Vertreibung

Heimat unterm Braunkohlebagger?

Von Barbara Schmidt-Mattern  · 11.12.2013
Mit den drei Abbaugebieten Inden, Hambach und Garzweiler II liegt die Braunkohleförderung im Rheinischen Kohlerevier bei rund 100 Millionen Tonnen im Jahr. Auch für die nun rot-grüne Landesregierung ist die Braunkohle "unverzichtbar". Sie begründet die anhaltende Umweltzerstörung mit Energiesicherheit durch Kohleverstromung ungeachtet der Verwüstung von Landschaft und Siedlungen. Und trotz der miesen CO2-Bilanz bei der Verfeuerung.
Sie sitzen, stehen, drängeln sich auf jedem Zentimeter des alten Steinfußbodens - Familien mit Babys, Teenager und viele alte Menschen erweisen Sankt Lambertus die letzte Ehre. In der ersten Reihe sitzt Helga Schröder ...
"Unbegreiflich ... aber was will man machen ... es ist nun mal so ... "
Die 73-Jährige dreht ihren großen weißen Lockenkopf und guckt sich noch einmal um in der 122 Jahre alten Kirche. Im Dorf wird der neoromanische Bau auch stolz der "Immerather Dom" genannt. Erst stockend, dann plötzlich sprudelnd erzählt Helga Schröder über ein ganzes Leben, das verbunden ist mit Sankt Lambertus:
"Mein Vater war Organist hier an der Kirche, ich habe die ganzen Jahre die Kirche geputzt, hab am Freitag noch hier geputzt ... es ist ein komisches Gefühl, schlimm, ich könnte so heulen ..."
Die alte Dame bekommt feuchte Augen. Die Immerather sind Kummer gewöhnt. Seit Jahren schon läuft die Umsiedlung des 1000-Einwohner-Dorfes, süd-westlich von Köln, mitten im riesigen 48 Quadratkilometer großen Braunkohle-Tagebaugebiet Garzweiler II. Toni Nelles hat hier fast 65 Lebensjahre verbracht - aber dieses Immerath, wie es jetzt aussieht, vermisst er nicht mehr:
"Da sind nur noch 'zue' Türen, 'zue' Rollläden, alles totenstill. Ich bin dieser Tage ... habe ich mir mal die Zeit genommen und habe Sankt Lambertus noch mal rundum von allen Seiten abgelichtet. Da bin ich vielleicht so zwei Stunden unterwegs gewesen. Also, so wat von ruhig im Ort, dat ist man einfach nicht gewohnt."
Übermacht von Politik, Wirtschaftsinteresse und Gewinnmaximierung
14 Dörfer und damit über 7000 Menschen sind bereits umgesiedelt, anderen steht das erst noch bevor. Zurück bleiben Geisterdörfer, die von privaten Sicherheits-Diensten bewacht werden, bevor die Hochhaus großen Schaufelrad-Bagger alles wegbuddeln, den Supermarkt, das Vereinslokal und bald auch die Kirche. Nicht mal den Toten auf den Friedhöfen wird Ewige Ruhe gewährt, sie werden in Zinksärgen umgebettet.
"Aller Widerstand war angesichts der Übermacht von Politik, Wirtschaftsinteresse und Gewinnmaximierung von vornherein zum Scheitern verurteilt."
