Von Guatemala nach El Paso

Trumps Politik verstärkt Flucht

26:42 Minuten
Ein Abschnitt des US-Mexiko-Grenzzauns von Tijuana im Bundesstaat Baja California, Mexiko
Über die 3000 Kilometer lange Grenze zwischen den USA und Mexiko kamen im April rund 100.000 Menschen - vor allem aus Mittelamerika. © AFP / Guillermo Arias
Von Anne-Katrin Mellmann und Thilo Kößler · 17.06.2019
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Aus Guatemala, Honduras und El Salvador flüchten Menschen vor Korruption, Bandenkriminalität und Armut in die USA. Dagegen wettert US-Präsident Trump. Gleichzeitig gehört er zu denen, die Guatemalas autoritären Präsidenten Morales unterstützten.
Dass Menschen aus Guatemala in die USA fliehen, hat viel mit dem scheidenden Präsidenten Jimmy Morales zu tun. Der autoritäre Politiker, gegen den Korruptionsermittlungen laufen, wurde von Donald Trump unterstützt. Der US-Präsident will morgen in Florida den Wahlkampf für seine Wiederwahl starten.
Schon gestern konnten die Guatemalteken über die Nachfolge von Jimmy Morales entscheiden. Nach der erste Runde der Präsidentschaftswahl ziehen vorraussichtlich die Mitte-Links-Kandidatin Sandra Torres und der Konservative Alejandro Eduardo Giammattei in die Stichwahl ein.
Sandra Torres, Mitte-Links-Kandidatin bei der Präsidentschaftswahl in Guatemala
Mitte-Links-Kandidatin Sandra Torres erhielt 25 Prozent im ersten Wahlgang.© AP/Moises Castillo
Die zweite Runde ist am 11. August. Wer ins höchste Staatsamt gewählt wird, erbt große Aufgaben: Armut, Korruption und Gewalt bestimmen den Alltag von vielen der 17 Millionen Guatemalteken.

Entweder mitmachen, sterben oder fliehen

65 Mädchen spielen und lernen zusammen. In der Unterkunft der Nichtregierungsorganisation "Alianza" in Guatemala-Stadt leben sie in Sicherheit. Viele sind bereits Mütter, die Zahl minderjähriger Schwangerer ist von 2017 bis 2018 um fast 27 Prozent gestiegen. Viele der Mädchen wurden missbraucht, zur Prostitution gezwungen oder zur Mitgliedschaft in einer der Jugendbanden, der "Maras".
Die "Maras" treiben ihr Unwesen in den Armenvierteln Mittelamerikas und verdienen ihr Geld vor allem mit Schutzgelderpressung. Die 17-jährige Daniela Vasquez ist seit einem Jahr Mutter. Bevor sie bei "Alianza" Schutz fand, musste sie für eine "Mara" Botendienste erledigen.
"Fast alle Kinder und Jugendlichen in meiner Wohngegend sind Mara-Mitglieder. Es gibt niemanden, der nicht mitmacht. Das ist unmöglich. Entweder, du machst mit, oder du wirst umgebracht - oder du fliehst."
Wer fliehen muss, geht nach Norden, in die USA. Aussteigerinnen wie Daniela erarbeiten bei "Alianza" ihren "plan de vida", einen Lebensplan, der Migration nicht vorsieht, sondern Schule und geregeltes Einkommen in Guatemala. In der Hauptstadt ist das noch möglich.

