
Von Berlin nach GaliläaHeimat gibt es nur zweimal
Beitrag hören Podcast abonnieren- Ein schwieriger Abschied: Ofer Waldman und Tochter Ori bei einem letzten Spaziergang in Berlin. (Natalia Smirnova)
Nach fast 20 Jahren in Deutschland geht Ofer Waldman zurück nach Israel. Er wäre lieber geblieben, doch seine Frau hatte Heimweh. Vor allem die politische Lage in Israel findet er schwer erträglich. Schafft er es, dort wieder eine Heimat zu finden?
Berlin ist zum Anziehungspunkt für viele junge Israelis geworden. Auch den Musiker und Journalisten Ofer Waldman zog es Ende der 1990er-Jahre zum Studium in die deutsche Hauptstadt. 2009 ging er wieder nach Israel - um 2014 mit seiner Familie nach Berlin zurückzukehren. Für Ofer der Ort, an dem er sein wollte, auch die Kinder waren bestens integriert. Doch seine Frau Gili litt unter Heimweh. Irgendwann war ihre Sehnsucht zu groß, der Umzug unumgänglich.
Ofer Waldman hatte sich für seine Kinder eigentlich eine Berliner Kindheit gewünscht. (Natalia Smirnova)
Ofer Waldman kehrt in ein Israel zurück, in dem konservativ-nationalistische Kräfte immer mehr die Oberhand gewinnen. Kaum jemand glaubt noch daran, dass eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern möglich ist. Ofer Waldman ist Vorsitzender der Deutschland-Sektion der NGO New Israel Fund, der sich für Menschenrechte und religiösen Pluralismus in Israel einsetzt.
Fremd ist ihm die Heimat geworden, auch wenn es immer noch Menschen gibt, die gegen den nationalistischen Kurs der herrschenden Politiker aufbegehren wie hier in Tel Aviv. (Ofer Waldman)
Zurückgegangen in ein Land, das ihn weder erwartet noch haben will. Was für ein Irrsinn, sagt Ofer Waldman. "Ich weiß nicht ob ich meine Frau beneiden soll, sie ist einfach zufrieden, wenn sie da ist, einfach glücklich, wenn sie in Israel ist, umgeben von den Ihren. Wer sind meine… wer sind meine? Ich rede ein Deutsch, das keine Muttersprache ist, aber ich sage immer, es ist meine erste Fremdsprache, es ist MEINE Fremdsprache."
"Dir gefällt es, da zu sein, wo du fremd bist", sagt Ofer Waldmans Frau. (Natalia Smirnova)
Ofer: Wieso fiel es mir schwer, nach Israel zu ziehen?
Gili: Wieso es dir schwerfiel? 1. Du willst in Deutschland sein. 2. Du willst nicht hier sein. Punkt.
Ofer: Wieso? Wieso will ich in Deutschland und nicht hier sein?
Gili: Warum du in Deutschland sein willst? Es tut dir gut, die Kultur, die Sprache, das Deutschsein. Dir gefällt es da zu sein, wo du fremd bist. Auch wenn du so eine Art Deutscher bist, bist du fremd. Du hast eine Distanz, die dir gut tut. Und in Berlin ist eine Kultur, wo jeder für sich ist. Das passt zu dir, du magst dich so, wie du in Deutschland bist. Und alles, was Israel, Familie, Identität angeht, wird zur Seite geschoben.
Ofer: Und wieso möchtest du nicht dort sein?
Gili: Es ist nichts Spezielles, ich möchte keine Migrantin sein, an einem Ort, der nicht mein Zuhause ist. Ich kann es nicht. Es ist eine Erfahrung von Fremdheit und Einsamkeit, es bringt mich um.
Ofer: Aber die Kinder? Hätten sie es dort nicht besser gehabt?
Gili: Absolut nicht. Sie haben hier ein besseres Leben.
Ofer: Wirklich?
Gili: Ja. Für ihre Identität und Zugehörigkeit ist es wichtig, da zu leben, wo sie hingehören, wo ihre Familie ist, wo Zuhause und auf der Straße die gleiche Sprache gesprochen wird, wo ihre Eltern Wurzeln haben. Und in Deutschland sitzt man sechs Monate im Haus, hier ist man ständig draußen, am Pool, am Strand, Wandern. Und ja, die Deutschen leben lieber allein. Unter sich. Das unterscheidet dich von mir. Für mich sind die Zugehörigkeit, die Familie, die sozialen Anbindungen am wichtigsten.
Ofer Waldmans Eltern sind beide in den 1940er-Jahren im Gebiet des heutigen Israel geboren. Die Großeltern stammen aus Ungarn, Polen und Rumänien. Keine "Jeckes" sind darunter, wie man die jüdischen Einwanderer aus Deutschland in Israel nennt.
