Von Mördern, Teufeln und anderen Hassobjekten
Über die, die uns und die wir hassen, schreibt Reinhard Kreissl in "Feinde - Alle, die wir brauchen". Der Leser trifft auf Kriminelle, Teufel, Emanzen und Schiedsrichter. Und weil der Autor Soziologe ist, lösen sich manchmal die Gefühle auch wieder in Luft auf, ganz nach dem Motto: Je genauer der Blick, desto substanzloser das Vorurteil.
Der Paranoiker entdeckt sie in jedem Passanten, unsere lieben Feinde, und selbst einen halbwegs unaufgeregten Menschen hält mindestens ein Dutzend davon in Schach. Was wäre das Leben ohne sie? Langweilig auf jeden Fall, aber auch komplizierter und anstrengender, denn Feinde halten unliebsame Gedanken, störende Selbsterkenntnisse und unbewusste Wünsche von uns fern. Dem Feinde zugesprochen und bei ihm als "böse" dingfest gemacht, beschwert sie unser Gemüt nicht mehr. Aber ist der Feind als kollektives Wesen - sprich als Feindbild - nicht gar ein Indikator gesellschaftlicher Missstände?
"Es handelt sich bei den hier vorgelegten Analysen und Sottisen also auch um ein Stück Gesellschaftstheorie und Zeitdiagnose, wie sie die Sozialwissenschaft in bierernsten Büchern gelegentlich auch noch versucht. Ein bisschen so etwas wie Fröhliche Wissenschaft","
konstatiert Reinhard Kreissl zu Beginn seines süffisanten "Feinde"-Breviers. Statt trockene Statistik und einen unerfreulichen Fachjargon bietet der habilitierte Akademiker soziologische Belletristik an. Mithin eine Gattung, die sich die Klassiker des Fachs noch zu schreiben trauten, deren Nachfolger aber scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Apropos Teufel - er ist einer jener Feinde und haust in der "vierten Abteilung" des Buchs namens Klassiker.
Unwillkürlich sieht man ein emailliertes Türschild vor Augen, wie es einst in düsteren Heilanstalten verwendet wurde - "Erste Abteilung: Die uns bedrohen", "Fünfte Abteilung: Klassiker" -, und diese Empfindung dürfte dem Autor gar nicht unlieb sein. Reinhard Kreissl nimmt uns zur Visite in eine Welt mit, die zwischen Panoptikum, Psychiatrie und Gefängnis changiert. Der Kriminelle etwa ist der Feind par excellence. Aber wie kommt er überhaupt zu dieser erdrückenden Daseinszuschreibung? Rackert er sich quasi hauptberuflich 24 Stunden am Tag als Verbrecher ab?
""Der Kriminelle, das wusste schon der alte Hegel, ist genau genommen eine Fiktion. Was, so räsoniert er in seiner Rechtsphilosophie vor sich hin, macht denn den Mörder, der auf dem Weg zum Galgen ist, aus: Gut, er hat einen anderen umgebracht, das wollen wir nicht leugnen. Aber war das nicht nur ein kurzer Moment seines Lebens? Das Recht und alle, die ihn auf diesem letzten Weg beobachten, sehen nur das Mörderhaft-Monströse an ihm. Dabei war er die meiste Zeit mit anderen Dingen beschäftigt, hat gelebt wie alle anderen auch, hat geliebt und gelitten und war ein Mensch, der seinen Geschäften und Trieben nachging - das sollte man bitte nicht vergessen, mahnt uns der Philosoph."
So ist das nämlich mit den Feindbildern, und hier bleibt der Soziologe Kreissl der Aufklärung treu: Je genauer der Blick, desto substanzloser das Vorurteil. Als sehr beliebt - "Zweite Abteilung: Die man uns vorführt" - erweist sich etwa die neue Unterschicht. Was man ihr von höherer Warte aus vorwirft, nämlich einer hemmungslos diesseitigen Welthaltung zu frönen und einzig Lust- und Konsumbefriedigung anzustreben, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als durchaus gesellschaftskonform. Man könnte sogar sagen: Hier marschiert die Avantgarde der Marktwirtschaft.
