Vom Skater bis zum Stino

Vergangene Woche war es wieder mal so weit: Was-ist-bloß-mit-den-Kids-los?-Alarm. So könne es nicht weitergehen, ließ Monika Griefahn (SPD) verlauten, Vorsitzende des Medienausschusses im Deutschen Bundestag, aggressiver und rassistischer Hiphop bedrohe die deutschen Kinderzimmer.
Nun ist es zwar immer wieder schön zu sehen, wie künstlerische Provokationsstrategien aufgehen, in diesem Fall die des Hiphop-Labels Aggro Berlin. Dass Griefahn aber glaubt, sich mit Verbotsforderungen hervortun zu können, ohne sich offensichtlich jemals näher mit der Materie des zu Verbietenden beschäftigt zu haben, hinterlässt dann aber doch einen unguten Nachgeschmack.

Es mag eine nutzlose Hoffnung sein, zu glauben dass die Veröffentlichung von "Coolhunters - Jugendkulturen zwischen Medien und Markt", der eigenständige Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung im Zentrum für Kultur und Medien Karlsruhe, dazu führen könnte, dass Kulturpolitiker wie Griefahn künftig zwei Mal hinschauen, bevor sie wilde Thesen in die Welt entlassen. Doch so breit das Thema des Buchs angelegt ist, so wenig tappen die meisten Beiträge in die offensichtliche Falle, alles sagen zu wollen und nichts zu treffen. "Coolhunters" leistet sich den Luxus des genauen Blicks.

Zum Beispiel auf Hiphop. Jannis Androutsopoulos, Sprachwissenschaftler an der Universität Hannover, beschreibt, wie in den Chatrooms von Hiphop-Webseiten Identität entsteht als "diskursive Konstruktion sozialer Zugehörigkeit". Will sagen: wie bestimmte Begriffe, in diesem Fall der des "Gangsta" in ihrer Benutzung aus ihrem amerikanischen Kontext gelöst und für einen lokalen Zusammenhang nutzbar gemacht wird. "Gangsta" wird zu "Gängschda", amerikanisch wird zu pfälzisch, wo einmal Authentizität durch Verweis auf die eigene Gefährlichkeit hergestellt wurde, wird diese Behauptung nun gleichzeitig überhöht und lächerlich gemacht - um neu kontextualisiert wieder Authentizität zu suggerieren.

Nun wird nicht jede jugendkulturelle Äußerung dadurch okay, dass man sie erklären und verstehen kann. Das Bild, das Toralf Staud in seinem Aufsatz "Runen, Bratwurst, Rüsselskins. Wenn Rechtssein Spaß macht" von der rechtsradikalen Jugendkultur im Osten Deutschlands zeichnet, ist erschreckend. Das interessante und anregende an "Coolhunters" ist jedoch, dass die meisten Aufsätze die Jugendlichen eben nicht als Objekt zeichnen, das allen möglichen Verführungen mehr oder minder schutzlos ausgeliefert ist (auf die man dann logischerweise nur mit dem Ruf nach Verboten reagieren kann). Die Texte präsentieren die Jugendlichen als Subjekt, das sich seine Identität aktiv zusammenzimmert, das immer wieder in der Lage ist, sich in ein produktives Verhältnis zu all den Angeboten zu setzen, die der gigantische Markt so macht.

Und das gilt nicht nur für Hiphop sondern genauso für Videospiele, das zweite Phantasma selbsternannter Jugendschützer. Interessant schildert etwas Sabine Himmelsbach in ihrem Aufsatz über "Kommunikationsstrategien im Cyberspace", wie falsch das Bild des sozial gestörten Ballerspiel-Abhängigen ist. Eine riesige Kultur hat sich rund um Spiele wie Doom oder Quake gebildet. Nicht nur, um sich bei großen Treffen dann in Teams gegenseitig umzulegen - die offene Softwarekonstruktionen vieler Games lädt längst dazu ein, die Spiele selbst weiterzuschreiben. Mit Machinima hat sich sogar eine Subkultur gebildet, die die Räume, die diese Spiele anbieten, nutzt, um Animationsfilme in ihnen stattfinden zu lassen.

"Coolhunters. Jugendkulturen zwischen Medien und Markt"
Suhrkamp Taschenbuch. Frankfurt 2005
280 Seiten, 10 Euro
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