Eröffnung transatlantischer Fluglinien an. Aber noch war es niemandem gelungen, den Atlantik in der Luft zu überqueren. Flieger aus vielen Ländern gingen ins Rennen um den Preis der "Daily Mail". Fast alle wollten von Neufundland nach Irland fliegen: die Strecke ist die kürzeste, die Richtung wegen der Winde günstiger.
Der Erste auf der Insel vor der kanadischen Küste war, im März 1919, Englands Fliegerstar Harry Hawker. Nebel und Sturm hielten ihn dort noch fest, als mit Freddie Raynham ein zweiter prominenter Kandidat ankam.
"Es ist jetzt möglich, dass sich beide Maschinen ein Wettrennen mit Vollgas über den Ozean liefern!"
Mitte April gingen zwei andere Briten in Führung, als sie in England zum Flug von Ost nach West starteten. Doch ihre Reise endete in der Irischen See. Die Augen der Welt richteten sich wieder auf Neufundland, wo Hawker und Raynham noch immer auf gutes Wetter harrten. Da landeten dort im Mai drei Flugboote der US-Marine, um über die Azoren nach Lissabon zu fliegen. Sie konkurrierten nicht um das Preisgeld, aber, so der Marineminister: "Wir wollen die Ehre, als erste hinübergekommen zu sein."

US-Flugboote erreichen Lissabon

Nun ließen Hawker und Raynham alle Vorsicht fahren, um ihnen auf der Direktroute zuvorzukommen. Eine Sturmbö demolierte Raynhams Maschine beim Start, aber Hawker brummte aufs Meer hinaus.
"Hawker und sein Navigator trotzen dem Tode, um die Yankees zu schlagen!"
Sie verloren. Ein Frachter fischte sie aus dem Meer. Zwar scheiterten auch zwei der Flugboote, doch eins erreichte Lissabon. Der Atlantik war überflogen.
"Sobald bekannt wurde, dass die Marine der Vereinigten Staaten den Rekord errungen hat, waren die britischen Flieger entschlossen, dass Britannien diese Leistung mit einem Nonstopflug übertreffen sollte."
Jetzt waren auch der Berufspilot John Alcock und der Ingenieur Arthur Whitten Brown im Rennen. Um die Wette mit einem weiteren neuen Team bauten sie auf Neufundland ihre Maschine zusammen – beide waren gleichzeitig fertig. Der Wind blies noch stürmisch am Morgen des 14. Juni 1919, als Alcock und Brown hörten, ihre Rivalen seien am Start. Ihr Entschluss fiel sofort.

Landung nach 16,5 Stunden Flug

Kurz nach Mittag hoben sie ab, im offenen Cockpit verpackt in elektrisch beheizte Anzüge. Die meiste Zeit flogen sie in Nebel und dichten Wolken. Völlig desorientiert, konnte Alcock einen Absturz erst dicht über den Wogen abfangen. Obwohl der Navigator Brown kaum eine Position bestimmen konnte, hielt er den Kurs. Nach 16,5 Stunden landeten sie an der Küste Irlands.
"Atlantikpreis gewonnen! Britischer Luftsieg! Alcock und Brown die Helden!" triumphierte die "London Times". Menschenmengen und Blaskapellen säumten ihren Weg nach London. König Georg V. schlug sie zu Rittern. Doch die Visionen von regem Flugverkehr über den Atlantik blieben vorerst unerfüllt. Und als Charles Lindbergh 1927 von New York nach Paris flog, waren Alcock und Brown schon fast vergessen.
Mehr zum Thema