Von den Großeltern inspiriert

Von Peter Kaiser · 30.12.2011
Der Berliner Stadtteil Kreuzberg macht wegen vieler kleiner Geschäfte mit neuen Ideen von sich reden. Darunter "Eva & Bernard" der beiden israelischen Modemacher Nait Rosenfelder und Roey Vollman. Sie sind auch wegen ihrer Großeltern hier.
Nait Rosenfelder: "Der Grund, warum wir uns entschlossen haben nach Berlin zu kommen und hier unser Geschäft zu eröffnen, war ...ich wollte versuchen in Deutschland zu leben. Ich wollte sehen, wie es ist, wie es sich anfühlt. Meine Großeltern väterlicherseits waren hier geboren. Im Süden Deutschlands.

Mein Großvater kam aus München, meine Großmutter aus der Schwarzwald-Gegend. Das war immer etwas Besonderes bei uns zu Hause, weil meine Eltern mit meinen Großeltern deutsch sprachen. Ich habe es immer gehört, es war stets um uns herum."

Berlin-Kreuzberg, die Großbeerenstraße. Die Straße endet einerseits unweit des Deutschen Technikmuseums und damit in Sichtweite vom Potsdamer Platz. Andererseits führt die Großbeerenstraße direkt auf den Kreuzberg zu mit dem Schinkeldenkmal auf der Spitze. Rechts und links der Großbeerenstraße stehen alte Häuser mit klassizistischen Fassaden und preußisch großen Wohnungen darin. In einer davon leben Nait Rosenfelder und Roey Vollman, zwei Mitt- und Enddreißiger Israelis:

Roey Vollman: "Für uns war es nie eine Frage nicht hier herzukommen wegen der Vergangenheit. Schwerer war es für unsere Eltern, unser neues Zuhause zu akzeptieren. Ich meine zum Beispiel Naits Vater und Mutter waren oft in Deutschland, oft in München."

Nait Rosenfelder: "...sie sprechen ja auch Deutsch..."

Roey Vollman: "Aber sie kommen nicht nach Berlin. Zum Beispiel. Sie lieben München, und sie lieben den Schwarzwald, aber sie haben Probleme mit Berlin."

2008 zogen Nait Rosenfelder und Roey Vollman mit ihrem damals sechs Monate alten Sohn von Tel Aviv nach Berlin-Kreuzberg. Nait und Roey sind israelische Modedesigner. In Berlin wollen sie eine neue Modemarke etablieren, mit klaren Linien, denn...

Nait Rosenfelder: "Nothing in Israel is really like still. In Israel its a Mischmasch."

Der Name des neuen Modelabels "Eva & Bernard" entsprang Roeys Fantasie. Eva war eine Bekannte von Nait, und Bernard passte einfach dazu, zumal Roey den deutschsprachigen Schriftsteller Thomas Bernhard verehrt.

Roey Vollman: "In Berlin werden Alltagssachen jenseits aller Dresscodes getragen. Alles mischt sich. In Israel gibt es nur eine Sorte Bekleidung. Hier gibt es eine Menge Sorten, und man kann von einer Abendkleidung zu einer Umstandsmode wechseln, je nach Tageszeit, nach Lust und Laune, wie auch immer. Und dieses Bekleidungen wechseln ist etwas, was in Israel nicht existiert."

Modemachen hat mit Fantasie zu tun, und Fantasie mit dem Ich. Verkürzt gesagt schneidert man als Designer immer auch etwas am eigenen Ich, wenn man Röcke, Hosen, Hemden oder Mäntel kreiert. So ist das auch bei Nait und Roey. Besonders bei Nait gingen das Ich und das Modemachen schon früh Hand in Hand. So flossen die nostalgischen Erinnerungen der Großeltern, die vor den Nazis nach Israel flüchteten, in Naits kindliches Erleben ein, das erzählte Land der Großeltern, München, der Schwarzwald, die Kultur, die deutsche Sprache und Stil, Farben der Kleider, die die Großmutter trug.

Nait Rosenfelder: "Sie trug eine Menge Röcke. Israelische Frauen tragen Hosen. Ich glaube, sie hatte nur eine paar Hosen, mehr nicht, und auch die nur, um damit zu gehen, so als Sport. Sie hatte eine bestimmte Art Kleidung zu tragen und die Farben zu kombinieren. Und immer trug sie eine Brosche dazu. Die Verbindung zur Mode war sie, weil sie sich immer so hübsch kleidete.

