Virtuelle Parallelwelt

Sonderwirtschaftszone ohne Aufsicht

04:43 Minuten
Ein Junge steht in einem Raum, der blau erleuchtet ist, im Hintergrund ist eine Figur zu sehen.
Vielleicht bald schon Alltag: Mit dem Avatar in virtuelle Welten abtauchen, hier auf der Messe "Fitur 2022" in Madrid. © picture alliance / ZumaPress / Sopa / Guillermo Gutierrez Carrascal
Ein Kommentar von Adrian Lobe · 10.02.2022
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Geht es nach den Vordenkern im Silicon Valley, werden wir bald in virtuelle Paralleluniversen wie das Metaverse abtauchen. Doch auch hier müssen Menschen vor Straftaten geschützt werden und Gesetze gelten, betont der Journalist Adrian Lobe.
Vor wenigen Wochen gab Justin Bieber ein virtuelles Livekonzert. Auf der Kühlerhaube eines Oldtimers stehend, performte der Superstar vor einer Stadtkulisse einen Song aus seinem neuen Album. Die Fans jubelten ihm zu.
Vor ihnen stand jedoch kein Mensch, sondern ein Avatar, und der sah nicht nur so aus wie Bieber, sondern bewegte sich auch wie das Original. Wenn der leibhaftige und voll verkabelte Sänger im Studio die Hand hob, tat ihm dies der Avatar gleich. Wie eine Marionette.
Biebers erster Auftritt im sogenannten Metaverse hat für Furore gesorgt. Geht es nach den Vordenkern im Silicon Valley, dann werden wir in diesem virtuellen Paralleluniversum künftig nicht nur arbeiten, sondern auch Konzerte und Vorlesungen besuchen. Mit einer klobigen Datenbrille klinkt man sich in einen virtuellen Raum, wo man sich mit einem Avatar als einer Art Spielfigur bewegt.

Echte Nike Turnschuhe für den Avatar

Der Schriftsteller Neal Stephenson hat das Metaverse in seinem Roman „Snow Crash“ als einen Raum imaginiert, der Orte und soziale Hierarchien nivelliert. Allein – mit der Romanvorlage hat die Realität wenig zu tun.
Die Parallelwelten, die Tech-Konzerne wie Meta oder Microsoft bauen, sind riesige Immobilienprojekte, die die Träume von Krypto-Investoren beflügeln – und die Ökonomisierung des virtuellen Raums weiter vorantreiben.
So hat der Sportartikelhersteller Nike in dem Online-Spiel Roblox einen virtuellen Freizeitpark errichtet, wo User Völker- oder Basketball spielen können. Die passenden Sneakers kann man gleich dazukaufen – als NFT, als digitales Echtheits- und Eigentumszertifikat. Der Avatar soll schließlich gut aussehen.

Geschäftsaktivitäten im virtuellen Raum 

Schon jetzt ist das Metaverse also eine gentrifizierte Sonderwirtschaftszone, eine Mischung aus Disneyland, Dubai und Duty-free-Shop. Designermöbel kommen für Tausende Dollar unter den Hammer, für virtuelle Grundstücksflächen werden Preise aufgerufen, als wären es beste Lagen in München oder Hamburg.
Das Reality-Sternchen Paris Hilton hat in Roblox gleich eine ganze Insel gebaut. In der Traum- und Barbiewelt „Paris World“ können Besucher einen Nachbau ihrer Villa in Beverly Hills bestaunen, virtuelle Kleider kaufen oder Jet-Ski fahren.
Gucci-Tasche und Chauffeur? Kein Problem im Metaverse. „Luxus für alle!“, lautet das Motto. Die Frage ist nur: Wer kontrolliert eigentlich diesen Raum? Und wer profitiert davon?
Erst vor wenigen Wochen wurde auf der Facebook-Plattform Horizon Worlds ein Fall von sexueller Belästigung bekannt: Eine Nutzerin war mit ihrem Avatar von einem Fremden begrapscht worden. Nur weil die Berührung virtuell ist, folgt daraus nicht, dass sie nicht sexuell übergriffig ist. Gewalt muss nicht physisch sein.
Nur: Was macht man als Frau in einer solchen Situation? Den Vorfall melden? Die Polizei alarmieren? Die Ordnungskräfte können ja schlecht mit einem Streifenwagen in den virtuellen Raum fahren. Wenn die EU und nationale Regierungen nur mit Mühe das Netz regulieren können, wie soll das dann in der virtuellen Realität funktionieren?

Staatliche Untätigkeit ist bedenklich 

Der Staat regelt im physischen Raum zentimetergenau Abstandsflächen und Neigungswinkel von Dächern. Doch im virtuellen Raum herrscht Wildwuchs.
Wenn sich Facebook-Chef Mark Zuckerberg als Architekt des virtuellen Raums geriert, ist das ungefähr so, als würde der Betreiber eines explodierten Atomkraftwerks sagen, er baue jetzt auf dem Mars eine Öko-Modellsiedlung. Die Tech-Plattformen haben schon genug verbrannte Erde hinterlassen.
Der Staat muss ihnen bei ihren Bauvorhaben genauer über die Schulter schauen: Und zwar jetzt, denn sonst endet der Gesetzgeber als Witzfigur – sowohl in der analogen als auch der virtuellen Realität. 

Adrian Lobe, Jahrgang 1988, hat in Tübingen, Heidelberg und Paris Politik- und Rechtswissenschaft studiert. Seit 2014 arbeitet er als freier Journalist für diverse Medien im deutschsprachigen Raum, unter anderem „Die Zeit“, „FAZ“, „NZZ“, „Süddeutsche Zeitung“. 2016 wurde er für seine Artikel über Datenschutz und Überwachung mit dem Preis des Forschungsnetzwerks „Surveillance Studies“ ausgezeichnet. Er ist zudem Träger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus. 2019 erschien sein Buch „Speichern und Strafen – Die Gesellschaft im Datengefängnis“.

Adrian Lobe
© privat
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