"Die wirklich souveränen Konsumenten sind die Angehörigen der neuen Unterschicht. Denn sie haben nichts, was sie in ihren Entscheidungen behindern könnte, weder innere Hemmungen noch äußere Verpflichtungen. Schon die Popmusik wusste: Freedom is just another word for nothing left to lose. Sie hängen nicht am Geld, sie geben es aus, wenn es da ist. Sie konsumieren, was man ihnen anbietet, denn etwas anderes gibt es für sie nicht."
Wie im 19. Jahrhundert Hausfrauenlexika getarnte Benimmbücher waren, so stellt Reinhard Kreissls feuilletonistische Sammlung in Wahrheit eine kleine Moralfibel über letzte Fragmente des richtigen Lebens im Falschen dar. Dabei zeigt sich, dass gerade diejenigen, die die Moral für sich lautstark in Anspruch nehmen, sehr rasch zum Feindbild all jener werden, denen Pharisäertum jeglicher Art auf die Nerven geht.
Die Mülltrennerin, der Kommunist oder die Emanze gehören in diese Kategorie. Und damit er nicht selbst darunter fällt, ziseliert der Autor seine Betrachtungen und Analysen mit feiner Ironie. Die macht es dann schwer, ihm seinerseits Versäumnisse anzukreiden. Schiedsrichter im Sport zum Beispiel wären einer Betrachtung wert gewesen: Jeder hasst sie - aber alle Beteiligten unterwerfen sich folgsam ihrem Urteil. Vielleicht hat Kreissl aber auch bewusst darauf verzichtet, weil bei Schiedsrichtern das Verhältnis zwischen Autorität und der von ihr provozierten Feindschaft eine irrige Klarheit vorgaukelt. Autorität kann auch ganz anders auftreten:
"Mein alter Religionslehrer am Gymnasium, ein bei seinen Oberen in Ungnade gefallener katholischer Priester, pflegte im Angesicht der Rüpeleien von uns pubertierenden Jugendlichen in seinem Unterricht immer freundlich lächelnd zu sagen: Nichts verdrängen, immer an die Neurosen denken! Mit großer Souveränität parierte er damit unsere Versuche, wider den Stachel der Disziplin zu locken. In diesem Geiste ist auch dieses Buch geschrieben."
Reinhard Kreissl: Feinde - Alle, die wir brauchen
Diederichs Verlag, München 2008
"Es handelt sich bei den hier vorgelegten Analysen und Sottisen also auch um ein Stück Gesellschaftstheorie und Zeitdiagnose, wie sie die Sozialwissenschaft in bierernsten Büchern gelegentlich auch noch versucht. Ein bisschen so etwas wie Fröhliche Wissenschaft","
konstatiert Reinhard Kreissl zu Beginn seines süffisanten "Feinde"-Breviers. Statt trockene Statistik und einen unerfreulichen Fachjargon bietet der habilitierte Akademiker soziologische Belletristik an. Mithin eine Gattung, die sich die Klassiker des Fachs noch zu schreiben trauten, deren Nachfolger aber scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Apropos Teufel - er ist einer jener Feinde und haust in der "vierten Abteilung" des Buchs namens Klassiker.
Unwillkürlich sieht man ein emailliertes Türschild vor Augen, wie es einst in düsteren Heilanstalten verwendet wurde - "Erste Abteilung: Die uns bedrohen", "Fünfte Abteilung: Klassiker" -, und diese Empfindung dürfte dem Autor gar nicht unlieb sein. Reinhard Kreissl nimmt uns zur Visite in eine Welt mit, die zwischen Panoptikum, Psychiatrie und Gefängnis changiert. Der Kriminelle etwa ist der Feind par excellence. Aber wie kommt er überhaupt zu dieser erdrückenden Daseinszuschreibung? Rackert er sich quasi hauptberuflich 24 Stunden am Tag als Verbrecher ab?