Günter Salentin, einer der beiden Pfarrer, nimmt kein Blatt vor den Mund. Die Grünen in Nordrhein-Westfalen haben über ein Jahrzehnt gegen die Braunkohle gekämpft, und den Abbau dann zähneknirschend hingenommen. SPD und CDU befürworten den Tagebau Garzweiler hingegen seit jeher. Es gehe um Versorgungssicherheit und Arbeitsplätze, so stellte Landes-Wirtschaftsminister Garrelt Duin, SPD, kürzlich im nordrhein-westfälischen Landtag noch einmal klar:
"Wir alle wollen eine nachhaltige Stromversorgung mit einem schnellstmöglich steigenden Anteil erneuerbarer Energien. Gleichzeitig braucht besonders das Industrieland Nordrhein-Westfalen Versorgungssicherheit. Das heißt: Auch wenn der Wind nicht weht, die Sonne nicht scheint, muss die Stromversorgung jederzeit sichergestellt sein. Bis eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien vollumfänglich möglich sein wird, ist eine Ergänzung durch möglichst hocheffiziente und flexible fossile Kraftwerke notwendig. Dabei ist auch klar, dass die Braunkohle noch länger eine Rolle im Energiemix spielen wird."
Rückenwind verspürt die traditionell kohle-freundliche NRW-SPD in diesen Tagen durch den schwarz-roten Koalitionsvertrag in Berlin. Konventionelle (Braunkohle-)Kraftwerke werden dort auf absehbare Zeit als "unverzichtbar" erklärt.
Für die Grünen, gerade in Nordrhein-Westfalen, ist das starker Tobak, bilden sie doch in Düsseldorf eine gemeinsame Regierung mit der SPD. Reiner Priggen, Grünen-Fraktionschef und Energieexperte, sieht vor allem die Probleme, die der Braunkohletagebau auslöst: Wer Glück hat und nicht zwangsumgesiedelt wird, muss stattdessen mit schweren Bergschäden im eigenen Haus rechnen:
"Sie müssen, um die Braunkohle zu fördern, das Grundwasser großflächig abpumpen. Dann gibt es Absenkungen von Häusern, wirklich in Teilen zehn, 15 Kilometer entfernt. Sie können wahrscheinlich nachweisen, bis unter'n Kölner Dom Auswirkungen des Tagebaus Hambach. Jeder kann sich vorstellen, wenn Sie in Ihrem Haus auf einmal Wasser haben, das unten im Keller steht, das zieht Ihnen unten in die Wände, das kann bis zum Totalverlust gehen. Und da jetzt aufzupassen, dass wir in diesen Gebieten nicht mehr siedeln, was passiert, wenn das Wasser wieder ansteigt, das hat bisher niemand beachtet."
Trotz dieser Argumente vonseiten der Politik: Mittlerweile steht ein großes Fragezeichen hinter Garzweiler. Hartnäckig halten sich seit ein paar Monaten Gerüchte, RWE wolle den Tagebau nicht wie geplant bis zum Jahr 2045 betreiben, sondern früher aussteigen. Seit der Energiewende ist das Geschäft mit der Kohle für den ohnehin angeschlagenen Konzern längst nicht mehr so lukrativ wie früher. RWE-Chef Peter Terium weist dennoch alle Spekulationen zurück. Bei der jüngsten Telefonkonferenz zur Bilanz-Vorstellung versicherte der Vorstands-Vorsitzende, ...
" ... dass wir zur Braunkohle stehen, dass wir weiter fördern werden, und ich glaube, viel mehr Klarheit kann man im Moment nicht mehr verlangen, und deutlicher als aus dem Mund des Vorstandsvorsitzenden kann man so was wohl nicht hören wollen. Und viel mehr gibt's dazu einfach nicht zu sagen und auch nicht hinzuzufügen."
"Kein konkretes Datum, wie lange noch …"
Auffällig ist jedoch: Peter Terium nennt kein konkretes Datum, wie lange RWE in Garzweiler noch Kohle fördern wird. Dass der RWE-Chef sich so schmallippig zeigt, hat nicht nur mit der Energiewende zu tun, sondern möglicherweise auch mit einem Aufsehen erregenden Verfahren in Karlsruhe. Seit Juni prüft das Bundesverfassungsgericht, ob die Umsiedlungen und Enteignungen in Zusammenhang mit dem Tagebau Garzweiler rechtmäßig und mit dem Gemeinwohl zu rechtfertigen sind.