"Diese Migration ist eine Form der Vertreibung"

Auf dem Land, wo die indigenen Mayavölker leben, haben Armut und Unterernährung extreme Ausmaße angenommen. Auch deshalb sei die Zahl der Migranten stark gestiegen, erklärt Menschenrechtsaktivistin Andrea Ixchiú, vom Volk der Quiché:
"Die Indigenen haben lange für ihre Rechte und ihre freie Selbstbestimmung gekämpft, eigene wirtschaftliche Modelle entwickelt. Aber in diesem Staat haben sie keinen Verbündeten gefunden."
Die Ungleichheit habe sich weiter verschärft, so die Menschenrechtlerin:
"Öffentliche Gelder dienen dazu, die regierende Elite und ihre kriminellen Netzwerke noch reicher zu machen. Für Bildung und Gesundheit wird das Geld nicht verwendet. Monokulturen, Wasserkraftwerke und Minen nehmen den Ureinwohnern ihren Lebensraum. Das Land ist in den Händen einiger weniger. Die Migration, die wir heute sehen, ist eine Form der Vertreibung. Weil die Menschen keine Arbeit finden, gehen sie in die USA."
Der Präsident von Guatemala, Jimmy Morales, im Juni 2017 auf einer Konferenz in Paris.
Jimmy Morales arbeitete vor seinem Sieg bei der Präsidentschaftswahl 2015 in Guatemala als Komiker.© picture-alliance / dpa / MAXPPP / Leon Tanguy
Hinzu kommen Unsicherheit und Gewalt sowie lang anhaltende Dürreperioden oder Überschwemmungen und Erdrutsche wegen des Klimawandels. Trotz der in den vergangenen Monaten gestiegenen Zahl von Migranten habe keiner der mehr als 20 Kandidaten für die Präsidentschaft einen Plan für ein besseres Guatemala, geschweige denn ein wirtschaftspolitisches Konzept, beklagt Ökonom Wilson Romero von der Universität Rafael Landívar:
"Die Migration reflektiert das Scheitern des Entwicklungsmodells der letzten Jahrzehnte. Unsere Wirtschaft gilt zwar als erfolgreich. Aus makroökonomischer Sicht sind wir eines der stabilsten Länder Lateinamerikas. Trotzdem sind wir das ärmste Land mit der größten sozialen Ungleichheit. Unser Modell ist neoliberal mit monopolistischen Machtstrukturen."
Der Staat sei die Beute einiger weniger, die sich durch einen "Pakt der Korrupten" gegenseitig schützen. Auch das mache es so schwer, die Strukturen zu ändern, die noch aus der Kolonialzeit stammen, meint der Wirtschaftswissenschaftler. Trotz eines durchschnittlichen Wachstums von 3,5 Prozent im Jahr sei die Armutsquote auf 59 Prozent geklettert.

Zusammenhang Migration und Korruption

Hoffnung machte vielen Guatemalteken die zwölf Jahre lange Arbeit der UN-Kommission gegen Straflosigkeit und Korruption (CICIG) im Zusammenspiel mit der mutigen Generalstaatsanwältin Thelma Aldana. Sogar einen kriminellen Präsidenten brachten sie hinter Gitter. In 60 von 110 Fällen habe die CICIG Mafianetzwerke aufgedeckt, berichtet ihr Sprecher Matias Ponce.
Als die Kommission jedoch begann, wegen illegaler Wahlkampffinanzierung gegen den aktuellen Präsidenten Jimmy Morales zu ermitteln, bekam sie die Staatsmacht zu spüren: Panzer fuhren vor ihrem Büro auf, ihr Chef wurde des Landes verwiesen und das Mandat, das im August ausläuft, nicht verlängert.
Rückendeckung hatte Morales dabei von der US-Regierung, die seit jeher Mittelamerikas alteingesessene Machteliten unterstützt. Bei vielen Guatemalteken starb die Hoffnung auf Veränderung. Der Zusammenhang zwischen grassierender Korruption und Migration sei klar, so CICIG-Sprecher Ponce:
"Der Kampf gegen die Korruption und Straflosigkeit bewirkt, dass öffentliche Gelder für eine bessere Lebensqualität der Menschen verwendet werden, etwa für das Gesundheitssystem. Das schafft Bedingungen, im Land zu bleiben."
In Länder mit weniger Korruption werde zudem mehr aus dem Ausland investiert.
"Es ist also ein gutes Geschäft, gegen die Korruption anzugehen: Die Investitionen steigen, es gibt mehr Arbeit, die öffentlichen Mittel werden zum Wohl der Bevölkerung eingesetzt und die zunehmende Migration kann gestoppt werden."

