Volker Braun: "Handstreiche"

Ein in die Vernunft vernarrter Aufklärer

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Im Vordergrund ist das Buchcover von "Handstreiche", im Hintergrund ist der Autor Volker Braun, der in einem dunklen Jacket vor einem Mikrophon sitzt.
Lust am Denken und an bohrenden Sätzen: der Lyriker, Erzähler, Dramatiker und Essayist Volker Braun. © Suhrkamp / Imago / Gezett
Von Michael Opitz · 07.05.2019
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Zu seinem heutigen 80. Geburtstag schenkt Volker Braun seinen Lesern das Buch "Handstreiche". Darin hinterfragt er den Zustand unserer Gesellschaft und bietet Hilfe beim Erlernen des aufrechten Gangs an.
Der Name des Autors ist spätestens seit seiner "Unvollendeten Geschichte" in Ost und West bekannt: Volker Braun. Heute wird der am 7. Mai 1939 in Dresden geborene Lyriker, Erzähler, Dramatiker und Essayist 80 Jahre alt.
Braun ist ein Widersprecher, ein in die Vernunft vernarrter Aufklärer. Seine Literatur setzt – ganz im Sinne Brechts – auf die Lust am Denken. Braun findet Gefallen an bohrenden Sätzen. Und mit bodenlosen Sätzen (so der Titel seiner gleichnamigen Erzählung von 1990) gelingt es ihm, scheinbar Festgefügtes ins Wanken zu bringen.

Ohne viele Worte in Geberlaune

Zunächst sorgt ein Wort in dem Motto, das seinem jüngsten Buch vorangestellt ist, für Verwunderung. Es lautet: "Gebgierig will er sein; aber das sind nur Worte."
Gebgierig ist ein selten gehörtes und in dem hier verwendeten Zusammenhang ein beinahe unerhörtes Wort, denn der sich da in Geberlaune vorstellt, geizt geradezu mit Worten.
Was Braun gibt, steht zwischen den Zeilen. Und es ist, obwohl an Worten wenig, viel. Denn wer sich einlässt auf das Spiel, in der Kürze etwas auf den Punkt bringen zu wollen, der wird sich nicht stören an den nur wenige Zeilen umfassenden Texten, sondern eher am Umfang des Buches.

Zwiesprache mit dem eigenen Ich

Fürs Nachdenken bieten diese Kurztexte Langanhaltendes, womit sie im Widerspruch zum Titel des Buches stehen. Denn bei einem Handstreich handelt es sich um einen blitzartigen Überfall, der, eigentlich entlehnt aus dem militärischen Bereich, inzwischen auch für politische und wirtschaftliche Übernahmen verwendet wird.
"Aus der Oase der Utopien in die Wüste des Wohlstands", heißt einer von Brauns Aphorismen, in denen der gesellschaftliche Istzustand hinterfragt wird.
In anderen Texten hält der Autor Zwiesprache mit dem eigenen Ich: "Herrschen will ich nicht, auch über mich nicht, dienen kann ich nicht, auch mir nicht."
Schließlich begegnet man in einigen dieser Denksprüche einem gewissen Flick, den man bereits aus Brauns "Machwerk" (2008) und dem "Flickwerk" (2009) kennt. Mit diesem Flick kommuniziert das sprechende Ich, wenn es ihn und sich selbst zur Rede stellt: "Flick, der zur Sache kommt. Ich, der sie kommen läßt."

Räume, die einladen, sie zu begehen

Die schönsten Aphorismen in Volker Brauns Buch sind die raumgreifenden, jene, in denen mit nur wenigen Worten Räume geöffnet werden, die dazu einladen, sie zu begehen, um sich an den dargebotenen Denkangeboten zu erfreuen.
"Handstreiche" ist ein Trainingsbuch. Es unterweist einen in Bewegungen des Denkens und insofern ist es eine hilfreiche Handreichung beim Erlernen des aufrechten Gangs.
Ein kleines, wohlbedachtes Geschenk von einem, der in die Jahre gekommen ist. Das merkt man seinen Texten an: Sie weisen, mit Weisheit gesättigt, zurück in die Zukunft.

Volker Braun: "Handstreiche"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
91 Seiten, 18 Euro

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