Von Bonn nach Kabul

Ausstellungsmacherin in Afghanistan

Moderation: Stephan Karkowsky · 23.12.2013
Susanne Annen bildet in der afghanischen Hauptstadt Kuratoren für die Museumsarbeit aus. Auch wenn sie nicht einfach frei durch Kabul laufen könne, habe sie "ein ganz normales Lebens" dort, sagt sie. Die Musik- und Kunstszene sei durchaus lebendig – vor allem in der afghanischen Mittelschicht gebe es ein großes Bedürfnis nach kulturellen Unternehmungen in der Freizeit.
Stephan Karkowsky: Nicht nur die Bundeswehr half mit beim Wiederaufbau Afghanistans, auch zahlreiche Entwicklungshilfeorganisationen waren und sind dort unterwegs. Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, kurz Bundeskunsthalle, hatte ebenfalls eine Mitarbeiterin an die afghanische Regierung ausgeliehen, die Architektin und Kuratorin Susanne Annen war insgesamt drei Jahre lang nun rechte Hand des Kulturministers. Jetzt ist sie wieder zurück, Frau Annen, guten Tag!
Susanne Annen: Guten Tag!
Karkowsky: Kultur in Afghanistan, da werden viele sich wahrscheinlich nicht so recht was drunter vorstellen können. Was haben Sie da genau gemacht?
Annen: Ich bin Beraterin des Kulturministers gewesen, also des Staatsministers für Kultur. Aber der Fokus meiner arbeit lag auf dem Nationalmuseum und auf den Provinzmuseen. Das heißt, einmal Ausbildung der Mitarbeiter in dem Museum, also vor allen Dingen der jungen Kuratoren, wie entsteht eine Ausstellung, vom Konzept über die Budgetierung hin bis zu der Ausstellung und dann der Eröffnung, das war ein Teil meiner Arbeit; aber dann eben auch beratende Tätigkeit zur Kulturpolitik in der direkten Mitarbeit mit dem Staatsminister. Und so der Dreh- und Angelpunkt zu den Geldgebern.
Karkowsky: Konnten Sie denn die Erfahrungen, die Sie in Deutschland gesammelt hatten, was die Kuratierung von Ausstellungen angeht, auch die Pressearbeit, konnten Sie das eins zu eins übertragen?
"Das ist sehr gut gelaufen mit dem Kulturminister"
Annen: Ja, im Prinzip ist das schon eins zu eins übertragbar. Natürlich nicht in diesem großen Rahmen, wie wir das in der Bundeskunsthalle betreiben, das ist natürlich schon ein etwas kleinerer Rahmen. Die Ausstellungsräume waren bis zu 100 Quadratmeter, aber in einer Ausstellung entsteht natürlich das Konzept und die Budgetierung, und das sind schon die gleichen Schritte, die man dann gehen muss.
Karkowsky: Ich kann mir vorstellen, dass es ja für afghanische Minister auch gar nicht so selbstverständlich ist, mit Frauen in solchen Positionen umzugehen. Frauen haben in Afghanistan immer noch einen anderen Status als in Deutschland. Wie ist das denn gelaufen mit dem Kulturminister?
Annen: Das ist sehr gut gelaufen mit dem Kulturminister, es ist ja nicht eine deutsche Idee gewesen mich zu entsenden, sondern das war der Wunsch des Kulturministers, dass ich komme. Ich habe hier die Afghanistan-Ausstellung als Ausstellungsleiterin in Bonn betreut und während der Zusammenarbeit hat er mich gebeten, zu seiner Unterstützung und zur Unterstützung des Nationalmuseums nach Kabul zu kommen.
Karkowsky: Erzählen Sie uns von den Ausstellungen, die Sie gemacht haben im Nationalmuseum! Das ist ja ein archäologisches Museum, das sich auch mit der vorislamischen Geschichte beschäftigt. Was gab es da zu sehen in Ihrer Zeit?
Annen: Wir haben an drei Ausstellungen gearbeitet, wobei die Themen nicht von mir ausgesucht wurden, sondern von den Kuratoren ausgesucht wurden. Es waren alles vorislamische Themen, die erste Ausstellung, mit der wir begonnen haben, ist entstanden erst … - ja, ich habe mir erst mal die Frage gestellt, wie macht man Ausbildung, Frontalunterricht, das macht nicht wirklich Sinn. Und wir haben dann entschieden, wirklich an einer Ausstellung zu üben, wie eine Ausstellung entsteht.
Die erste Ausstellung war eine kleine Ausstellung zu Mes Aynak, die Grabung in Lugar. Die ersten Objekte aus Lugar sind ins Nationalmuseum gekommen und wir haben dann entschieden, eine kleine Ausstellung daraus zu machen, um diese Ausgrabung der Öffentlichkeit vorzustellen. Die nächste Ausstellung war eine buddhistische Ausstellung, buddhistisches Erbe in Afghanistan, und die letzte, die nun gerade eröffnete Ausstellung, eine Ausstellung aus dem Norden Afghanistans mit dem Titel "1000 Cities of Bactria". Und im Moment wird an einer anderen Ausstellung, jetzt aber zur islamischen Kultur gearbeitet.
