Vom Staat zum Unternehmen

John und Doris Naisbitt beschreiben China wie ein gut geführtes Unternehmen, dessen Erfolg auf acht Säulen beruht. Die kommunistische Regierung ist dabei sozusagen die Geschäftsführung, die aus einem abgewrackten Staatsbetrieb ein international erfolgreiches Unternehmen macht - und das chinesische Volk ist die Belegschaft.
"Betrachtet man Amerika als Land der unbegrenzten Möglichkeiten und Europa als eine Union, die davon besessen ist, alles von den Arbeitsbedingungen bis hin zur Banane zu regulieren, so kann man China als das Land des strategischen Fortschritts bezeichnen. Die gesamte Öffnung Chinas war Teil eines strategischen Planes, in dem die Unterstützung durch das Ausland und dessen Technologietransfer als Mittel zum Zweck genutzt wurden, um durch wirtschaftlichen Fortschritt den Aufbau der eigenen Machtposition zu bewirken."

John und Doris Naisbitt beschreiben China wie ein gut geführtes Unternehmen, dessen Erfolg auf acht Säulen beruht. Die kommunistische Regierung ist dabei sozusagen die Geschäftsführung, die aus einem abgewrackten Staatsbetrieb ein international erfolgreiches Unternehmen macht - und das chinesische Volk ist die Belegschaft. Während in den 60er-Jahren in China noch die Roten Garden Mao Zedongs wüteten, Kulturgüter zerstört, Intellektuelle verfolgt wurden und Bildung nichts zählte, zeigt das China von heute für die Naisbitts in allen Bereichen Erfolge.

"Die Meinungen der Welt zu China sind jedoch immer noch unterschiedlicher und gegensätzlicher als zu jedem anderem Land. Während Einigkeit über seine zunehmende Bedeutung herrscht, sind die Beurteilungen in anderen Belangen immer noch von Ignoranz und Vorurteilen geprägt."

Für die Autoren ist der Aufstieg Chinas eine Erfolgsgeschichte, wahr geworden wegen des chinesischen Systems:

"Rückblickend scheint es, als hätte es keine bessere Strategie geben können, um ein Land von solcher Dimension aus der Armut heraus in die Moderne zu führen. Hätte China eine Demokratie nach westlichem Vorbild errichtet, wären seine Energien in Wahlschlachten verpufft."

Die Naisbitts schildern den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas und Fortschritte im Bildungsbereich, in der Kunst, der Wissenschaft sowie im Presse- und Verlagswesen. Sie lassen Chinesen zu Wort kommen, die vom ungebildeten Bauernsohn zum Millionär aufstiegen, auch Kinder reicher Eltern, die im Ausland erzogen wurden und nun voller Stolz in ihr Heimatland zurückkehren. Für die Naisbitts werden in China Träume wahr, Erfolgsgeschichten Realität. Dass dies bisher nicht für alle gilt, sehen sie durchaus:

"Es gibt Menschenrechtsverletzungen in China und jede Menschenrechtsverletzung sollte verurteilt werden. Die andere Seite ist, dass kein Land in einem grundlegenden Menschenrecht in so kurzer Zeit mehr erreicht hat. Artikel 3 der Menschenrechtserklärungen der Vereinten Nationen besagt: 'Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.' Unter der Regierung der Kommunistischen Partei Chinas sind mehr als 400 Millionen Chinesen der bittersten Armut, dem Hunger, dem Kampf ums Überleben entronnen. China hat eine Alphabetisierungsrate von 90 Prozent, die Lebenserwartung liegt bei 73 Jahren und ein Pro Kopf Einkommen bei 6000 Dollar."

Für ein Land, in dem es erst seit 1982 bürgerliche Rechte gibt und in dem man vor etwas mehr als 30 Jahren Wohnung und Arbeit zugeteilt bekam, hat China in der Tat enorme Fortschritte gemacht. Auch mit seiner aktiven Armutsbekämpfung ist dem Land im letzten Vierteljahrhundert Erstaunliches gelungen. Was das Buch aber auslässt, ist der Preis, den die Erfolgsstory Chinas hat. Hier beschönigen die Autoren. Sie streifen Negatives nur am Rande und verweisen stets auf die Zukunft, in der die Welt noch über China staunen werde.

Fakt ist: Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas hat einen hohen Preis. Große Teile der Umwelt sind zerstört und müssen nun mühevoll wieder aufgebaut werden. Umweltschützer, die Unternehmen an den Pranger stellen und allzu kritisch berichten, werden Repressalien ausgesetzt, die von Jobverlust über Drohungen bis hin zu Inhaftierung reichen. Besonders gefährdet sind Leute, die der Regierung kritisch gegenüberstehen und ihre Meinung öffentlich machen: Nicht nur Umweltschützer, sondern Aktivisten jeder Art, Journalisten oder Rechtsanwälte. Internationale Menschenrechtsorganisationen weisen immer wieder darauf hin, dass in China massive Menschenrechtsverletzungen stattfinden und dass dort weltweit die meisten Todesurteile gefällt werden.

"Seit 2007 hat der oberste Gerichtshof die Verpflichtung, jede Todesstrafe zu überprüfen… Seitdem die Verhängung der Todesstrafe ausschließlich in Händen von Richtern liegt, sind die Exekutionen um die Hälfte zurückgegangen."

Wie kann man von Erfolgen reden, wenn noch nicht mal bekannt ist, wie viele Menschen in China jährlich hingerichtet werden? Diese Zahl ist ein gut gehütetes Geheimnis der chinesischen Regierung. Kann man wirklich von einem Erfolg sprechen ohne zu wissen, ob statt 10.000 Menschen nun nur noch 5000 exekutiert werden oder von 3000 nur noch 1500. John und Doris Naisbitt sprechen - genau wie die chinesische Regierung von Fortschritten, ohne Zahlen zu nennen.

Die Autoren sprechen, wie man dem Buch entnehmen kann, kein oder kaum Chinesisch. Könnten sie die Sprache, hätten sie sich mit denjenigen unterhalten können, die den Mut haben, angesichts drohender Repressalien Missstände anzuprangern. Sie hätten Menschen befragen können, die immer wieder unter Hausarrest gestellt werden, deren Internetseiten blockiert werden und die mit der Angst leben, dass jeden Tag die Staatsicherheit bei ihnen anklopfen und sie mitnehmen kann.

John und Doris Naisbitt fehlt offenbar jede kritische Distanz zu China. Ähnliches wie in ihrem Buch findet man kostenlos online - im chinesischen Propagandaorgan "China Daily".

Besprochen von Petra Aldenrath