Vom Surrealismus zum Kassenschlager

Von Wolfgang Martin Hamdorf |
Vor 25 Jahren, am 29 Juli 1983 starb Filmregisseur Luis Buñuel in Mexiko City im Alter von 83 Jahren. Von seinem ersten Film "Ein andualusischer Hund" bis zu seinem letzten Film "Dieses obskure Objekt der Begierde" zeichnen sich seine Filme durch eine Mischung aus formalen Neuerungen und sozialer Sprengkraft aus und wurden in vielen Fällen von der Zensur verfolgt. Zum bekanntesten Zensurfall seiner Karriere wurde der in Spanien produzierte Film "Viridiana" 1962.
Eine ausgelassene Stimmung herrscht im Herrenhaus. Die Bettler sind eingedrungen und bereiten ein üppiges Mahl zu. Der Blinde, der Leprakranke, der Lahme, dreizehn Bettler, dreizehn, wie Christus und seine Jünger, eine exakte Parodie auf Leonardo da Vincis "Abendmahl". Das "Hallejuja" aus Händels "Messias" schallt aus dem Grammophon, und das unheilige Abendmahl ufert aus in Blasphemie und Vergewaltigung.

"Viridiana" war nach 23-jährigem Exil in Mexiko Buñuels erster Film in Spanien, und der spanische Regisseur und Freund Buñuels Carlos Saura erzählt, dass der Meister nur mit großen Vorbehalten nach Spanien zurückging:

"Er fürchtete Repressalien des Francoregimes, aber es lag nichts gegen ihn vor. Ich reiste mit ihm vor Drehbeginn durch Spanien. Die Wahrheit war, dass Buñuel niemand kannte, bis auf einige Kulturkritiker, die ihn teilweise noch als degenerierten Anarchisten bezeichneten, aber gut, das Gleiche sagten sie auch von Picasso. Ich kann mich noch erinnern, dass irgendjemand auf ihn zuging und fragte, ob er der Filmemacher Luis Buñuel sei, und er wurde totenbleich, weil ihn jemand erkannt hatte. Erst Jahre später wurde er auch in Spanien zum Idol."

Obwohl "Viridiana" von den Zensurbehörden der Francodiktatur zunächst genehmigt worden war und auch 1961 in Cannes die goldene Palme gewann, provozierte der Film den größten Skandal der spanischen Filmgeschichte: Die rechtskatholischen Hardliner des Regimes wollten die Vernichtung des fertigen Films durchsetzen.

Zensur war für den eigenwilligen Regisseur allerdings nichts Neues. Schon bei der Premiere seines zweiten Films "L'age d'or" (Das goldene Zeitalter) 1930, gab es einen Skandal, als aufgebrachte Rechte im Publikum wegen der antiklerikalen Sequenzen randalierten. Der Film wurde verboten.

Die Aufführung seines spanischen Dokumentarfilms "Las Hurdes - Tierra sin pan" wird 1932 überraschend von der Regierung der jungen spanischen Republik untersagt. "Las hurdes" stilisiert ein unglaubliches Elend in einer abgelegenen Region und die absolute Abstumpfung des Menschen durch die Verhältnisse. Ein schwarzes Spanien, die dunkelsten Bilder Goyas, und ein Menschenbild, das so wenig mit dem reformerischen Eifer der spanischen Republik zu tun hatte.

Bei 32 Filmen führte Luis Buñuel Regie, und die Provokation war schon von Anfang an das Markenzeichen seiner Werke: In Paris präsentierte er 1929 gemeinsam mit Salvador Dalí seinen ersten Film "Ein andalusischer Hund". Ein Messer zerschneidet ein Auge, eine Hand fasst an eine nackte Brust - zwei Priester ziehen ein Klavier mit einem toten Esel durch eine bürgerliche Wohnung. Für den spanischen Buñuelexperten Javier Herrera steht "Un chien andalou" für einen entfesselten, fast pubertären Studentenhumor:

"Ich meine damit den experimentellen Ausdruck, aber auch das Amateurhafte. Wir dürfen nicht vergessen, dass ' Un chien andalou' in erster Linie ein Meisterwerk des Amateurfilms ist, gestaltet von zwei jungen Männern, die einen gemeinsamen Lebensabschnitt beendet haben, wie es die Hochschule oder der Militärdienst sein können, und jetzt einfach übermütig werden. Diese wunderbare Jugendlichkeit vermittelt der Film."