Karkowsky: Und wie haben die Afghanen davon erfahren? Ist das genau wie bei uns, Presse, Rundfunk, Fernsehberichte und dann ist irgendwann eine Eröffnung und dann kommen die, und Plakate in der Stadt?
Schulen machten Geschichtsunterricht im Nationalmuseum
Annen: Ja, das war alles das, was wir entwickelt haben und auch geübt haben. Also, wie entsteht eine Ausstellung und was vermittele ich und was möchte ich vermitteln, und was ist die Zielgruppe? Es ist natürlich nicht so einfach, wie das hier ist. Wir haben schon Plakate auch erstellt, wir haben Plakate in anderen Kulturinstitutionen aufgehängt, wir haben Kooperationen mit Schulen zum Beispiel vereinbart, eine sehr schöne Kooperation mit der Aga-Khan-Stiftung, die den Schulen busse zur Verfügung gestellt hat, um dann den Geschichtsunterricht im Nationalmuseum zu haben. Unsere Kuratoren haben dann in die Ausstellung eingeführt. Das sind alles Dinge, die wir eben überlegt haben, und auch, wie kann ein Rahmenprogramm aussehen zur Vermittlung dieser Ausstellung.
Karkowsky: Wie groß war denn dann das Interesse der Afghanen? Waren das so vergleichbar Blockbuster-Ausstellungen?
Annen: Nein, natürlich nicht. Wir reden hier von Kabul. Es gibt in Kabul eine Mittelschicht und es gibt in Kabul schon ein sehr, sehr großes Interesse auch, Freizeit zu gestalten. Weil, es gibt nun auch Freizeit und Familien, die in der Familie Freizeit gestalten möchten, die in Parks gehen, die ins Museum kommen. Und diese Kooperation mit der Aga-Khan-Stiftung hat schon dazu geführt, dass die Kinder, die mit den Bussen über die Schulen zu uns gekommen sind, am Wochenende mit ihren Eltern gekommen sind. Außerdem, in den letzten drei Jahren ist die Besucherzahl schon sehr gestiegen, aber wir reden da von 10.000 Besuchern im Jahr!
Karkowsky: Sie hören im "Radiofeuilleton" Susanne Annen, sie ist nach drei Jahren Kulturarbeit zurückgekehrt aus Afghanistan. Frau Annen, nun hört man immer, Kabul gilt als relativ sicher. Hatten Sie denn auch viel außerhalb von Kabul zu tun?
Annen: Ja, dadurch, dass ich auch mit den Provinzmuseen zu tun hatte, war ich unterwegs. Im letzten Jahr oder in diesem Jahr war ja Ghazni die Kulturhauptstadt der islamischen Länder, das heißt, wir haben auch eine kleine Ausstellung in Ghazni aufgebaut. Ich war natürlich in Bamyan und in Bandaramir im Norden Afghanistans unterwegs und das ist auch schon möglich.
Karkowsky: Wo die Buddhastatuen zerstört wurden.
Annen: Ja.
Karkowsky: Wie sieht es da jetzt aus?
Annen: Einige Organisationen arbeiten dort vor Ort und es ist ja immer noch keine wirkliche Entscheidung gefällt, ob die Buddhas wieder aufgebaut werden sollen oder nicht. Ich komme gerade aus Italien, wo es einen Workshop der UNESCO gegeben hat zu diesem Thema, aber auch wir Deutschen arbeiten ja immer noch vor Ort an der Restaurierung. wir haben die noch da vorhandenen Dinge gefestigt und die einzelnen Steine sind zusammengetragen, man weiß, wie viel Prozent noch da ist. Und nun müssen eben Entscheidungen gefällt werden, was passiert mit den Buddha-Statuen. Korea hat gerade einen Vertrag über die UNESCO mit dem Ministerium unterschrieben, es wird ein kleines Provinzmuseum dort entstehen, das soll nächstes Jahr losgehen. Also, die Aktivitäten in Bamyan sind schon immer noch auf dem Weg und sehr groß.
Karkowsky: Zieht denn dieser Ort jetzt schon Touristen an?
"Es gibt mittlerweile Flüge nach Bamyan"
Annen: Bamyan ist einer der Orte, die Touristen anziehen, es ist relativ sicher, Sie können reisen, es gibt nun mittlerweile Flüge, die Sie nach Bamyan nehmen können. Aber es sind vor allen Dingen asiatische Touristen, also japan, Korea, diese Länder sind sehr interessiert. Denen geht es natürlich um das buddhistische Erbe.
