Von der Löwin zur Hauskatze
In ihrem Buch "Frau, gläubig, links" wirkt SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, die in den vergangenen Jahre oft als Löwin mit schlagstarken Pranken geschildert wurde, ganz sanft und fromm - als sei sie eine Ministrantin.
Zuerst eine Verbeugung vor dem Vater, ehe wir auf die Tochter zu sprechen kommen. Der Maurermeister Nahles hat seine Andrea im besten Sinne des verschlissenen Modewortes "antiautoritär" erzogen. Andrea sollte bei einer Firmung als Messdienerin auftreten. Der Küster hatte dem jungen Mädchen aufgeschrieben, wie sie den ranghohen Geistlichen anzureden habe. Nämlich mit dem ihm zustehenden Titel "Hochwürdigste Exzellenz"."
"Mein Vater hob seine zerklüfteten Hände und erklärte mir, dass sich unsere Familie immer von ihrer Hände Arbeit ernährt habe. Gebuckelt wird bei uns nicht. Du sagst ganz einfach: Lieber Herr Weihbischof."
"Zerklüftete Hände", das ist zwar sprachlicher Kitsch, aber es geht bei dem Erstling der Andrea Nahles ja nicht um Literatur. "Frau, gläubig, links" – den Titel hat sie sich wohl selber einfallen lassen. Da an ihrer Weiblichkeit niemals gezweifelt worden ist, hätten die Mitteilungen über das "Was mir wichtig ist" unter dem Titel "Vom Altar ins Willy-Brandt-Haus" wahrscheinlich ein stärkeres Käuferinteresse geweckt. Gleichviel, die Autorin, die fast jeder kennt, lässt uns wissen:
"Im Umgang mit Autoritäten gilt es, höflich zu sein, aber nicht den Rücken zu beugen. Diese Haltung entspringt dem Selbstbewusstsein der Schicht, aus der ich stamme."
Nahles beklagt, dass heutzutage "vom alten Arbeiterstolz kaum noch etwas zu spüren" sei. Das klingt rührend sentimental, doch unsere Autorin weiß natürlich sehr gut, dass die älteste deutsche Partei seit dem von Nahles gelobten "Godesberger Programm" von 1959 aufgehört hat, eine klassische Arbeiterpartei zu sein, und dass beispielsweise ihr fabelhafter Wahlerfolg von 1972 unter Willy Brandt dem aufgeklärten liberalen Bürgertum und vielen jungen Wählern zu danken war. Das kann sie doch nicht vergessen haben und dennoch schreibt sie:
"Unsere Kernklientel, die Arbeiter, erreichen wir immer weniger. Sie haben, was mich zutiefst erschreckt hat, bei der Bundestagswahl 2009 zu elf Prozent die neoliberale FDP gewählt. Es ist also allerhöchste Zeit für einen Neuanfang."
Da ist, gleich nach dem neuen Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, die hochbegabte Netzwerkspinnerin Nahles als Generalsekretärin gefragt. Neulich, auf dem letzten Parteitag in Dresden, haben weniger als 70 Prozent der Delegierten für sie gestimmt, was unsere Autorin nach bekannter Politikermanier als ein "ehrliches Ergebnis" verstehen möchte. Was will sie nun tun, damit die lebensgefährlich abgemagerte Partei eines Tages in lichte Höhen zurückkehren kann? Da ist es für die Genossen und das über den Niedergang der SPD betrübte liberale Bürgertum überraschend, dass die linke Nahles, all die Jahre als Löwin mit schlagstarken Pranken geschildert, nun so sanft und fromm schreibt, als sei sie immer noch Ministrantin:
"Ich möchte dafür plädieren, dass wir in der Politik generell und in der SPD ganz besonders eine neue Kultur des Zuhörens und Zweifelns etablieren. Wenn wir wieder einen echten Dialog mit unseren Anhängerinnen und Anhängern wagen, haben wir eine reelle Chance, das Politische wiederzubeleben und auf diesem Weg an Attraktivität zu gewinnen."
Es sind Sätze wie diese, die von weiblichen Kritikern ihres Buches eine "verbarrikadierende Sprache" bezeichnet werden. Leider stimmt das. Und doch, die Verfasserin beschreibt unsere Gesellschaft und eines ihrer ernsten Probleme, nämlich die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich durchaus realistisch. Nur ist es schwer, einen originären oder einen die geschundene Partei inspirierenden Gedanken zu finden. Was will Nahles? Eine ihrer Antworten, abermals sprachlich ziemlich verquast, lautet:
"Die Bürgerinnen und Bürger müssen wieder umfassend als Citoyens, als demokratische Akteure anerkannt werden, ihre Einbeziehung muss gewollt sein und gestärkt werden. In den Worten Willy Brandts: 'Wir müssen mehr Demokratie wagen.'"
Ach je, das haben wir bald tausendmal gehört. Hier liegt ganz sicher nicht die Rettung. Nahles ist gegen den "Turbokapitalismus". Aber gewiss doch, das sind wir alle. Nahles postuliert eine "gute Gesellschaft", in der es gerechter zugeht als heutzutage. Wer wünscht sich das nicht? Andrea verabschiedet die Leser und - versteht sich - die Leserinnen mit einer kapitalen Binsenwahrheit:
""Wenn die SPD aus ihrer bitteren Niederlage lernen will, muss sie sich auf ein ernsthaftes Zuhören und Verarbeiten des Gehörten einlassen. Sie muss ein lernendes System werden. Dafür braucht es eine andere Kommunikationskultur. Daran werden wir arbeiten."
