40. Todestag von Albert Norden am 30. Mai

Vom Rabbinersohn zum antisemitischen SED-Propagandisten

08:40 Minuten
Ein Mann Mitte fünfzig mit Glatze hält ein Dokument in der linken Hand und zeigt mit dem Zeigefinger der rechten auf das Dokument.
Albert Norden flüchtete 1933 aus Deutschland, sein Vater starb im KZ. In der DDR wurde er Chef-Propagandist. © imago/ZUMA/Keystone
Von Jens Rosbach |
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Albert Norden war KPD-Mitglied, flüchtete 1933 und wurde später Chef-Propagandist der DDR. Als solcher steuerte er antizionistische und sogar antisemitische Kampagnen – obwohl er selbst jüdisch war und sein Vater, ein Rabbiner, im KZ umgekommen war.
„Die Augen der Welt gehen auf und erkennen, dass der antisemitische, faschistische Ungeist mit seinen Exzessen seinen Ursprung im Bonner Regime selber hat.“
So spricht Albert Norden 1969 auf einer Pressekonferenz. Das jüdische Politbüro-Mitglied – hohe Stirn, Glatze und grauer Haarkranz – sah seine Hauptaufgabe darin, NS-Verstrickungen in Westdeutschland anzuprangern: etwa die des Bundesvertriebenen-Ministers Theodor Oberländer, des Kanzleramtschefs Hans Globke oder des Bundespräsidenten Heinrich Lübke. „An oberster Stelle steht heute die Ausschaltung der Kriegspolitiker.“

Gewalterfahrungen im Elternhaus

1965 veröffentlichte Albert Norden das Werk „Braunbuch: Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik“. Es listete die frühere NS-Verquickung von 1800 Unternehmern, Politikern und Beamten auf. Die propagandistische Anklage, die im Kalten Krieg hohe Wellen schlug, basierte zwar auf Fakten, dennoch spricht der Berliner Historiker Martin Jander von einer agitatorischen „Exkulpation“:
SED-Chefpropagandist Norden – und die von ihm angeleiteten Medien – prangerten immer nur die braune Vergangenheit der Westdeutschen an, sagt Jander: „Große Teile der DDR-Bevölkerung werden einfach als Opfer des Faschismus/Imperialismus gedeutet und nicht als Mittäter, die sie ja auch zu großen Teilen gewesen sind. Insofern ist er ein hervorragender Propagandist für die DDR, da er diese Exkulpation mitmacht.“
Der mächtigste DDR-Funktionär mit jüdischen Wurzeln verhinderte aber nicht nur die NS-Aufarbeitung in Ostdeutschland, sondern hetzte auch besonders scharf gegen Israel. Wie kam er dazu? Albert Norden wird 1904 als Sohn des liberalen Rabbiners Joseph Norden geboren. Albert hat als Teenager, wie er später schreibt, „durch einige elterliche Ohrfeigen gewürzte Auseinandersetzungen“.

Karriereeinstieg bei kommunistischen Zeitungen

Früh distanziert sich Albert Norden vom religiösen, bildungsbürgerlichen Zuhause – und tritt bereits als 13-Jähriger in die Freie Sozialistische Jugend ein.
Als 17-Jähriger verfasst er eine Ausgabe der „Rundbriefe der radikal-sozialistischen jüdischen Jugend“, in der er zu Spenden für das hungernde Sowjetrussland aufruft. Als Anschrift gibt er die Familien- und Synagogen-Adresse in seiner rheinländischen Heimatstadt Elberfeld an.
„In der kommenden Woche trafen Hunderte große und kleinere Pakete mit Werkzeugen, wenig gebrauchten Schuhen, Anzügen und Kleidern … zu Hause ein“, erinnert sich Norden später in einer Zeitschrift. „Meine Eltern, deren Ruhe und Wohnraum dadurch zeitweilig arg beeinträchtigt wurden, waren so wütend, dass sie mich hinauszuwerfen drohten.“

KPD-Mitgliedschaft und Flucht

Wurde Albert Norden aus Opposition zu seinen Eltern zum sozialistischen Klassenkämpfer? Das liegt bis heute im Dunkeln. Klar ist nur: Norden arbeitet – als KPD-Mitglied und Vertrauter von Arbeiterführer Ernst Thälmann – für verschiedene rote Zeitungen und landet Mitte der 20er-Jahre zwei Mal im Gefängnis.
1933 flieht er nach Dänemark, dann ins Saargebiet und in die Tschechoslowakei, nach Frankreich und in die USA.
Nach dem Krieg kehrt der jüdische Kommunist nach Ostdeutschland zurück und wird 1949 Pressechef im Informationsamt der DDR. Dort betreute er ausländische Journalisten agitatorisch.

