Verstorbene Größen aus Kunst und Kultur

Nie wieder "Schausaufen mit Betonung"

Der Schriftsteller Harry Rowohlt , aufgenommen am 13.10.2011 auf der 63. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main.
Harry Rowohlt, geboren am 27. März 1945 im Hamburger Luftschutzkeller, gestorben am 15. Juni 2015 ebenfalls in Hamburg © picture alliance / dpa-Zentralbild / Arno Burgi
Von Stefan Keim · 31.12.2015
Im vergangenen Jahr sind viele bedeutende Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur gestorben: von Harry Rowohlt über Günter Grass bis zu Kurt Masur. Stefan Keim erinnert an einige von ihnen.
"Moin, Moin, ich bin Harry Rowohlt, und ich wurde am 27. März – falls Sie mir was schenken wollen – 1945 in Hamburg in der Hochallee 1 im Luftschutzkeller geboren."
Leider können wir dem großen Harry Rowohlt nur noch warme Worte schenken, denn er starb Mitte Juni. Wahrscheinlich würde hierzulande niemand Flann O´Brien lesen, wenn Harry Rowohlt ihn nicht übersetzt hätte. Seine Lesungen waren Happenings, die manchmal sechs Stunden dauerten. "Schausaufen mit Betonung" nannte er sie selbst. Rowohlt übersetzte und las auch Kinderbücher und schrieb hinreißende Glossen unter dem Titel:
"Poohs Corner – Meinungen eines Bären von sehr geringem Verstand!"
Ach ja, er wurde auch zweimal zu Empfängen des Bundespräsidenten eingeladen.
"Und weil ich das Gesamtwerk von Flann O´Brien übersetzt habe – Verlag Kein & Aber, acht Bände im Schuber, 119 Euro – und 1996 vom Dachverband der irischen Brennereien mit dem Ehrentitel Ambassador of Irish Whiskey ausgezeichnet wurde, ging das, fand ich, in Ordnung."
Günter Grass schrieb Reden für Willy Brandt und engagierte sich für Sinti und Roma
Noch näher an der deutschen Politik und ihren Machern war – zumindest zeitweise – Günter Grass. Er schrieb Reden für Willy Brandt, engagierte sich gegen Atomkraft und für Sinti und Roma.
Grass galt als moralisches Gewissen, bis heraus kam, dass er als 17jähriger einige Monate lang Mitglied der Waffen-SS war. Grass hatte das verschwiegen. 1999 bekam er den Nobelpreis für Literatur für seinen Roman "Die Blechtrommel". Kurz vor seinem Tod machte sich Günter Grass Sorgen, dass immer weniger Menschen Bücher lesen.
"Die Zahl derer, die die Muße aufbringen, das zu tun, hat sich verringert. Vielleicht ändert sich das mal, und davon hängt natürlich ab, ob das, was ich geschaffen habe und viele andere Schriftsteller geschaffen haben, bleibt."
Zwei große amerikanische Autoren starben ebenfalls, E. L. Doctorow, Autor des wunderbaren Gangsterromans "Billy Bathgate", und James Salter, der in Deutschland erst mit großer Verspätung entdeckt wurde. Auch der britische Fantasy-Schriftsteller Terry Pratchett, Erfinder der "Scheibenwelt", und Krimikönigin Ruth Rendell sind tot. Wahrscheinlich würden alle von ihnen einen Satz von Günter Grass unterschreiben:
"Wenn es mir gelungen ist, zwei, drei Bücher geschrieben zu haben, die auch in späteren Zeiten in die Hand genommen werden, dann ist das schon was."
Ein feinsinniger, literarisch wie musikalisch hochgebildeter Theaterregisseur war Luc Bondy. Ein radikal politisches Theater vertrat hingegen Judith Malina. Mit ihrem Partner Julian Beck gründete die in Kiel geborene und in die USA emigrierte Anarchistin und Pazifistin 1947 das "Living Theatre". Die Gruppe wird seit den sechziger Jahren als Modell gesehen, wie Gegenkultur funktionieren kann.
Bert Neumann war ein Bühnenbildner mit riesigem Einfluss
Das deutschsprachige Theater verlor mit Helmuth Lohner einen der prägnantesten Schauspieler und Regisseur der alten Wiener Schule. Und mit Bert Neumann einen Bühnenbildner, dessen Einfluss gar nicht überschätzt werden kann. Für Frank Castorf, René Pollesch und viele andere entwarf Neumann ganze Bühnenstädte, Lebensräume, in denen die Schauspieler oft von der Kamera verfolgt wurden.
Einige der schönsten Theatergebäude entwarf der Architekt und Visionär Werner Ruhnau. Selten gelang die Verschmelzung von Kunst und Bau so herausragend wie im Musiktheater im Revier Gelsenkirchen.