Karkowsky: Von hier aus wirkt Afghanistan wie ein mörderisch-gefährlicher Ort. Wie haben Sie das erlebt?
Annen: Na ja, ich habe das nicht so erlebt. Sicherlich ist man sich bewusst, dass jeden Tag was passieren könnte, und es gab ja auch in diesen drei Jahren einige Anschläge. aber ich habe mich nie als Anschlagsopfer gefühlt. Sie sind dann zum falschen Moment am falschen Ort. Es ging nie um mich und ich habe mich ganz normal da bewegen können. Natürlich in dem Sicherheitsrahmen, der mir gesteckt wurde. Ich war ja an einem Sicherheitssystem angeschlossen, sodass ich immer informiert war, was möglich ist und was nicht möglich ist.
Es gab natürlich auch an der ein oder anderen Stelle mal Ausgangssperren, dann musste ich halt zu Hause arbeiten. Aber es ist letztendlich ein ganz normales Leben, man fährt morgens ins Büro, man kommt abends zurück. Es ist limitierter natürlich, weil, man kann nicht auf die Straße gehen, man kann nicht durch die Stadt laufen, es muss alles organisiert werden, Sie haben ein Auto, was Ihnen zur Verfügung steht, und es wird dann eben immer abgesprochen mit der Sicherheit, was ist möglich, was ist nicht möglich. Vieles spielt sich im Privatleben ab, man trifft sich privat.
Karkowsky: Haben Sie denn da im Privatleben vor allen Dingen andere Expats getroffen, also ausländische Entwicklungshelfer, Reporter und so weiter, und die Afghanen selber nur als Fahrer und Helfer wahrgenommen, oder konnten sich da auch Freundschaften entwickeln?
Annen: Nein, es haben sich viele Freundschaften entwickelt. Ich war als einziger Ausländer an diesem Ministerium, ich habe einen lokalen Vertrag gehabt, ich war am Ministerium angestellt. Das heißt, meine Kollegen waren alles Afghanen. Und es haben sich sehr viele Freundschaften entwickelt.
Gewohnt habe ich in dem Haus der französischen archäologischen Delegation, was auch gar nicht anders möglich ist, weil, es gibt eben bestimmte Regularien, die Häuser werden geprüft und Sie müssen dann schon die Genehmigung bekommen, in ein Haus zu ziehen, und das muss halt bestimmten Sicherheitsvorkehrungen entsprechen.
Karkowsky: Sie haben in einem Interview mal Afghanistan eine Aufbruchstimmung bescheinigt. Wie macht sich das in der Kultur bemerkbar, welche Blüten treibt die heute in Kabul?
Annen: Es gibt viele Menschen gerade in Kabul, aber wie schon gesagt, in Kabul gibt es eine Mittelschicht, die kulturell interessiert sind und eben nicht nur an der islamischen Kultur, sondern auch an der vorislamischen Kultur. Es gibt Menschen, die ins Museum kommen, es gibt große Universitäten, es gibt sehr, sehr viele Studenten dort, die interessiert sind. es gibt Kulturinstitute, die sehr gut angenommen werden, das Goethe-Institut ist vor Ort, das französische Kulturinstitut ist vor Ort, der Babur Garden, der sehr gut angenommen wird, und die Menschen kommen und die Menschen fragen und die Menschen sind sehr interessiert an ihrer Kultur.
Karkowsky: Theater, Kino, Konzerte, das gibt es alles?
Annen: Theater, Kino, Konzerte, das gibt es alles. Es gibt mittlerweile eine sehr junge Kulturszene, eine sehr junge afghanische Kulturszene, es gibt afghanische Rockbands, die, wenn sie da zu einem Konzert gehen, genau die gleiche Stimmung rüberbringen wie hier. es gibt eine junge Malerszene, die sehr aktiv ist, wo es immer wieder Ausstellungen gibt. Es gibt diese Kulturszene durchaus.
Karkowsky: Und wenn das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr endgültig ausläuft – noch gilt es bis Februar –, wie schätzen Sie das ein, wenn die ausländischen Truppen abgezogen sind? Wird das für die Kultur etwas verändern?
Annen: Ich glaube nicht, dass das für die Kultur etwas verändern wird. Ich hoffe – das ist natürlich die Hoffnung –, dass mehr Gelder in Kultur halt fließen werden, wenn wir woanders Gelder abziehen. Für Kabul wird sich, glaube ich, nicht viel ändern, die Organisationen bleiben vor Ort, ob das die Aga Khan Foundation ist, ob das UNESCO ist, ob das die französischen Archäologen sind, ich glaube nicht, dass sich da viel ändern wird. Und die Geldgeber, die werden nach wie vor auch da sein.
Karkowsky: Nach drei Jahren Kulturaufbauarbeit in Afghanistan zurück in der Bundeskunsthalle Bonn: Susanne Annen, Ihnen besten Dank!
Annen: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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