Trumps Abschottungspolitik erhöht Reformdruck

Aber das ist wohl vorbei: Ponce und seine Anti-Korruptions-Kollegen werden wahrscheinlich im Sommer ihre Koffer packen müssen. Keiner der aussichtsreichen und in ihrer Inhaltslosigkeit kaum unterscheidbaren Präsidentschaftskandidaten will die CICIG im Land haben. Bei Thelma Aldana, der früheren Generalstaatsanwältin, sei das anders gewesen. Sie wollte kandidieren, aber der "Pakt der Korrupten" verhinderte das.
Lobbyarbeit der Eliten zeichnete in Washington sogar das absurde Bild einer Frau, die gemeinsam mit der CICIG aus Guatemala ein zweites Venezuela machen wolle. Wenn es aktuell Hoffnung auf Veränderung gebe, so Berganza, dann die, dass die Abschottungspolitik von US-Präsident Donald Trump ausreichend Druck erzeugt. Der Politologe erklärt das so:
"Die dominierenden Gruppen fühlen sich momentan sehr wohl. Sie sind nicht mehr in Gefahr, müssen nicht mehr mit Strafverfolgung rechnen und haben keinerlei Ansporn, Reformen durchzuführen, um die Lebensbedingungen der großen Mehrheit zu verbessern. Die Drohung, dass die Grenzen geschlossen werden, sowie das mögliche Ende der Zusammenarbeit von Guatemala, Honduras und El Salvador, könnten zu einer tiefen Krise führen. Und die würde es notwendig machen, die aktuelle Wirtschafts-und Sozialpolitik zu überdenken."
Bislang funktioniert Migration als Ventil, das Druck vom Kessel im Land nimmt. Die regierenden Eliten können in ihrer Komfortzone bleiben. Für sie sind die Überweisungen der Migranten aus den USA ein gutes Geschäft. Die mehr als zehn Milliarden Dollar im Jahr 2018 fließen in Konsum und Häuserbau. Wenn US-Präsident Trump Grenzen dichtmacht - oder machen lässt, indem er Mexiko mit seiner erpresserischen Zoll-Politik dazu zwingt, könnte sich etwas ändern.

Die Engel in der US-Stadt El Paso

Das kleine Doppelzimmer eines Motels in einem Vorort von El Paso im US-Bundesstaat Texas sieht aus wie eine Mischung aus Warenlager und Reisebüro: Dutzende von Plastiktüten mit Lebensmitteln, mit Sandwiches, Wasserflaschen, Schokoriegeln stehen nebeneinander auf den Betten. Eine ältere Dame, grauhaarig und gertenschlank, telefoniert auf Spanisch mit einem Gesprächspartner irgendwo in den USA. Martha D'Ambrosio heißt sie, ist 64 Jahre alt und eigentlich Ärztin aus Colorado Springs.
Sie sei spontan mit ihrem Mann nach El Paso an die Grenze zu Mexiko gefahren, nachdem sie von der immer größeren Zahl von Flüchtlingen gehört hatten, die aus Mittelamerika über die Grenze in die USA drängen und dort Asyl beantragen. Sie seien gekommen, um dem "Annunciation House" ihre Hilfe anzubieten. Diese katholische Organisation von Freiwilligen sorgt dafür, dass die Flüchtlinge, die von den US-Grenzern einfach irgendwo ausgesetzt werden, für ein, zwei Nächte eine Bleibe finden, um dann zu Verwandten, Freunden oder sogenannten Sponsoren irgendwo in den USA weiterzureisen. Martha hat gerade mit einem Mann telefoniert, der bereit ist, eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen und deren Flugkosten zu übernehmen:
"Mich hat gerade der Sponsor angerufen und mir die Flugbestätigung mitgeteilt. Ich kenne jetzt die Daten, und mein Mann und ich können die Familie heute Nacht zum Flughafen bringen und ihnen zeigen, wo sie dort auf ihren Abflug warten können."
Hunderte Honduraner haben sich auf den Weg in die USA gemacht.
Honduraner auf dem Weg in die USA. © ORLANDO SIERRA / AFP
Der amerikanische Präsident spricht von einer "Invasion", die es abzuwehren gelte. Deshalb seine Ausrufung des "nationalen Notstands", deshalb sein Plan, eine lückenlose Mauer an der Grenze zu Mexiko zu errichten. Die Zahl der mittellosen Migranten aus Guatemala, Honduras und El Salvador ist auf monatlich 100.000 angewachsen, der Höchststand während seiner Amtszeit. Doch während Donald Trump eine Politik der Härte und "Null-Toleranz" propagiert, zeigen sich die staatlichen Behörden überfordert. Es sind die Freiwilligen vom "Annunciation House", die versuchen, buchstäblich erste Hilfe zu leisten. Deshalb werden sie auch die "Engel von El Paso" genannt.

