Vielfältige Bilder vom Meer

Von Volkhard App |
Mit der zweiten Schau maritimer Malerei knüpft die Hamburger Kunsthalle an ihren Erfolg von 2005 an. Diesmal wird Kurs auf die Moderne des 20. Jahrhunderts genommen. Zu sehen sind Bilder von Max Beckmann bis Gerhard Richter. Sie zeigen das Meer als Schauplatz von Katastrophen oder als Ort kaum zu stillender Sehnsüchte.
Alle Kraft voraus, auf zu neuen Ufern: Reichte das Spektrum der ersten "Seestücke" von Caspar David Friedrich, dem deutschen Pionier dieses Sujets, bis zu Emil Noldes expressiven Farbaufschwüngen, so wird nun vollends Kurs auf die Moderne des 20. Jahrhunderts genommen.

Und da ist der Max Beckmann-Raum zu Beginn gleich ein Höhepunkt: Strände und Meeresmotive, wohin man schaut: doch etwas düster, mit unheimlichen Formen, oft ist der Blick aufs Meer auch durch Gegenstände verstellt.

Kurator Felix Krämer: "Max Beckmann beschreibt in seinen Tagebüchern und Briefen immer wieder sein sehr enges Verhältnis zum Meer. Er spricht es auch direkt als gute Freundin an. Er wollte ursprünglich zur See fahren und hat sich mit 13 auf einem Amazonasdampfer beworben. Auch in seinem Frühwerk vor dem Ersten Weltkrieg gibt es immer schon Seestücke. Und dann entstehen im Amsterdamer Exil zwischen 1937 und '47 zahlreiche maritime Darstellungen, die im Zusammenhang mit seiner Lage eine sehr skeptische Weltsicht darstellen. Was man vielleicht erwarten dürfte – Sonnenschein und Menschen am Strand - das vermisst man bei ihm. Es ist eher ein von Düsternis und Skepsis geprägter Blick."

Lyonel Feininger schätzte Segel als markante Formelemente auf seinen prismatisch aufgebrochenen Bildflächen, und bei Paul Klee wurden Dampfer zu poetischen Vehikeln bei seiner Reise ins spirituelle Jenseits. Von maritimen Motiven ließ er sich immer wieder faszinieren:

"Ich sehe hie und da Schiffe durch das blaue Meer ziehn, und dann hält es mich nicht mehr am Ort."

Die apokalyptisch aufgeladenen Küstenlandschaften Franz Radziwills gehören ebenso zum Spektrum dieser Schau wie der von Otto Dix auf die Leinwand gebrachte Matrose im Milieu, der gerade einer Liebesdame an die Wäsche geht. Joachim Ringelnatz wiederum warf als Maler 1933 im Angesicht des Faschismus und belastet durch Krankheit einen Abschiedsblick auf die geliebte Hafenkneipe, die er auch mit lebhaften Versen bedachte:

"Doch in jener selben Schenke
Schäumt um einfache Getränke
Schwer erkämpftes Seemannsglück.
Die Matrosen kommen, gehen.
Alles lebt vom Wiedersehen.
Ein gegangener Gast sehnt sich zurück."


Der Begriff "Seestück" wird in Hamburg weit aufgefächert – und manchmal ist auf den Werken auch gar kein natürliches Meer zu erkennen. So malte der Brite Paul Nash 1941 in staatlichem Auftrag Trümmer abgestürzter deutscher Flugzeuge und nannte diesen Kriegsfriedhof "Totes Meer".

Mit jenen Jahren weitet sich das Panorama der Kuratoren noch einmal und es geraten internationale Strömungen ins Visier, plakative Stile wie die Pop-Art der 60er. Auch Andy Warhol hat große Segelboote gemalt, Bilder mit freien Flächen und hineingesetzten Nummern – als wären sie für Hobbykünstler zum Ausmalen gedacht. Und von Roy Lichtenstein sind verblüffende Videos zu sehen:

Meereswellen und Meeresvögel nehmen aber nur jeweils einen Teil dieser bewegten Bilder ein, in die andere Hälfte sind die charakteristischen Rasterpunkte Lichtensteins montiert. Diese 1970 zur Weltausstellung in Osaka produzierten Videos werden zum ersten Mal in Europa präsentiert.
Manch andere Werke sind überhaupt erst für diese Ausstellung entstanden: Anselm Kiefer hat Bleiflächen, Reste eines Boots und Scherben eines Krugs übereinander geschichtet und will dieses mythisch raunende Opus als Anspielung auf Caspar David Friedrichs "Eismeer" verstanden wissen.

So schillert die Meeresfläche in Hamburg in allen Tönen: das Meer als Schauplatz von Katastrophen, das Meer als vielfach frequentierter Verkehrsweg von Containerschiffen, das Meer aber auch und immer wieder als Ort kaum zu stillender Sehnsüchte von Zivilisationsmenschen - die Fotos von Hiroshi Sugimoto veranschaulichen es mit ihren weiten, verschwimmenden Horizonten. Die romantische Tradition wirkt nach und manchmal nähern sich moderne Künstler bewusst dem Kitsch.

Felix Krämer: "Das kann ich so nicht bejahen (lacht). Allerdings strahlen Gerhard Richters Seestücke eine unglaubliche Schönheit und Harmonie aus. Richter begann mit seinen Seestücken 1969, als man von der Kunst weitgehend ein politisches Statement erwartete. Er dagegen wandte sich dem schönen Anblick der Wasseroberfläche zu, spielte mit Lichtreflexen und Wolkengebilden. Und da war ‚Kitsch’ schon eine provokative Geste. Er hat das Thema immer wieder aufgegriffen. Wir zeigen sechs Seestücke in einem Raum: Man steht in der Mitte – und wenn man sich umdreht, blickt man überall auf das Wasser."

Die Gewalt ist trotz aller Romantik auf den Arbeiten unübersehbar: Robert Longo brachte noch vor dem Tsunami-Unglück mit Kohle mörderische Wellen aufs Papier. Und da herrscht in der Natur die Gewalt des Menschen: Filmaufnahmen zeigen die US-Atombombenversuche am Bikini-Atoll aus immer neuen Perspektiven.

Kunst zwischen Schrecken und Verklärung: auf eine simple Botschaft lässt sich diese liebevoll gestaltete Ausstellung nicht reduzieren, durch ihre thematischen Facetten und stilistischen Wechsel beansprucht sie die ganze Aufmerksamkeit des Publikums.

Bei der ersten Schau vor zwei Jahren geriet die Eröffnungsrede noch zu einer einzigen Verteidigung des Themas – denn der Titel "Seestücke" wurde von Fachleuten belächelt und man hielt das Projekt irrtümlich für ein kunsthistorisches Leichtgewicht, für ein Sommer-Intermezzo zur touristischen Vermarktung. Jetzt, bei dieser zweiten, ebenfalls höchst anregenden Kreuzfahrt, gilt das Thema "Seestücke" als durchgesetzt. Sicher hält man in Hamburg Kurs, zufrieden darf der Besucher wieder von Bord gehen – und schwankt womöglich leicht, weil er soviel gesehen hat. Eine abenteuerliche Reise.

Service:
Die Ausstellung "Seestücke"ist in der Hamburger Kunsthalle vom 8. Juni bis 16. September 2007 zu sehen.
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