Geklagt haben ein Hausbesitzer aus Immerath, der sein Recht auf Freizügigkeit verletzt sieht, und der nordrhein-westfälische Bund für Umwelt und Naturschutz, BUND. Anlass ist die Zwangs-Enteignung einer 10.000 Quadratmeter großen Obstwiese, die der BUND in den neunziger Jahren gekauft hatte. Heute klafft dort ein tiefes Loch, die Wiese fiel dem Braunkohle-Tagebau zum Opfer. Dirk Jansen ist der Geschäftsführer des BUND in Düsseldorf:
"Wir hatten da hundert Obstbäume, alles hier ehemals heimische alte Obstsorten wie der Rheinische Bohnapfel oder die Rote Sternrenette - haben daraus letztendlich, als die Bäume tragreif waren, unseren 'Garzweiler-Flächenbrannt', einen Apfelbrannt produziert, und es war tatsächlich in dieser zunehmend verwüsteten Landschaft eine ökologische Oase. Und die war für uns Symbol, nach dem Motto: So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen, gegen den immer näher rückenden Braunkohlebagger, mit all der Vernichtung, die dranhängt."
Der BUND bezeichnet Garzweiler II als "Wahnsinnsprojekt" und als "klimapolitischen Amoklauf". Dass sich nun das höchste deutsche Gericht Monate lang mit der Auseinandersetzung beschäftigt, und - was nicht selbstverständlich ist - im Juni sogar eine mündliche Verhandlung anberaumt hat, wertet Dirk Jansen schon jetzt als großen Erfolg:
"Da haben wir zwanzig Jahre drauf hingearbeitet, das ist auch ein Novum, das hat es in Deutschland noch nicht gegeben ..."
Das Bundesverfassungsgericht, das kommenden Dienstag sein Urteil verkünden will, bestätigt die Angaben von Dirk Jansen. Die zentrale Frage der Verhandlung, nämlich unter welchen Voraussetzungen eine Enteignung in Deutschland möglich ist, wurde in Karlsruhe zwar schon oft verhandelt. Aber noch nie in Zusammenhang mit dem Abbau von Rohstoffen. Ein Präzedenzfall also - allein schon das macht Dirk Jansen stolz:
Zurück in Immerath beim letzten Gottesdienst für Sankt Lambertus. Rentner Toni Nelles tritt zum Ende der über zweistündigen Zeremonie vor den Altar.
"Wir wollen unseren Blick aber nun nach vorne richten, in der Hoffnung, bald mit Trommeln und Trompeten in unsere neue Kapelle einzuziehen."
Bei aller Tapferkeit: Toni Nelles kann die Tränen nicht zurückhalten, und so stützt ihn die Gemeinde mit einer in einer Kirche ungewöhnlichen Geste:
"Wo wir, wie auch in dieser Kirche ... uns eine neue Heimat für unsere Bruderschaft erhoffen/Applaus"
Pfarrer Werner Rombach wird jetzt gleich Hostienschale, Kelch und Evangeliar aus der Kirche tragen, Sankt Lambertus wird damit entwidmet. Für Immerath war es das. Andere Ortsteile von Erkelenz, die mit der Umsiedlung erst in ein paar Jahren an der Reihe sind, schöpfen hingegen neue Hoffnung. Denn die Stadtverwaltung hat ihre Umsiedlungspläne erst einmal gestoppt - wegen all der Spekulationen über ein vorzeitiges Ende der Kohleförderung. Doch egal, wie Politik, Justiz oder auch der RWE-Konzern am Ende jeweils entscheiden: Für Immerath und Sankt Lambertus käme jede Planänderung zu spät. Der Abriss dieses Dorfes ist nicht mehr aufzuhalten, sagt Pfarrer Rombach:
"Da ist nix mehr zu machen, und man muss ja auch einfach sagen, was will eine Gemeinde mit einer Kirche in einem Ort, wo keiner mehr wohnt?!"
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