7. Februar 2019. Ich schreibe meine Dissertation über Thomas Brasch, sein Bild hängt hier über dem Klavier, neben den Bildern meiner Familie, er schaut irgendwohin, ich glaube, es ist ein Bild, kurz nachdem er in die BRD, also nach Westberlin ging. Er trägt eine Lederjacke, Bart, …ich glaube, er ist hier Mitte 30, der ist ein bissel jünger als ich. Er schreibt in seinem Tagebuch, 1973, also noch in der DDR, da ist er nicht mal 30, er ist 28. Und da schreibt dieser kluge Mann: "Könnte ich das sinkende Schiff verlassen, verwandelte sich meine Sehnsucht am Ufer in das staunende Gehabe eines Touristen. Meine Heimat ist das sinkende Schiff. Meine Sprache ist die Sprache des sinkenden Schiffes. Meine Gesten sind die Gesten eines Ertrinkenden. Meine Sprache ist den Küstenbewohnern nicht verständlich, weil sie eine alte Sprache ist. Sie ist den Insassen des untergehenden Schiffs nicht verständlich, weil sie vom Untergang spricht, den sie nicht bemerken." Was für ein kluger Mensch. Tja. Ich bin zu oft weggegangen, um mich heimisch fühlen zu können.
Noch im deutschen Wohnzimmer: Ofer Waldman mit seinen Töchtern Ori und Naama. (Natalia Smirnova)
Zu oft weggegangen, um sich heimisch zu fühlen? (Ofer Waldman)
In gewisser Weise deutsch sieht es auch am neuen Wohnort der Waldmans aus, dem 1000-Einwohner-Dorf Alonei Abba, auf halber Strecke zwischen Haifa und Nazareth in Galiläa. Denn gegründet wurde Alonei Abba Anfang des 20. Jahrhunderts von Nachkommen der deutschen "Templergesellschaft", die es "Waldheim" nannten.
Doch ihre Ansiedlung war nicht von Dauer. Als deutsche Staatsbürger wurden sie wie alle deutschen Templer in Palästina bei Beginn des 2. Weltkrieges von den damals hier herrschenden Briten abgeschoben. Zurückgeblieben sind ihre im deutschen ländlichen Stil gebauten, in Israel fremd wirkenden Häuser.
Das Wahrzeichen Waldheims ist eine evangelische Kirche, die mitten im Dorf steht. 1948, im Jahr der Staatsgründung, kamen die ersten jüdisch-israelischen Siedler hierher und nannten den Ort in Alonei Abba um.
Ein Stück deutscher Kultur in Israel: die Templerkirche in Adonei Abba (Ofer Waldman)
Auch die Eltern von Ofer Waldman gehören zur Aufbaugeneration Israels: Sie haben die Staatsgründung 1948 als kleine Kinder erlebt - und die zahlreichen Kriege und Konflikte, in die der junge Staat verstrickt war. Etwa den Sechstage-Krieg 1967, den Israel gegen Syrien, Jordanien und Ägypten führte. Oder den Jom-Kippur-Krieg 1973 gegen Syrien und Ägypten, der Israel an den Rand des Untergangs brachte.
Nitsa: Die Paraden am Unabhängigkeitstag in den Fünfzigern, als ich ein Kind war, waren sehr bewegend. Wir waren Teil von etwas Großem, Kraftvollem, und es gehörte uns! Wir sind die erste Generation Israels. Die meisten von uns wuchsen in Palästina auf. Der Staat war echt und gehörte uns! Wir waren eine Generation… viele Eltern meiner Freunde waren Holocaustüberlebende. Nachts hörte man die Schreie aus den Häusern, die eng beieinander standen. Und viele hatten eine Nummer tätowiert am Unterarm. Und als Kind schaust du hin, habe ich zumindest gemacht.
Ofer: Für mich ist der Staat Israel eine Selbstverständlichkeit. Ich kann mir die Angst vor einem Vernichtungskrieg wie 67 nicht vorstellen.
Nitsa: Eher der Krieg 1973, das Gefühl, es ist bald zu Ende. Auf dem Golan, in Ägypten. Ich war zuhause mit zwei kleinen Kindern, Papa war anfangs bei Jericho, danach am Suezkanal. Ich war ein halbes Jahr allein. Aber der Staat? Das hätte schlimm ausgehen können.
Ofer: Netanyahu und Konsorten missbrauchen das, was ihr uns beigebracht habt: der heilige Staat, Kämpfen nur aus Not, Schießen und Weinen. Mama, ich war auch berührt von den Militärparaden! Aber heute, irgendwie, ist mir die Begeisterung abhanden gekommen.
Nitsa: Ja, einige wollten aus messianischem Wahn alle Gebiete erobern und behalten.
Ofer: Ihr hättet die besetzten Gebiete Anfang der Siebziger zurückgeben sollen. Dieser ganze Staat ist auf einen Wir-wir-wir-Trip. Ich bin kein Teil davon. Das soll euer Modellstaat sein??!
Nitsa: Nicht eurer, unsrer!
Gedeiht sie im fremden Boden? Ofer Waldman will einen Kastanienbaum in seinem Garten haben. (Ofer Waldman)
Eine Kastanie trägt Früchte, nur wenn sie einen richtigen Kälteschock im Winter bekommt. Ich bezweifle es, dass eine Kastanie in Galiläa, wo es hier im Sommer über 30 Grad wird und im Winter mal 0 Grad einen richtigen Kälteschock bekommt, es sei denn, ich übergieße sie im Januar jeden Morgen mit Eis aus dem Tiefkühlfach. Aber ich hoffe, dass sie wächst, die Esskastanie ihren Schatten spendet und mich jeden Morgen begrüßt, und dass sie jetzt, am Anfang des Frühlings, doch neues Leben findet. Wenn sie das schafft, dann schaffe ich es auch."
(Onlinetext: uko)
Das Manuskript zur Sendung können Sie hier als pdf-Dokument herunterladen.