"Das Ruhrgebiet war natürlich unser wichtigstes Arbeitsgebiet. Diese metallischen Gegenstände, die waren einfach fotografisch fantastisch."
Die Fotografin Hilla Becher steht vor ihrer Fotoserie "Kühltürme".
Die verstorbene Fotografin Hilla Becher vor ihrer Fotoserie "Kühltürme"© dpa, David Ebener
Mit ihrem bereits vor acht Jahren verstorbenen Mann Bernd hat Hilla Becher die Industriefotografie als Kunstform etabliert. In ihren Bildern leben Fabriken, Wassertürme und Gasometer fort, die längst verschwunden sind. Die Bechers erkannten die besondere Schönheit dieser Gebäude, lange bevor es den Begriff der "Industriekultur" gab.
"Die meisten Sachen, die wir fotografiert haben, waren voll in Funktion. Wenn es Ruinen gab, haben wir die total vernachlässigt."
Auch mit Karikaturen lässt sich die Welt beschreiben und festhalten. Fünf französische Cartoonisten wurden neben anderen Menschen am 7. Januar in der Redaktion der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" von islamistischen Terroristen erschossen. Es gab eine riesige Welle der Solidarität.
Christopher Lee wurde als Graf Dracula ständig gepfählt
Ein Vampir hat das Sterben schon lange hinter sich. Christopher Lee ist als Graf Dracula zwar oft zu Asche zerfallen oder gepfählt worden, aber spätestens im nächsten Film war er wieder da. Ein schlanker, großer Gentleman mit perfekten Manieren, aber auch eine Bestie mit blutunterlaufenen Augen und angsteinflößender Bassstimme.
"They have destroyed my servant. They will be destroyed."
93 Jahre alt wurde Christopher Lee. Er spielte noch im hohen Alter mit unglaublicher Präsenz Bösewichte in "Star Wars" und "Der Herr der Ringe".
Eine Legende des Horrorfilms war auch Wes Craven, der das pizzagesichtige Traumgespenst Freddy Krueger erfand und postmoderne, intelligente Ironie ins Gruselkino brachte. Mit Maureen O´Hara verließ eine der letzten Hollywood-Göttinnen diese Welt, ebenso wie Leonard Nimoy, der als Vulkanier Mr. Spock in "Star Trek" mehrere Generationen begeisterte. Pierre Brice war ebenfalls sein Leben lang auf eine Rolle festgelegt, auf die des edlen Apachenhäuptlings Winnetou.
Die Blues-Legende B.B. King im Februar 2013
Keiner spielte den Blues wie er: B.B. King war schon zu Lebzeiten eine Legende© imago stock & people
Ornette Coleman war einer der wichtigsten Jazzmusiker. Ausgestellte Virtuosität interessierte ihn nicht, er entwickelte eine eigene, reiche Form des Free Jazz, die Anleihen beim Rock ebenso wenig scheute wie sphärische Klänge. Ähnlich einflussreich war B. B. King im Blues. Und erst vor wenigen Tagen starb der Dirigent Kurt Masur, der sich beim Zusammenbruch der DDR auf die Seite der Demonstranten stellte und ein bedeutender Vertreter des satten deutschen Orchesterklangs war. Wenn er nun im Himmel auf Ludwig van Beethoven trifft, werden das bestimmt interessante Gespräche.
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