Sehr ungewöhnlich und elegant. Und als ich größer wurde erkannte ich, dass niemand in Israel so aussah. Es war etwas, das sie mitgebracht hatte. Also genau diesen klassischen Weg sich zu kleiden, diese Eleganz. Und es ist nichts, was ich nur in ihr gesehen habe, sondern ich habe es nie auf den Straßen in Israel gesehen."

Nait hat in Columbus/Ohio, in San Francisco, New York und London gelebt. 2002 eröffnete sie in Tel Aviv eine Boutique im alten Textilviertel, und verkaufte dort unter dem Label "Nait" ihre Kollektionen. Sie zählte dort zu den Pionierinnen der Avantgarde-Modeszene. Doch mit rund 400 000 Einwohnern ist Tel Aviv eine kleine Stadt mit begrenztem Kundenkreis. Und noch etwas war für den Umzug nach Berlin ausschlaggebend:

"Zehn Monate im Jahr ist Sommer, zwei dann Herbst. Es ist heiß, und im Sommer kann man nichts anderes tragen als dünne Tops, kurze Hosen und so ähnlich. Man kleidet sich entsprechend des Wetters, so viel ist sicher."

Berliner brauchen andere Kleidung. Für den kalten deutschen Winter etwa ist Wolle, Kaschmir vielleicht das Richtige. Aber auch Seide für die Übergangszeiten, oder Organza. Nait und Roey verarbeiten diese für sie ungewohnten Stoffe vor dem Hintergrund der alten deutschen Einflüssen zu einer Kollektion, die Roey mit "Easy Tailoring" betitelt, "Einfacher Zuschnitt". Dabei entstehen feminine Silhouetten aus durchscheinenden Stoffe, die Grenzen zwischen Frauen- und Männerkleidung sind fließend, doch die Mode androgyn zu nennen ist verfehlt.

Das Farbspektrum reicht von Schwarz über verschiedene Grautöne bis hin zu intensivem Senfgelb oder Rubinrot. Das alles bringen Nait und Roey in sportliche Formen, denn die Berlinerinnen und Berliner kleiden sich gern salopp: Hosen, weite Pullis, flache Schuhe. Könnte man sagen, dass diese Mode in ihren Wurzeln eine jüdische Mode wäre? Gibt es das überhaupt, eine jüdische Mode?

Nait Rosenfelder: "Ich könnte nicht sagen, dass ein jüdischer Stil in meiner Kleidung wäre. Aber natürlich sehe ich meine Kleidung ein bisschen anders als eine außenstehende Person. Ich bekomme meine Einfälle von überall her. Ich kann zum Supermarkt gehen und das ist etwas, wo ich sage: Oh. Die Inspiration ist um mich herum.

Aber natürlich bin ich auch Israelin. Ich bin dort geboren. Also ist da auch etwas Israelisches in mir, das sich natürlich auch auf meine Kleidung auswirkt. Dennoch kann man nicht sagen, das ist israelisches Aussehen. Aber es gibt immer wieder Außenstehende, die sagen, ich kann sehen, dass du keine deutsche Designerin bist, dass du nicht in Deutschland geboren bist.
Ich denke, wir sind Juden durch unsere Geburt. Ich bin von einer jüdischen Mutter geboren worden, du bist Jude. Aber vor allem sind wir Israelis. Und so fühlen wir uns, auch wenn wir hier leben."

Inzwischen ist ein Freundkreis hier in Berlin entstanden. Ein Mischmasch, wie Nait sagen würde, israelische, amerikanische und ein paar deutsche Freunde. Der Sohn geht in die deutsche Kita, bringt deutsche Wörter mit, den Wunsch nach deutschem Essen. Es ist, als würde sich hier ein Kreis schließen. Von den Großeltern einst, mit deren Liebe zu den Kleidern, bis hin zum 3-jährigen Jungen und dem Label "Eva & Bernard" heute. Ein neues Leben, fußend auf altem.

Roey Vollman: "Als Erstes kamen wir hier her um ein neues Leben zu beginnen. Als wir in Israel an dem Umzug dachten, wussten wir, dass wir hier ein neues Leben beginnen wollten. Als Familie und als neue Firma. Und Berlin ist der richtige Platz für uns als Familie. Wir haben gefühlt, dass wir das hier machen können, als Person, als Familie, als Israeli. Ich frage mich nicht, ob es nicht noch mehr Option gibt als Berlin, Paris etwa. Wir denken, Berlin ist der richtige Ort."
Mehr zum Thema