Das ist nun, außer Redundanz und immer wieder geschwollener Sprache, schnell noch ein Hieb gegen den verhassten Basta-Kanzler. Schade eigentlich, in diesem Buch hat keine Löwin die Tatzen gezeigt. Unsere Andrea ist zu einer schmusigen Hauskatze mutiert. Könnte allerdings sein, dass wir uns da täuschen.
Andrea Nahles: Frau, gläubig, links
Pattloch Verlag, München
"Mein Vater hob seine zerklüfteten Hände und erklärte mir, dass sich unsere Familie immer von ihrer Hände Arbeit ernährt habe. Gebuckelt wird bei uns nicht. Du sagst ganz einfach: Lieber Herr Weihbischof."
"Zerklüftete Hände", das ist zwar sprachlicher Kitsch, aber es geht bei dem Erstling der Andrea Nahles ja nicht um Literatur. "Frau, gläubig, links" – den Titel hat sie sich wohl selber einfallen lassen. Da an ihrer Weiblichkeit niemals gezweifelt worden ist, hätten die Mitteilungen über das "Was mir wichtig ist" unter dem Titel "Vom Altar ins Willy-Brandt-Haus" wahrscheinlich ein stärkeres Käuferinteresse geweckt. Gleichviel, die Autorin, die fast jeder kennt, lässt uns wissen:
"Im Umgang mit Autoritäten gilt es, höflich zu sein, aber nicht den Rücken zu beugen. Diese Haltung entspringt dem Selbstbewusstsein der Schicht, aus der ich stamme."
Nahles beklagt, dass heutzutage "vom alten Arbeiterstolz kaum noch etwas zu spüren" sei. Das klingt rührend sentimental, doch unsere Autorin weiß natürlich sehr gut, dass die älteste deutsche Partei seit dem von Nahles gelobten "Godesberger Programm" von 1959 aufgehört hat, eine klassische Arbeiterpartei zu sein, und dass beispielsweise ihr fabelhafter Wahlerfolg von 1972 unter Willy Brandt dem aufgeklärten liberalen Bürgertum und vielen jungen Wählern zu danken war. Das kann sie doch nicht vergessen haben und dennoch schreibt sie:
"Unsere Kernklientel, die Arbeiter, erreichen wir immer weniger. Sie haben, was mich zutiefst erschreckt hat, bei der Bundestagswahl 2009 zu elf Prozent die neoliberale FDP gewählt. Es ist also allerhöchste Zeit für einen Neuanfang."
Da ist, gleich nach dem neuen Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, die hochbegabte Netzwerkspinnerin Nahles als Generalsekretärin gefragt. Neulich, auf dem letzten Parteitag in Dresden, haben weniger als 70 Prozent der Delegierten für sie gestimmt, was unsere Autorin nach bekannter Politikermanier als ein "ehrliches Ergebnis" verstehen möchte. Was will sie nun tun, damit die lebensgefährlich abgemagerte Partei eines Tages in lichte Höhen zurückkehren kann? Da ist es für die Genossen und das über den Niedergang der SPD betrübte liberale Bürgertum überraschend, dass die linke Nahles, all die Jahre als Löwin mit schlagstarken Pranken geschildert, nun so sanft und fromm schreibt, als sei sie immer noch Ministrantin:
"Ich möchte dafür plädieren, dass wir in der Politik generell und in der SPD ganz besonders eine neue Kultur des Zuhörens und Zweifelns etablieren. Wenn wir wieder einen echten Dialog mit unseren Anhängerinnen und Anhängern wagen, haben wir eine reelle Chance, das Politische wiederzubeleben und auf diesem Weg an Attraktivität zu gewinnen."
Es sind Sätze wie diese, die von weiblichen Kritikern ihres Buches eine "verbarrikadierende Sprache" bezeichnet werden. Leider stimmt das. Und doch, die Verfasserin beschreibt unsere Gesellschaft und eines ihrer ernsten Probleme, nämlich die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich durchaus realistisch. Nur ist es schwer, einen originären oder einen die geschundene Partei inspirierenden Gedanken zu finden. Was will Nahles? Eine ihrer Antworten, abermals sprachlich ziemlich verquast, lautet:
"Die Bürgerinnen und Bürger müssen wieder umfassend als Citoyens, als demokratische Akteure anerkannt werden, ihre Einbeziehung muss gewollt sein und gestärkt werden. In den Worten Willy Brandts: 'Wir müssen mehr Demokratie wagen.'"
Ach je, das haben wir bald tausendmal gehört. Hier liegt ganz sicher nicht die Rettung. Nahles ist gegen den "Turbokapitalismus". Aber gewiss doch, das sind wir alle. Nahles postuliert eine "gute Gesellschaft", in der es gerechter zugeht als heutzutage. Wer wünscht sich das nicht? Andrea verabschiedet die Leser und - versteht sich - die Leserinnen mit einer kapitalen Binsenwahrheit:
""Wenn die SPD aus ihrer bitteren Niederlage lernen will, muss sie sich auf ein ernsthaftes Zuhören und Verarbeiten des Gehörten einlassen. Sie muss ein lernendes System werden. Dafür braucht es eine andere Kommunikationskultur. Daran werden wir arbeiten."
Das ist nun, außer Redundanz und immer wieder geschwollener Sprache, schnell noch ein Hieb gegen den verhassten Basta-Kanzler. Schade eigentlich, in diesem Buch hat keine Löwin die Tatzen gezeigt. Unsere Andrea ist zu einer schmusigen Hauskatze mutiert. Könnte allerdings sein, dass wir uns da täuschen.
Andrea Nahles: Frau, gläubig, links
Pattloch Verlag, München