Vom Sinn und Unsinn der Konkurrenz

Rezensiert von Michael Ginsburg · 19.06.2011
Die Kritik am Konzept der "Wettbewerbsfähigkeit" ist nichts Neues. 1994 schrieb der Nobelpreisträger Paul Krugman, dass "Die Doktrin der Wettbewerbsfähigkeit in der Praxis schlicht und ergreifend falsch ist". Was Krugman bereits vor 16 Jahren mit Blick auf die zwischenstaatliche Politik als Unsinn erkannte, scheint heute aber ein fester Bestandteil unseres alltäglichen Lebens geworden zu sein.
Das Konzept der Konkurrenz zwischen Unternehmen wurde zunehmend auf andere Bereiche übertragen und drang bis in die letzen Poren unserer Gesellschaft ein. Die Folgen dieser Entwicklung untersucht Mathias Binswanger und stellt fest, dass sie verheerend sind.

"Sinn wird durch Unsinn verdrängt, Qualität durch Quantität und die Freude an einer Tätigkeit durch Zuckerbrot und Peitsche."

Er schreibt, dass die Politik immer mehr Wettbewerbe künstlich inszeniert, um so vermeintliche Marktelemente in Bereiche einzuführen, die mit dem freien Markt überhaupt nichts gemein haben. Solche Bereiche sind beispielsweise unsere Schulen, Universitäten und Krankenhäuser. Die Politik macht das aus der Überlegung heraus, dass Wettbewerb im freien Markt zu guten Ergebnissen führt. Also wird das Prinzip kurzerhand auf die Bereiche umgemünzt, in denen der Markt nicht mal ansatzweise existiert. Und weil kein Markt existiert, in dem die Konsumenten entscheiden, was gut und was schlecht ist, wird die dazugehörige Bürokratie geschaffen. Darin sieht der Autor ein Verhängnis:

"Denn jetzt sind die Besten diejenigen, die bei irgendwelchen willkürlich festgelegten Kennzahlen am besten abschneiden."

Beschäftigte in den auf Wettbewerb getrimmten Betrieben und Organisationen erhalten den Anreiz, ihr Verhalten ausschließlich an den Zielen der Bürokratie oder der Controllingabteilung auszurichten. Dabei wird das Entscheidende häufig vernachlässigt, nämlich der gesellschaftliche Nutzen ihrer Arbeit. Und was kommt dabei heraus? Als Beispiel wird im Buch der Wissenschaftsbetrieb an Universitäten genannt. Dort ist die Anzahl der Publikationen ausschlaggebender, als deren Inhalt. Das führt zu massenhaft belanglosen Publikationen, die nichts zum wissenschaftlichen Fortschritt beitragen. Die Suche nach Erkenntnis steht nicht mehr im Vordergrund, stellt der Autor düster fest. Unsinn findet er auch in Krankenhäusern, wo Ärzte und Krankenschwestern mehr Zeit damit verbringen, eine Behandlung zu dokumentieren, als beim Patienten. Diese Beispiele sind in einer teils locker polemischen, teils nüchtern analytischen Sprache verfasst. Wer Kafka gelesen hat, wird hier Ähnlichkeiten finden.
"Mitarbeitende betonen fast durchwegs, dass sie gerne mehr Zeit für ihre Patienten und Patientinnen hätten, aber die vielen technischen Prozeduren und die ausufernde Datenerfassung verhindern das erfolgreich."
Aber das ist noch nicht alles. Sein drittes Argument ist, dass die innere Motivation der Menschen verdrängt wird. Inszenierte Wettbewerbe setzen voraus, dass Menschen sich über äußere Anreize, wie etwa einen Bonus oder Gehaltserhöhung motivieren lassen oder mit Strafen zu mehr Leistung gebracht werden können. "Zuckerbrot und Peitsche" nennt er die dadurch entstehende Mentalität. Mund halten und die Ziele der Controllingabteilung befolgen, so verhält sich ein anständiger Bürger. Spaß an der Arbeit zu zeigen ist hier unerwünscht, weil man sonst den Eindruck vermitteln könnte, einen Weg gefunden zu haben diesen inszenierten Wettbewerb zu umgehen. Doch im Buch findet man auch Lösungsansätze, obwohl sie wohlgemerkt schablonenhaft sind und vom Informationsgehalt gewisse Ähnlichkeiten mit Wahlsprüchen aufweisen. Es wird zum einen gefordert, dass Entscheidungen nicht über die Köpfe Beteiligten hinweg getroffen werden, denn diese wüssten am besten was zu tun sei. Und es wird für mehr Subjektivismus in den hier besprochenen Bereichen plädiert.

"Entscheidungen über die Einführung von Wettbewerben dürfen nicht mehr einfach von oben herab gefällt werden. Auch diejenigen, die von Wettbewerben betroffen sind, müssen an Entscheidungen und deren Umsetzung beteiligt werden."
Des Autors eigener Subjektivismus wird jedoch nicht jedem aus der Seele sprechen, denn an einigen Stellen neigt er zu einem überheblichen Elitismus. So schreibt er beispielsweise, dass Zuckerbrot und Peitsche definitiv die falschen Mittel seien, um bei Wissenschaftlern, Ärzten, Therapeuten und Lehrern die gewünschten Leistungssteigerungen zu erzielen. Bei unkreativen oder unspannenden Berufen könne diese Motivationsstrategie aber tatsächlich zu Höchstleistungen führen. Er spricht von "absurd großzügigen Bafög-Zahlungen", die dazu führten, dass sich immer mehr Studenten an Universitäten tummelten und somit Bildung und Forschung schlechter würden. Und er lässt es sich nicht nehmen, auch mal mit genetischer Vererbbarkeit von Intelligenz zu argumentieren. Stichwort Sarrazin. Dennoch gelingt Binswanger ein Spagat zwischen Analyse und Polemik.

Mathias Binswanger: Sinnlose Wettbewerbe – Warum wir immer mehr Unsinn produzieren
Herder Verlag
Buchcover "Sinnlose Wettbewerbe – Warum wir immer mehr Unsinn produzieren"
Buchcover "Sinnlose Wettbewerbe – Warum wir immer mehr Unsinn produzieren"© Herder Verlag