Das Amateurhafte war nur eine kurze Phase seines Schaffens, sie endete spätestens, als er kurz vor dem Spanischen Bürgerkrieg in Madrid als Produzent kommerziell erfolgreicher Großstadtkomödien arbeitete. Luis Buñuel ist keine exotische Randfigur der Filmgeschichte, keine exklusive Vollwertkost für Cineasten. Er arbeitete in Spanien, Mexiko und später auch in Frankreich mit großen Produktionsfirmen und produzierte zahlreiche Kassenschlager.

Dabei war Buñuel auch ein Chamäleon, das sich geschickt seiner Umgebung anpasste. Seine mexikanischen Filme sind hundert Prozent mexikanisch, seine zwei in Franco-Spanien produzierten Filme hundert Prozent spanisch, und sein Spätwerk ist französisch. Luis Buñuel hat es immer verstanden, die kulturelle Atmosphäre der einzelnen Länder aufzunehmen und trotzdem seine eigenen Themen zu verarbeiten, die Doppelmoral und die Doppelbödigkeit der bürgerlichen Familie und der katholischen Kirche.

Sein eigenes Familienleben und seine Arbeit hielt er dabei streng voneinander getrennt, erzählt sein Sohn Juan Luis Buñuel:

"Er hat niemals von seiner Arbeit gesprochen. Als mein Bruder 14 Jahre alt war, fragten sie ihn in der Schule: Macht dein Vater Filme? Er konnte darauf gar nichts antworten. Zu Hause wurde nie über Kino gesprochen."

Dabei suchte er den freundschaftlichen Kontakt zu seinen Mitarbeitern. Jean Claude Carriere entwickelte mit Buñuel die Drehbücher zu den Filmen seiner Spätphase: Belle de jour", "Die Milchstraße", "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" und auch zu seinem letzten Film "Dieses obskure Objekt der Begierde":

"Mit Buñuel arbeiten hieß auch mit Buñuel leben: essen, spazieren gehen, natürlich trinken. Ich habe mal zusammengerechnet, dass nur wir zwei alleine mehr als zweitausend Mal zusammen essen waren. Also mehr als manche Ehepaare, das machten wir aber auch, um etwas Gemeinsames jenseits der Arbeit zu haben, trotz unseres Altersunterschiedes, unserer unterschiedlichen Erziehung und Herkunft."

Als Luis Buñuel am 29.Juli 1983 starb, zeigte das staatliche spanische Fernsehen noch keinen seiner Filme. Das hat sich mittlerweile geändert. In Retrospektiven, Ausstellungen und Publikationen wurde Luis Buñuel in den letzten Jahren wiederholt in seinem Heimatland geehrt, und spanische, mexikanische und französische Filmhistoriker reklamieren ihn für die eigene Filmgeschichte.

Besonders verdient gemacht um das Werk Luis Buñuels hat sich die Forschungsstelle in seinem Heimatdorf Calanda. Für ihren Leiter Javier Espada ist die Faszination Luis Buñuels ungebrochen:

"Für mich ist Buñuel faszinierend, weil er aus seiner eigenen Freiheit heraus kreativ war. Er hatte eine ganz besondere Ethik, war sich und seinen Freunden treu und zeigt uns im Grunde genommen, dass jeder er selbst sein kann. Das ist das Besondere am Menschen Buñuel, abgesehen einmal von seinem großartigen, sehr persönlichen Werk. Buñuel zeigt mit seiner Person und seinem Werk, dass jeder seinen eigenen Weg gehen kann."
Mehr zum Thema