Ohne die Helfer wäre es eine humanitäre Katastrophe

Martha nennt die Versuche der Hilfsorganisation, die Flüchtlinge zu versorgen und so schnell wie möglich zu Angehörigen oder Sponsoren irgendwo in den USA zu bringen, das "erstaunlichste organisierte Chaos", das sie jemals gesehen habe. Gäbe es die Helfer nicht, die der Gründer der Organisation, Ruben Garcia, angeheuert hat, die Grenzstadt El Paso in Texas wäre dieser humanitären Katastrophe wohl längst erlegen.
Migranten aus Honduras und anderen mittelamerikanischen Ländern warten in einem der Zentren der Hilfsorganisation Annunciation House in El Paso/Texas.
Menschen aus Honduras und anderen mittelamerikanischen Ländern warten in einem der Zentren der Hilfsorganisation "Annunciation House" in El Paso.© AFP/Paul Ratje
Während Ruben Garcia die Arbeit des "Annunciation House" koordiniert und Kontakt zu den Grenzschutzbehörden hält, um zu erfahren, mit wie vielen Neuankömmlingen zu rechnen ist, leitet Alyssa Gillis das Team in dieser improvisierten Flüchtlingsunterkunft. Allein an diesem Apriltag erwartet die 27-Jährige 715 Neuankömmlinge in dem Motel, das Ruben Garcia angemietet hat:
Die, die es bis hierher schafften, seien die glücklicheren Flüchtlinge, denn sie hätten nachweisen können, dass es in den USA jemanden gibt, der bereit ist, sie aufzunehmen, sagt sie.
"Wenn sie gefangen genommen wurden oder sich selbst den Grenzschutzbehörden gestellt haben, um Asyl zu beantragen, werden sie für einige Tage inhaftiert. Man nimmt ihnen die Fingerabdrücke ab, macht einen Background-Check, legt ihnen eine elektronische Fußfessel an und prüft, ob es tatsächlich einen Sponsor gibt. Dann werden sie entlassen, weil es nicht genug Platz in den Internierungslagern gibt und Kinder ohnehin nicht mehr so lange festgehalten werden dürfen. Und dann bringt man sie zu uns."
Alyssa fände es immer wieder berührend zu beobachten, wie erleichtert die übermüdeten Menschen seien, wenn sie realisieren, dass sie nun nichts mehr zu befürchten haben.
"Wir erklären ihnen erst einmal, wo sie jetzt sind. Die Behörden sagen ihnen nicht, dass sie in eine Flüchtlingsunterkunft gebracht werden, wo ihnen geholfen wird. Erst hier begreifen sie, dass sie in Freiheit sind, dass wir ihnen ein Bett zum Schlafen anbieten, dass sie etwas zu essen bekommen, dass sie ihre Familien anrufen können und dass wir ihnen Tickets für die Weiterreise besorgen."

