Volksbegehren zum Tempelhofer Feld

FDP setzt sich für Randbebauung ein

09:54 Minuten
Schattenrisse gegen Abendhimmel: Besucher sind auf dem Tempelhofer Feld in Berlin unterwegs.
Platz zum Radeln, Skaten, Spazieren: Vor allem die Weite des Tempelhofer Felds fasziniert viele der Besucherinnen und Besucher. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Von Daniela Siebert · 18.12.2020
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Der ehemalige Flugplatz Tempelhof ist ein beliebtes Ausflugsziel für Berlinerinnen und Berliner. Per Volksentscheid legten sie 2014 fest: Die Freifläche inmitten der Stadt darf nicht bebaut werden. Nun soll ein neues Volksbegehren das Veto aufheben.
Flugzeuge fliegen nur noch selten und in großer Höhe über das Tempelhofer Feld. Dafür hört man jetzt Vögel auf den weiten Rasenflächen zwitschern, im Frühsommer brütet hier sogar die Feldlerche. Auch andere bedrohte Tiere sind hier inzwischen zu Hause, zum Beispiel 40 verschiedene Bienen- und Wespenarten. Und – am augenfälligsten: Abertausende Berliner und Berlinerinnen nutzen die riesige Freifläche, inklusive der beiden Start- und Landebahnen, jetzt im Herbst gerne, um Drachen steigen zu lassen, ganzjährig zum Radfahren und Spazierengehen. Für Hunde gibt es sogar umzäunte Bereiche zum Freilaufen.
Auch diverse Sportler haben das Feld für sich entdeckt: von Softball bis Frisbee werfen, Fußball sowieso. Sogar Kite-Skaten ist hier möglich. Mareike Witt: "Für mich ist das Feld ein Ort, wo man einfach gut abschalten kann. Wenn man aus den engen Stadtgebieten kommt, ist es ein Ort, wo man Weite sieht. Es tut der Seele gut. Das ist etwas, was ich hier sehr genieße. Als ich hergefahren bin, hat gerade jemand zu einem Freund gesagt: Es ist doch immer wieder wie am Meer hier. Es ist ein Ort für die Berlinerinnen zum Auftanken."

Mitten auf dem Feld stehen ein Paar Überseecontainer. Hier kann man weitere Vehikel ausleihen: vom Tandem-Gokart über Elektroeinräder bis zum Mini-VW-Bus in dem auch Dreijährige losdüsen können, wo einst Flugzeuge entlang rollten. Zu dem bunten Treiben kommen Schrebergärten, kostenlose Klohäuschen, vereinzelte Sitzbänke, versprengte Verkäufer von Speisen und Getränken. Es dominiert: die Weitläufigkeit. Ein Blick in die Ferne, den man in Berlin sonst nicht hat. An manchen Tagen nutzen viele Tausend Menschen das Tempelhofer Feld. Doch die Freiraum-Idylle scheint bedroht.

Steigende Mieten, Mangel an Wohnraum

Am 1. Oktober hat die Berliner FDP eine Unterschriftensammlung gestartet, die zum Ziel hat, das sogenannte Tempelhofer-Feld-Gesetz zu ändern. Das schützt die Fläche bislang vor dauerhafter Bebauung. Mit dem Leitspruch "Baut auf diese Stadt" wirbt die FDP seither für ein neues Volksbegehren, das diese im Gesetz möglich machen soll. FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja:
"Die Situation ist einfach die: im Verhältnis zu 2014, wo es eine Entscheidung dafür gab durch die Berlinerinnen und Berlin, das Tempelhofer Feld nicht zu bebauen, sondern zu 100 Prozent frei zu lassen, dass wir sagen: Diese Brachfläche, die wir jetzt dort sehen, die können wir uns nicht mehr erlauben. Deshalb wollen wir 200 Hektar frei lassen, 100 Hektar am Tempelhofer Rand entwickeln. Das geht aber eben nur, wenn ich mit der Stadt eine neue Verabredung treffe, und das geht nur im Rahmen eines Volksentscheides und nicht im Rahmen einer Gesetzesinitiative im Berliner Parlament."