Norden schaut bei Judenverfolgungen weg

Norden verschweigt gern seine jüdischen Wurzeln. Dass sein Vater, der Rabbiner, wenige Jahre zuvor im KZ Theresienstadt umkam, ändert daran nichts. Doch bald droht dem SED-Aufsteiger Ungemach – wegen seiner jüdischen Herkunft.
Anfang der 50er-Jahre startet die Sowjetunion eine antizionistische und antisemitische Kampagne, die schnell auf die anderen Ostblockländer überschwappt.
„Angeklagter Rudolf Slansky, treten Sie vor das Mikrofon! Bekennen Sie sich der vier Straftaten für schuldig?“
„Ja.“
„Erstens: der Spionage?“
„Ja.“
„Des Hochverrats?“
„Ja.“
„Der Sabotage?“
„Ja.“
In Prag wird dem jüdischen Kommunisten Rudolf Slansky ein Schauprozess gemacht, in dem sich Slansky selbst beschuldigen muss. „Ich habe mich im Dienste des angloamerikanischen Imperialismus betätigt.“

Todesurteil gegen Otto Katz

Slansky und zehn weitere werden zum Tode verurteilt, darunter der jüdische Schriftsteller Otto Katz, alias André Simone – ein Freund von Albert Norden. Der einflussreiche DDR-Funktionär unternimmt aber nichts zur Rettung seines Weggefährten.
„Das ist schon ein großes Schuldkonto, was da aufzumachen ist“, sagt Historiker Martin Jander.
Möglicherweise hat Norden selbst Angst vor Verfolgung. Schließlich ist er – ähnlich wie Slansky – ein jüdischer Kommunist aus dem westlichen Exil, was Moskau verdächtig erscheinen könnte.

Perfide Hass-Brief-Kampagne

Die DDR-Regierung unter Walter Ulbricht führt die antisemitische Kampagne allerdings nur halbherzig weiter und nimmt Norden aus der Schusslinie, indem sie ihn 1953 zum Professor an der Berliner Humboldt-Universität macht.
Kurz darauf, nach Stalins Tod, steigt Albert Norden zum Propagandachef des Zentralkomitees der SED auf und anschließend ins Politbüro der SED.
In dieser Funktion organisiert er 1961, als Adolf Eichmann in Israel vor Gericht kommt, etwas besonders Perfides: Norden schmiedet einen Plan, wie der Prozess gegen den Architekten des Holocaust im Ost-West-Konflikt ausgeschlachtet werden kann.
Daraufhin startet die Stasi die Aktion „Vergissmeinnicht“: Der Geheimdienst verschickt fingierte antisemitische Briefe an westdeutsche Juden – Hass-Briefe, die angeblich von Rechtsextremen in der Bundesrepublik stammen. „Habt Ihr nicht genug, Ihr Judenschweine?“, heißt es darin. „Dich hat man wohl vergessen, zu vergasen.“
Die inszenierte Kampagne soll laut Politbüro-Protokoll zu einem öffentlichen Aufschrei führen und aufzeigen, „dass in Westdeutschland revanchistische Politik und Rassenhetze wieder Platz ergriffen haben.“

Albert Norden und der Sechstagekrieg

Skrupellos agiert Albert Norden auch 1967 während des Sechstagekrieges: Der SED-Funktionär nötigt andere ostdeutsche Juden, die angebliche „Aggression“ Israels in einem offenen Brief zu verurteilen. Doch in einem mutigen Akt des Widerstands sagen viele der Angesprochenen „Nein“.
Mit großem Aufwand kann Politbüro-Mitglied Norden schließlich doch noch einige Juden dazu bringen, Israel öffentlich als „unrechtmäßigen“ Staat darzustellen, der mit westdeutschen „Nazi-Generalen“ kooperiere. „Albert Norden, der Sohn eines Rabbiners, macht sich hier zu einem Propagandisten einer aggressiven, auf die Vernichtung Israels orientierten, Politik“, hält Martin Jander fest.
Jander, der kürzlich das Buch „Juden in der DDR“ mit herausgegeben hat, betont: Um Albert Norden zu charakterisieren, müsse man auch aufzählen, was der SED-Propagandist alles nicht getan hat. So habe Norden zu antisemitischen Vorfällen in Ostdeutschland geschwiegen und zur Verfolgung jüdischer Gemeindemitglieder, die tausendfach in den Westen flüchteten.

Albert Nordens Leben als Forschungslücke

Der Historiker wundert sich, dass bislang keine wissenschaftliche Einrichtung das Leben von Albert Norden genauer erforscht hat – obwohl der jüdische Kommunist an vielen politischen Brennpunkten wirkte. Jander glaubt, dass eine solche Recherche sehr bedrückend wäre. „Das ist natürlich eine gruselige, abgründige Geschichte. Und deswegen möglicherweise hat sich auch keiner darangemacht.“

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