Trumps Abschreckungs-Politik aus dem Weißen Haus

Donald Trump sieht in der "Invasion aus dem Süden", wie er immer wieder sagt, ausnahmslos und pauschal eine "Karawane" der Drogenhändler, Erpresser und Vergewaltiger. Deshalb die "Null-Toleranzstrategie" der Trump-Administration, die maßgeblich von Steven Miller im Weißen Haus geprägt wird, dem Architekten der neuen Einwanderungspolitik, die laut Donald Trump vor allem abschrecken soll.
Sie besteht aus einer politischen Programmatik, die auf den Bau einer Mauer setzt, auf Einreisesperren für Muslime und Hetze gegen Migranten. Und auf eine Strategie der Härte und Grausamkeit, die sich etwa darin äußert, Kinder von ihren Eltern zu trennen, Jugendliche in Gefangenenlagern aus Zelten in der texanischen Wüste zu internieren oder Migranten bei Wind und Wetter tage- und wochenlang unter der Grenzbrücke von El Paso einzusperren – allesamt Maßnahmen, die entweder von Gerichten gestoppt wurden oder unter wachsendem öffentlichen Druck aufgegeben werden mussten. Doch Trump bleibt bei seiner Linie: Das Boot ist voll, erklärte er unlängst erneut.
Gegenüber dem Nachrichtensender Fox-News erklärte der US-Präsident, jetzt kämen zehnmal mehr Familien ins "Disneyland" Amerika, nachdem man die Politik aufgegeben habe, Kinder von ihren Eltern zu trennen.
Trump spricht vor dem Weißen Haus am 2.06.2019.
Für US-Präsident Trump sind Geflüchtete aus Mittelamerika: Drogenhändler, Erpresser und Vergewaltiger.© picture alliance / Sarah Silbiger
Das Asylrecht nennt Donald Trump überholt und würde es am liebsten abschaffen. Denn illegale Einwanderung könne nicht mehr toleriert werden.
Dabei hat Trump die Grenzstadt El Paso als symbolischen Ort der illegalen Einwanderung ausgemacht – eine Stadt, die er als Hort des Verbrechens und als geografisches Zentrum der Gesetzlosigkeit stigmatisiert.