Steigende Mieten und immer mehr Zuzug erzeugten Handlungsbedarf, bilanziert Czaja. Angedacht hat die FDP erneut eine ringförmige Bebauung entlang der Außengrenzen des Parks, rund 12.000 Wohnungen: ein Drittel kommunale Wohnungsbaugesellschaften, ein Drittel Genossenschaften, ein Drittel private Bauunternehmen. Bezahlbares Wohnen sei das Ziel, so die Kampagne und die Bebauung solle "behutsam" sein. Was das heißt?
"Behutsam heißt eben, dass sie sich ins Stadtbild fügt, dass sie auch die Interessen, die sich aus den Notwendigkeiten der Kieze heraus ableiten, mit berücksichtigt. Deshalb geben wir mit unserem Gesetz jetzt nicht alles im Detail vor, sondern das ist am Ende der Prozess im Rahmen eines Volksentscheides, einem Stadtdiskurs, den wir führen wollen."
Luftaufnahme des ehemaligen Flughafens Tempelhof in Berlin
Riesige Grünfläche inmitten von Berlin: das Tempelhofer Feld.© picture alliance / dpa / Bernd Von Jutrczenka

Das Tempelhofer Feld wird immer beliebter

So finden sich auch viele der bisher genannten Koordinaten nicht so konkret im Gesetzentwurf der FDP. Wohl aber, dass auch Gewerbebauten an der südlichen Flanke, wo eh schon Stadtautobahn und Zuggleise verlaufen, möglich werden sollen.
"In welcher Form dann Gewerbe dort benötigt wird, das werden wir sehen. Wichtig ist, dass es ausgewiesen wird als Gewerbefläche."
Diese FDP-Pläne bringen Mareike Witt und ihre Mitstreiter auf die Palme. Mareike Witt ist Vorstand des Vereins 100% Tempelhofer Feld, hat schon 2014 erfolgreich dafür gekämpft, dass die Ränder der Fläche nicht gebaut werden dürfen. Aus Sicht der Initiative gelten die Argumente dagegen nach wie vor. Mehr noch:
"Seitdem wird das Feld immer beliebter. Die Besucherzahlen sind überwältigend. An schönen Tagen haben wir über 90.000 Menschen, die einfach so auf das Feld kommen. Das sind Werte, die gab es 2014 überhaupt nicht. Seitdem ist auch der Aspekt von Klimaschutz und Artenvielfalt viel wichtiger geworden. Uns ist klar geworden, dass wir in Zeiten des Klimawandels, in Hitzesommern, Kühlflächen für die Stadt brauchen. Und das Tempelhofer Feld ist einfach der Kühlungsort hier für Berlin."

"Ein reines Wahlkampfmanöver"

Zudem sei die Erschließung als Baugrund so kostspielig, dass hier gar kein billiger Wohnraum entstehen könne, ergänzt ihre Mitstreiterin Antje Brand. Auf der Internetseite der Initiative wird heftig gegen die FDP-Pläne gewettert. Das sei ein "reines Wahlkampfmanöver". Doch so richtig als Bedrohung sieht Mareike Witt das noch nicht.
"Der Vorstoß der FDP zeigt einfach, wes Geistes Kind die Partei ist, und das ist nicht besonders bedrohlich. Das ist ja bekannt, welche Interessen die FDP vertritt – und dass die Immobilienlobby immer wieder die Bebauung des Feldes fordert. Was an der Sache sehr ernst zu nehmen ist, ist, dass gezeigt wird, dass demokratische Entscheidungen wie der Volksentscheid immer wieder hinterfragt werden, und durch das Immer-Wieder-Darüber-Reden auch Dinge ins Dasein gesprochen werden. Und die SPD und CDU unserer Wahrnehmung nach dann doch auch mit ihren Plänen das erfreut beobachten und sagen: Ja, dann soll die FDP sich jetzt erstmal das blaue Auge holen, und dann kommen wir mit etwas weniger Bebauung um die Ecke."

