Von Schraubern und schrulligen Experimentierern
In diesem Buch über den Zweiten Weltkrieg holt der US-amerikanische Historiker Paul Kennedy die „stillen Helden“ der Alliierten aus der Versenkung: die tüftelnden Techniker und die testenden Militärs, ohne deren Hilfe der Krieg nicht hätte gewonnen werden können.
„Dieses Buch versucht eine neue Sichtweise auf den Zweiten Weltkrieg.“
Wer mit diesem Satz heute ein Buch beginnt – mehr als 65 Jahre nach Ende des Krieges und nach Büchern über den Krieg, mit denen ganze Bunker gefüllt werden können – der sollte wirklich Neues zu bieten haben. Paul Kennedy beginnt mit diesem gewagten Satz sein Buch, und er hat tatsächlich ungewohnte Einblicke zu bieten. Man muss sich ja nur die „Fragen eines lesenden Arbeiters“ von Bertolt Brecht stellen: „Der junge Alexander eroberte Indien. Er allein? Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“ Diese Fragen stellt Paul Kennedy und er beantwortet sie.
Der britische Kriegspremier Winston Churchill und US-Präsident Franklin D. Roosevelt trafen sich vom 14. bis zum 26. Januar 1943 im marokkanischen Casablanca. Dort verkündeten sie als Kriegsziel die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches und peilten eine Landung auf dem europäischen Festland an. Aber sie mussten sich auf der Casablanca-Konferenz von ihren höchsten Militärs auch sagen lassen, dass in den USA so viel Kriegsmaterial wie möglich produziert werden könne – dass dies alles aber nichts nutze, solange die deutschen U-Boote die Truppentransporte und Nachschubkonvois auf dem Atlantischen Ozean fast ungestört versenken könnten.
Churchill und Eisenhower bewältigten die Probleme und schlugen schließlich die Deutschen, gemeinsam mit Stalin. Und sie hatten John Randall und Harry Boot bei sich. Die beiden britischen Physiker entwickelten ein kleines Radargerät für alliierte Kriegsschiffe und Aufklärungsflugzeuge, mit dem endlich die gefährlichen deutschen U-Boot-Rudel bekämpft werden konnten. Sie hatten Ronnie Harker und Witold Challier bei sich – der eine Testpilot, der andere Flugzeugingenieur. Die beiden testeten immer wieder neue Flugzeugmotoren, bis schließlich mit dem „Mustang-Jäger“ ein hoch effizientes Jagdflugzeug die britischen und amerikanischen Bomberverbände auf ihren Flügen über Deutschland schützen konnte. Und Stalin hatte den Ingenieur Michail Koschkin bei sich, der vor dem Krieg den Panzer T-34 entwickelte, der durch amerikanische Expertise während des Krieges perfektioniert wurde. Es ging dabei nicht um Wunderwaffen. Es ging um ständige Verbesserungen vermeintlich kleiner Erfindungen mit gigantischer Wirkung. Im Sinne der alliierten „Kultur der Ermutigung“ durfte auch mal daneben gelangt werden und noch mal getestet und noch mal.
„Nicht durch materielle Überlegenheit, sondern durch menschliche Einfallskraft und gemeinsame Initiativen sind die Schlachten gewonnen worden“, meint Paul Kennedy: „Tausende von Frachtschiffen zu bauen, würde den Krieg nicht gewinnen, wenn man keinen Weg fand, Dönitz‘ große U-Boot-Wolfsrudel im Zentralatlantik zu schlagen“ und „10.000 T-34- Panzer waren nur ein großer Haufen Stahl, bis jemand die Lösung fand, wie man sie mit Treibstoff, Öl und Munition versorgte.“
Paul Kennedy holt die „stillen Helden“ aus der Versenkung: die tüftelnden Techniker und die testenden Militärs – „das Personal der mittleren Ebene“, denen wir jene „effizienten Systeme“ verdanken, ohne die der alliierte „Sieg unerreichbar geblieben“ wäre. Den britischen Flieger Verd Leigh, der die starken Suchscheinwerfer für Patrouillenflugzeuge auf der U-Boot-Jagd entwarf. Oder den US-Admiral Ben Moreell, der die am Ende 325.000 Mann starke Truppe der „Seabees“ schuf: die „Seebienen“ aus der Bauwirtschaft, die früher als Bauarbeiter und Elektriker Staudämme, Straßen und Wolkenkratzer gebaut hatten, und nun bei der Landung in der Normandie und im pazifischen Kriegsschauplatz die nötige Infrastruktur aufbauten.
All diesen und noch vielen anderen „vernachlässigten Vertretern der mittleren Ebene, die die Große Strategie der Alliierten in die Tat umsetzten“, setzt Paul Kennedy ein Denkmal: den Schraubern und manchmal recht schrulligen Experimentierern, die aus der materiellen Überlegenheit der Alliierten auch die militärische Überlegenheit machten. Ein Buch in lockerem Erzählstil, das auch dem Laien die Finessen militär-technischer Neuerungen verstehbar macht – und tatsächlich eine neue Sicht auf den Zweiten Weltkrieg bietet.