Bürgermeister: El Paso ist die sicherste Stadt

Als der US-Präsident unlängst damit drohte, den Grenzübergang von El Paso zu schließen, platzte dem Bürgermeister der Stadt der Kragen. Ausgerechnet im liberalen Leitmedium CNN gab der Republikaner seinem Präsidenten Contra – und auch gegenüber dem Deutschlandfunk hält Dee Margo nicht hinter dem Berg. In seinem Amtszimmer erklärt der Bürgermeister, 67 Jahre alt und Texaner vom Scheitel bis zur Sohle, dass die Statistik unzweifelhaft belege, dass El Paso die sicherste Stadt in den Vereinigten Staaten sei, in der Kategorie 500.000 Einwohner und mehr.
Die Charakterisierung als Stadt der Gesetzlosigkeit und des Verbrechens sei völlig fehl am Platze und schlichtweg falsch. Der republikanische Bürgermeister von El Paso spricht aus, was er von der Einwanderungspolitik seines Präsidenten hält – ohne den Namen Donald Trumps auch nur ein einziges Mal zu erwähnen:
"Einwanderung und die Reform des Einwanderungsrechts sind zu einem politischen Spielball geworden, der von beiden Seiten mit Blick auf die eigene Wählerklientel instrumentalisiert wird. Die äußerste Rechte ist fremdenfeindlich. Und die äußerste Linke würde die Grenzen am liebsten völlig öffnen. Wir müssen wieder zu einer Position der Mitte finden."
Dee Margo, Bürgermeister von El Paso, im Porträt.
Dee Margo, Bürgermeister von El Paso - Republikaner, aber kein Freund Donald Trumps.© Deutschlandradio/Kößler
Wenn Bürgermeister Dee Margo von einer Reform des Einwanderungsrechts spricht, dann meint er damit grob gesagt: neue Möglichkeiten für legale Einwanderung zu schaffen. Wenn Politiker in Washington Einwanderung weiter erschweren wollten, sei das – so wörtlich: idiotisch und entbehre jeder rationalen Grundlage.
Als Beispiel für fehlenden politischen Weitblick und Verlust an politischer Vernunft nennt Dee Margo die Personalpolitik an der Grenze zu Mexiko: Auf der einen Seite schickt der Präsident symbolträchtig Truppen in den Süden, die dort aber gar nicht tätig werden können, weil sie die Arbeit der Grenzschutzbehörden nicht unterstützen dürfen. Auf der anderen Seite beklagt der Bürgermeister den Abzug ganzer Hundertschaften von Grenzschützern auf Geheiß Washingtons:
"Sie haben 750 Beamte der Grenzschutzbehörden von den Kontrollstellen abgezogen, Leute, die die Einwanderung überwachen und bearbeiten sollen. Das schadet uns!"
Es schadet El Paso, weil der Grenzverkehr nicht mehr so läuft, wie er laufen sollte. Weil es zu langen LKW-Staus an den Kontrollstellen kommt. Weil die Leute aus Mexiko nicht mehr rechtzeitig zur Arbeit in El Paso kommen. Weil der Warenaustausch plötzlich nicht mehr richtig funktioniert. Der grenzüberschreitende Handel, gewissermaßen das pulsierende Herz der Wirtschaft von El Paso, stockt wegen des Personalmangels.
Damit teilt seine Stadt das personalpolitische Schicksal der Justiz: 700 Asylanträge könne ein Richter im Jahr bearbeiten. Dabei kommen täglich 700 Fälle hinzu. Der Rückstau addiert sich auf 850.000 unbearbeitete Anträge, rechnet Dee Margo vor.
Bürgermeister Dee Margo hat sich warm geredet – der Republikaner geht dennoch nicht so weit wie die liberale Presse des Landes, die dem Präsidenten wegen seiner rigiden Einwanderungspolitik eine Mitschuld an dem Desaster im Süden der USA gibt. Aber er würde es lieber sehen, wenn Donald Trump seine einzigartige Persönlichkeit und seinen politischen Einfluss für eine Reform des Einwanderungsrechts einsetzen würde. Allein Trump könne das, sagt Dee Margo.

Nach 26 Tagen und dem Martyrium unter der Brücke

In dem Motel am Stadtrand von El Paso, das von der Hilfsorganisation "Annunciation House" in eine Flüchtlingsunterkunft verwandelt wurde, versuchen die Helfer, das Chaos zu organisieren und den Überblick zu behalten. Alyssa hat die Tüten mit den Lebensmitteln gepackt, die sie einer Familie aus Honduras mit auf den Weg nach Tennessee geben will – eine zweieinhalbtätige Busfahrt.
Eine junge Frau hat sich in die Ecke des Zimmers gesetzt, wo eine Kiste mit gebrauchten Büchern steht. Interessiert blättert sie in einem Bildband über die USA. Sie wolle die Bücher mitnehmen, um sie ein paar Mädchen zu zeigen, sagt sie. Sie heißt Maria, ist 16 Jahre alt und war mit ihrem Vater 26 Tage unterwegs, bis sie es endlich hierher geschafft hatten. Dazwischen lagen 12 Tage eines Martyriums unter der Brücke von El Paso, wo die Grenzbehörden 1200 Menschen wie in einem Hundezwinger zusammengepfercht hatten.
Hunderte Menschen auf der internationalen Brücke von der mexikanischen Stadt Ciudad Juarez zur US-Stadt El Paso.
Hunderte Menschen auf der internationalen Brücke von der mexikanischen Stadt Ciudad Juarez zur US-Stadt El Paso.© imago/David Peinado
Sie habe in dem Lager kein Auge zugemacht und sei so schwach gewesen, weil es nicht genug zu essen gab, und fast nichts zu trinken. Sie habe Angst gehabt. Aber ihr Vater habe sie beschützt. Obwohl er selbst so gelitten habe. Dann bricht es aus Maria heraus: Die Tage unter der Brücke seien das schlimmste Erlebnis auf dem gesamten Weg gewesen. Eigentlich sei sie so glücklich gewesen, endlich in den USA zu sein, die ihr wie das gelobte Land erschienen.
Und dann das: die schreienden Kinder, der Hunger, der Durst. Die Angst vor den Ratten. Der schneidende Wind. Der Wüstensand und der viele Staub. Der harte Boden, keine Decken, nur diese Aluminiumfolien. Sie hätte sich nicht vorstellen können, dass so etwas in den USA wirklich möglich sei, irgendwie alles außer Kontrolle. Dabei hätten sie gar keine andere Wahl gehabt, als ihr Dorf zu verlassen, sagt Maria. Wie alle jungen Frauen habe sie nicht auf die Straße gehen können. Viel zu gefährlich. Sie hätte sich zuhause verstecken müssen. Jetzt wartet Maria auf das Ticket für den Flug nach Tampa in Florida. Sie will Englisch lernen und studieren. Maria will Ingenieurin werden – ein Traum, ihr amerikanischer Traum.