""Der Kriminelle, das wusste schon der alte Hegel, ist genau genommen eine Fiktion. Was, so räsoniert er in seiner Rechtsphilosophie vor sich hin, macht denn den Mörder, der auf dem Weg zum Galgen ist, aus: Gut, er hat einen anderen umgebracht, das wollen wir nicht leugnen. Aber war das nicht nur ein kurzer Moment seines Lebens? Das Recht und alle, die ihn auf diesem letzten Weg beobachten, sehen nur das Mörderhaft-Monströse an ihm. Dabei war er die meiste Zeit mit anderen Dingen beschäftigt, hat gelebt wie alle anderen auch, hat geliebt und gelitten und war ein Mensch, der seinen Geschäften und Trieben nachging - das sollte man bitte nicht vergessen, mahnt uns der Philosoph."
So ist das nämlich mit den Feindbildern, und hier bleibt der Soziologe Kreissl der Aufklärung treu: Je genauer der Blick, desto substanzloser das Vorurteil. Als sehr beliebt - "Zweite Abteilung: Die man uns vorführt" - erweist sich etwa die neue Unterschicht. Was man ihr von höherer Warte aus vorwirft, nämlich einer hemmungslos diesseitigen Welthaltung zu frönen und einzig Lust- und Konsumbefriedigung anzustreben, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als durchaus gesellschaftskonform. Man könnte sogar sagen: Hier marschiert die Avantgarde der Marktwirtschaft.
"Die wirklich souveränen Konsumenten sind die Angehörigen der neuen Unterschicht. Denn sie haben nichts, was sie in ihren Entscheidungen behindern könnte, weder innere Hemmungen noch äußere Verpflichtungen. Schon die Popmusik wusste: Freedom is just another word for nothing left to lose. Sie hängen nicht am Geld, sie geben es aus, wenn es da ist. Sie konsumieren, was man ihnen anbietet, denn etwas anderes gibt es für sie nicht."
Wie im 19. Jahrhundert Hausfrauenlexika getarnte Benimmbücher waren, so stellt Reinhard Kreissls feuilletonistische Sammlung in Wahrheit eine kleine Moralfibel über letzte Fragmente des richtigen Lebens im Falschen dar. Dabei zeigt sich, dass gerade diejenigen, die die Moral für sich lautstark in Anspruch nehmen, sehr rasch zum Feindbild all jener werden, denen Pharisäertum jeglicher Art auf die Nerven geht.
Die Mülltrennerin, der Kommunist oder die Emanze gehören in diese Kategorie. Und damit er nicht selbst darunter fällt, ziseliert der Autor seine Betrachtungen und Analysen mit feiner Ironie. Die macht es dann schwer, ihm seinerseits Versäumnisse anzukreiden. Schiedsrichter im Sport zum Beispiel wären einer Betrachtung wert gewesen: Jeder hasst sie - aber alle Beteiligten unterwerfen sich folgsam ihrem Urteil. Vielleicht hat Kreissl aber auch bewusst darauf verzichtet, weil bei Schiedsrichtern das Verhältnis zwischen Autorität und der von ihr provozierten Feindschaft eine irrige Klarheit vorgaukelt. Autorität kann auch ganz anders auftreten:
"Mein alter Religionslehrer am Gymnasium, ein bei seinen Oberen in Ungnade gefallener katholischer Priester, pflegte im Angesicht der Rüpeleien von uns pubertierenden Jugendlichen in seinem Unterricht immer freundlich lächelnd zu sagen: Nichts verdrängen, immer an die Neurosen denken! Mit großer Souveränität parierte er damit unsere Versuche, wider den Stachel der Disziplin zu locken. In diesem Geiste ist auch dieses Buch geschrieben."
Reinhard Kreissl: Feinde - Alle, die wir brauchen
Diederichs Verlag, München 2008

Reinhard Kreissl: Feinde© Diederichs Verlag