Der Umgang mit der BDS-Kampagne

Wenn Worte zur Waffe werden

04:26 Minuten
Palästinenser halten in Gaza Banner während eines Protestes gegen die Entscheidung des Deutschen Bundestages in Bezug auf den BDS hoch.
Palästinenser halten in Gaza Banner während eines Protestes gegen die Entscheidung des Deutschen Bundestages in Bezug auf den BDS hoch. © Imago/ Mahmoud Ajjour
Ein Standpunkt von Ofer Waldman · 12.06.2019
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Der Bundestag hat die pro-palästinensische BDS-Kampagne als "antisemitisch" verurteilt. Das sei zwar gut gemeint vom Parlament, doch laufe man damit Gefahr, der israelischen Regierung zu folgen, die ihre Kritiker mundtot mache, warnt der Journalist Ofer Waldman.
Doppeldeutige Worte sind verwirrend. Zu dieser Gruppe gehört neuerdings der Begriff "Antisemitismus".
Seine gängige Auslegung lautet "Abneigung oder Feindschaft gegenüber den Juden", und wurde auf unsachliche Kritik an dem Staat Israel erweitert, die sein Existenzrecht bestreitet oder es nach Maßstäben verurteilt, die allein auf Israel angewendet wird.
In letzter Zeit entwickelt sich jedoch eine weitere Bedeutung des Begriffs "Antisemitismus", die mit der eben genannten nur scheinbar in Verbindung steht.
Diese Neuauslegung kommt direkt aus Israel. Dessen Regierung, die aufgrund ihrer völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik palästinensischer Gebiete in Erklärungsnot gerät, bezeichnet direkt oder indirekt jede Person oder Organisation als antisemitisch, die jene Politik kritisiert.

"Antisemitismus" als Diffamierungsinstrument

Doch wie kann man jüdisch-israelische Gegner der Besatzungspolitik als Antisemiten bezeichnen? Oder Freunde Israels – wenn auch nicht der israelischen Regierung – die die Entwicklungen in Israel sorgevoll beobachten?
Diese werden nun nicht direkt als Antisemiten bezeichnet, sondern als BDS-nah, also jener Bewegung nahestehend, die zum Boykott gegen Israel aufruft. Und obwohl diese Bewegung in Deutschland eher marginal ist, wird sie als ein antisemitischer Kraken portraitiert, der im Dunkeln lauert. Wer ist die BDS? Wer steht ihr nahe? Darüber urteilt letztlich allein die israelische Regierung, quasi nach Diffamierungsbedarf.

"Gut gemeint" ist der Weg in die Hölle

Schwierig wird es, wenn diese Taktik auf die deutsche Politik trifft. Der Weg zur Hölle, wie ein hebräisches Sprichwort sagt, ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Dass der deutsche Bundestag die BDS-Bewegung kürzlich als "antisemitisch" gebrandmarkt hat, ist genau ein solch guter Vorsatz mit schwierigem Ergebnis. Damit vermengt sich Deutschlands entschlossener und undifferenzierter Kampf gegen Antisemitismus mit jenem nach Differenzierung schreiendem deutschen Umgang mit Israel. Diese mit den Stimmen wahrer Israelfreunde verabschiedete Erklärung ist für die jetzige israelische Regierung ein Blankoscheck: Egal wen sie in Zukunft als BDS-nah listet – Deutschland muss darauf reagieren.
Am härtesten werden dadurch palästinensische Akteure getroffen, die damit unter einen pauschalen Verdacht des Antisemitismus gestellt werden, eine Pauschalisierung, die von manchem deutschen Politiker oder Beamten gelegentlich wiederholt wird. Deutschland nimmt sich so selbst die Fähigkeit, mit der palästinensischen Zivilgesellschaft im Gespräch zu bleiben. Dazu sickern durch diese Bundestagsentscheidung undemokratische Handlungsweisen nach Deutschland, die dem Grundrecht der Meinungsfreiheit einen immensen Schaden zufügen.

Differenzierung statt Sprechverbote

Dabei sind die Argumente der BDS oft leicht zu entkräften: Nur durch die Stärkung der Zivilgesellschaft vor Ort lässt sich eine friedliche Zukunft Israels und Palästinas gewährleisten. Nicht durch blinden Boykott, der im Kern nicht nur die Besatzung, sondern Israels jüdischen Charakter aufheben möchte.
Der Antisemitismus nimmt, vorangetrieben durch die Rückkehr des europäischen Nationalismus, rasant zu. Gerade deshalb darf der Vorwurf des Antisemitismus nicht durch inflationäres, unredliches politisches Instrumentalisieren entkräftet werden. Weder durch Boykott noch durch Sprechverbote, sondern allein durch politischen Mut zur Differenzierung wird Deutschland seiner friedenschaffenden Rolle im Nahen Osten gerecht.

Ofer Waldman, in Jerusalem geboren, war Mitglied des arabisch-israelischen West-Eastern-Divan Orchesters. In Deutschland spielte er als Hornist unter anderem beim Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin sowie den Nürnberger Philharmonikern. Neben einem Engagement an der Israelischen Oper absolvierte er ein Masterstudium in Deutschlandstudien an der Hebräischen Universität Jerusalem. Heute arbeitet er als Journalist, pendelt zwischen Israel und Deutschland und ist als ehrenamtlicher Vorsitzender des New Israel Fund in Deutschland tätig.

Ofer Waldman
© Kai von Kotze
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