Trump will das moralische Empfinden verändern

Dieses Bild vom freundlichen Amerika, dass Einwanderer und Fremde mit offenen Armen empfängt und ihnen ermöglicht, ihren Traum zu leben – Robert Moor und Josiah Heyman würden dieses Bild gerne bewahren. Der eine, Bob Moore, ist ehemaliger Chefredakteur der "El Paso Times". Der andere, Josiah Heyman, Anthropologe und Direktor des "Zentrums für interamerikanische und Grenzstudien" an der Universität von Texas. An keinem anderen Beispiel lasse sich besser festmachen, in welchem Maße Donald Trump sein Land bereits verändert hat, als am Beispiel des Umgangs mit dem Thema Immigration, sagt Heyman.
Es sei Absicht, Kinder von ihren Eltern zu trennen, Jugendliche in unmenschlicher Lagerhaft zu halten und Migrantenfamilien in unterkühlten Räumen warten zu lassen, die im Volksmund "Ice-Box" genannt werden. Das alles sei Teil der offiziellen Abschreckungsstrategie.
"Menschen de facto Folter zu unterziehen, zielt darauf ab, Leute davon abzuhalten, in die USA zu kommen."
Heyman sieht diese Strategie als ein langfristiges Konzept. Es gehe darum, die ethischen Werte und das moralische Empfinden der amerikanischen Gesellschaft zu verändern:
"Wie gehen wir mit Menschen um, die in einem rechtlich einwandfreien Prozess Asyl beantragen? Wie begegnen wir ihnen im ethischen Sinne? Es ist gar keine Frage, dass hier eine Entwertung der Werte stattfindet."
Auch der Journalist Bob Moore sieht in dem Verhalten der Trump-Administration einen bewussten Versuch, Grausamkeit als politisches Instrument einzusetzen:
"Weil diese Politik der Grausamkeit Menschen nicht davon abhält, zu uns zu kommen, und weil die Akzeptanz von Grausamkeit als Mittel staatlicher Politik zunimmt, wird sie mehr und mehr Teil unserer politischen Kultur – und zwar nicht nur von Seiten der Regierung. 40 Prozent der Amerikaner glauben, dass diese Politik richtig ist."
Vor diesem Hintergrund hält Bob Moore die nächsten Präsidentschaftswahlen im November 2020 für eine entscheidende politische Zäsur:
"Das, worauf sich autoritäre Regime immer verlassen konnten, ist das Prinzip Angst: Es geht darum, das Gefühl zu vermitteln, dass nur diese eine starke Person Schutz bieten kann. Das war die Botschaft Donald Trumps von Anfang an."
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