Dass die Meinung zum Thema in der Bevölkerung keineswegs eindeutig ist, zeigt eine zufällige Umfrage unter den Nutzern des Tempelhofer Feldes. Unter ihnen ist das Echo auf die FDP-Bebauungspläne durchwachsen. Diese Verleiherin von Elektrofahrzeugen, fürchtet um ihr Geschäft:
"Ich fände das superschade, wenn das Feld bebaut wird, weil: Ich einfach finde, dass das so ein schöner Platz ist – und der für die Öffentlichkeit weiterhin zur Benutzung stehen sollte. Auch eine Randbebauung wäre für mich keine Option, weil auch das eine Riesenbaustelle bedeuten würde, die das Feld lange unbenutzbar machen würde."
Zahlreiche Besucher genießen auf dem Tempelhofer Feld das schöne Wetter am Pfingstwochenende.
Früher Flughafen, jetzt Freizeitparadies: Berlinerinnen und Touristen zieht es auf das Tempelhofer Feld.© picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka

"Bitte keine Randbebauung"

Auch Marianne, Mitte 60, die hier Nordic Walking macht, ist Contra. Sie habe 2014 selbst für das Feld gekämpft und Unterschriften gesammelt: "Ich freue mich immer wieder, dass es geklappt hat, dieses Volksbegehren. Und ich hoffe, dass alle die Finger davon lassen und das nicht bebauen. Es ist so ein Schmuckstück, also so ein Kristall. Den kriegt man nie wieder in Berlin. Wenn man die Randbebauung macht, dann ist das Feld verloren. Es wird sich ausbreiten wie eine Krake."
Auch Mutter Miriam Duo und Sohn Jacomo, die das Feld heute auf Inlineskates umrunden, sind dagegen: "Bitte keine Randbebauung. Es wird einfach zu voll werden hier. Es ist einfach dann ruiniert." – "Wenn dann Leute dort wohnen, dann wird es immer voller werden."

Auch der 30-jährige Maximilian Wessel hält nichts von dem Unterfangen der FDP. Heute geht er hier nur spazieren, sonst ist er auch schon mal als Softballspieler hier auf dem Feld.
"Verständlich ist es, weil die Wohnungsnot so groß ist in Berlin. Aber ich denke, dass wahrscheinlich das Ergebnis das gleiche sein wird. Ich glaube schon, dass die Berlinerinnen und Berliner dieses Feld schätzen gelernt haben, und es zeichnet uns ja auch als touristischen Ort aus. Und je kleiner man ihn macht, desto mehr geht von diesem Flair verloren. Ich bin eher dafür, dass man es vielleicht freizeitgestalterisch ausbaut, dass man sagt, hier kommen noch mehr Anlagen, mehr Cafés, mehr Toiletten, mehr Bäume, mehr Schattenmöglichkeiten - da wäre ich total dafür, wenn man da für Bebauung ist, aber jetzt nicht Wohnungen, Bibliotheken. Das kann man woanders machen."
Schafe grasen im Licht der untergehenden Sonne auf dem Tempelhofer Feld.
Auch Schafe grasen auf dem ehemaligen Flugplatz. Zahlreiche Tierarten wie die Feldlerche haben sich angesiedelt.© picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka

Zustimmung zu Bebauung wächst

Es dauert, bis man auf dem Feld jemanden findet, der die Bebauung befürwortet. Bei diesem Mann, der mit seinem Schäferhund und seiner Tochter unweit der Stadtautobahn spazieren geht, ist das der Fall. Er habe auch 2014 beim Volksentscheid für die Bebauung gestimmt. Abgesehen davon sei er mit der FDP aber nicht auf einem Kurs.
"Sofern die Naturschutzflächen, die jetzt als solche auch ausgewiesen sind, sofern diese geschützt werden, stehe ich eigentlich einer Randbebauung gar nicht so negativ gegenüber. Bei der Wohnungsraumknappheit in Berlin ist das vielleicht keine schlechte Idee."
Einschlägige Wissenschaftler wollten sich in Berlin nicht zu dem Vorhaben der FDP äußern. Weder von politikwissenschaftlicher Seite noch von stadtplanerischer.
Sebastian Czaja ist gleichwohl zuversichtlich, bis Mai die nötigen 20.000 Unterschriften für die Einleitung eines Volksbegehrens zusammenzubekommen. Mit den Berliner FDP-Mitgliedern rechnet er fest. Die würden nun auch in ihrem Umfeld sammeln, so die Hoffnung. Hoffnung machen der FDP offenbar auch die Umfragen der letzten Monate. Die hätten wachsende Zustimmungswerte für eine Randbebauung ergeben.
Mit einer Abstimmung in einem Volksbegehren ist in etwa zwei Jahren zu rechnen, wenn bis dahin alle nötigen Hürden genommen werden.
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