Besprochen von Klaus Pokatzky
Paul Kennedy: Die Casablanca-Strategie – Wie die Alliierten den Zweiten Weltkrieg gewannen. Januar 1943 bis Juni 1944
Aus dem Englischen übersetzt von Martin Richter
C.H. Beck, München 2012
448 Seiten, 24,95 Euro
Wer mit diesem Satz heute ein Buch beginnt – mehr als 65 Jahre nach Ende des Krieges und nach Büchern über den Krieg, mit denen ganze Bunker gefüllt werden können – der sollte wirklich Neues zu bieten haben. Paul Kennedy beginnt mit diesem gewagten Satz sein Buch, und er hat tatsächlich ungewohnte Einblicke zu bieten. Man muss sich ja nur die „Fragen eines lesenden Arbeiters“ von Bertolt Brecht stellen: „Der junge Alexander eroberte Indien. Er allein? Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“ Diese Fragen stellt Paul Kennedy und er beantwortet sie.
Der britische Kriegspremier Winston Churchill und US-Präsident Franklin D. Roosevelt trafen sich vom 14. bis zum 26. Januar 1943 im marokkanischen Casablanca. Dort verkündeten sie als Kriegsziel die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches und peilten eine Landung auf dem europäischen Festland an. Aber sie mussten sich auf der Casablanca-Konferenz von ihren höchsten Militärs auch sagen lassen, dass in den USA so viel Kriegsmaterial wie möglich produziert werden könne – dass dies alles aber nichts nutze, solange die deutschen U-Boote die Truppentransporte und Nachschubkonvois auf dem Atlantischen Ozean fast ungestört versenken könnten.
Churchill und Eisenhower bewältigten die Probleme und schlugen schließlich die Deutschen, gemeinsam mit Stalin. Und sie hatten John Randall und Harry Boot bei sich. Die beiden britischen Physiker entwickelten ein kleines Radargerät für alliierte Kriegsschiffe und Aufklärungsflugzeuge, mit dem endlich die gefährlichen deutschen U-Boot-Rudel bekämpft werden konnten. Sie hatten Ronnie Harker und Witold Challier bei sich – der eine Testpilot, der andere Flugzeugingenieur. Die beiden testeten immer wieder neue Flugzeugmotoren, bis schließlich mit dem „Mustang-Jäger“ ein hoch effizientes Jagdflugzeug die britischen und amerikanischen Bomberverbände auf ihren Flügen über Deutschland schützen konnte. Und Stalin hatte den Ingenieur Michail Koschkin bei sich, der vor dem Krieg den Panzer T-34 entwickelte, der durch amerikanische Expertise während des Krieges perfektioniert wurde. Es ging dabei nicht um Wunderwaffen. Es ging um ständige Verbesserungen vermeintlich kleiner Erfindungen mit gigantischer Wirkung. Im Sinne der alliierten „Kultur der Ermutigung“ durfte auch mal daneben gelangt werden und noch mal getestet und noch mal.
„Nicht durch materielle Überlegenheit, sondern durch menschliche Einfallskraft und gemeinsame Initiativen sind die Schlachten gewonnen worden“, meint Paul Kennedy: „Tausende von Frachtschiffen zu bauen, würde den Krieg nicht gewinnen, wenn man keinen Weg fand, Dönitz‘ große U-Boot-Wolfsrudel im Zentralatlantik zu schlagen“ und „10.000 T-34- Panzer waren nur ein großer Haufen Stahl, bis jemand die Lösung fand, wie man sie mit Treibstoff, Öl und Munition versorgte.“
Paul Kennedy holt die „stillen Helden“ aus der Versenkung: die tüftelnden Techniker und die testenden Militärs – „das Personal der mittleren Ebene“, denen wir jene „effizienten Systeme“ verdanken, ohne die der alliierte „Sieg unerreichbar geblieben“ wäre. Den britischen Flieger Verd Leigh, der die starken Suchscheinwerfer für Patrouillenflugzeuge auf der U-Boot-Jagd entwarf. Oder den US-Admiral Ben Moreell, der die am Ende 325.000 Mann starke Truppe der „Seabees“ schuf: die „Seebienen“ aus der Bauwirtschaft, die früher als Bauarbeiter und Elektriker Staudämme, Straßen und Wolkenkratzer gebaut hatten, und nun bei der Landung in der Normandie und im pazifischen Kriegsschauplatz die nötige Infrastruktur aufbauten.
All diesen und noch vielen anderen „vernachlässigten Vertretern der mittleren Ebene, die die Große Strategie der Alliierten in die Tat umsetzten“, setzt Paul Kennedy ein Denkmal: den Schraubern und manchmal recht schrulligen Experimentierern, die aus der materiellen Überlegenheit der Alliierten auch die militärische Überlegenheit machten. Ein Buch in lockerem Erzählstil, das auch dem Laien die Finessen militär-technischer Neuerungen verstehbar macht – und tatsächlich eine neue Sicht auf den Zweiten Weltkrieg bietet.
Besprochen von Klaus Pokatzky
Paul Kennedy: Die Casablanca-Strategie – Wie die Alliierten den Zweiten Weltkrieg gewannen. Januar 1943 bis Juni 1944
Aus dem Englischen übersetzt von Martin Richter
C.H. Beck, München 2012
448 Seiten, 24,95 Euro