Zum Tod von Bert Neumann

Ein Bühnen-Erfinder mit Hang zum Flitter

Der Bühnen- und Kostümbildner Bert Neumann (1960 – 2015) bei Proben im Prater der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin im Jahr 2007.
Der Bühnen- und Kostümbildner Bert Neumann (1960 – 2015) bei Proben im Prater der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin im Jahr 2007. © imago/DRAMA-Berlin.de
Von Michael Laages · 31.07.2015
Er war der prägendste unter den Bühnenbildnern und Raumgestaltern im deutschen Theater. An der Seite von Intendant Frank Castorf kreierte er die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. Am Donnerstag ist Bert Neumann im Alter von 54 Jahren gestorben.
Wenn jemand die Volksbühne "erfunden" hat - und zwar nicht nur als Raum für Theater-Inszenierungen, sondern auch und vor allem als Marke - dann ist das Bert Neumann gewesen. Die Erfindung von damals steht heute auf dem Rasen-Dreieck vor dem Theater, also auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin – überlebensgroß und massiv jenes Rad auf Beinen, das zum Sinn- und Spiegelbild des unangepassten Theaterbetriebs wurde, das die Volksbühne in den Gründerjahren und für lange Zeit war. Ursprünglich ist das laufende Rad bekanntlich eine Räuber-Zinke, bei Bert Neumann und Lenore Blievernicht, dem Künstler-Paar, fand sich das Zeichen im grafischen Fundus. Nun (und seither) zierte und ziert das Signet alles, was irgendwie "Volksbühne" ist. Und als Berlin mal wieder über den Niedergang dieses Theaters räsonierte, ließ Neumann die Stadt komplett mit dem Rad auf Beinen zuplakatieren.
Sein Lametta-Vorhang wurde Standard
Aber nicht nur das war Erfindung aus Neumanns Werkstatt – auch die T-Shirts mit dem Rad drauf. Kein Wunder: Blievernicht und Neumann hatten sich nach dem Studium nicht auf die DDR-übliche Festanstellung eingelassen, sondern aufs freie Künstlertum, das sie halt mit bedruckten Hemden finanzierten. Neumanns Werk sind auch die bis heute üblichen sehr schlichten Programmzettel des Theaters; ehedem waren sie aus rubbeligem Papier und wie im Kartoffeldruck erstellt. Echte Programmhhefte hatten keine Priorität an diesem Theater – Schnee von gestern! Und bis zu den nunmehr letzten Bühnenbildern (für Rene Pollesch) gab es noch einen Neumann-Standard: den Lametta-Vorhang, mal vor der Bühne, mal im hinteren Halbrund. Der falsche Flitter war Programm:
"Dieses ganze Glitzern, diese Fassaden sind natürlich optische Mittel, die die Netzhaut sofort erreichen – obwohl man natürlich die Schäbigkeit auch weiß, die dahinter halt letztlich meist ist."
Armes Theater also – das aber offensiv und rückhaltlos mit allen Status-Symbolen des theatralen Reichtums spielte. Bert Neumanns Bühnen definierten den Raum, in dem Theater sich ereignet, ganz neu. En gros und im Detail:
"Dann gibt's Regisseure, die sagen: Mach mir da mal ne Tür rein! Und ich sage: Nee, da passt eigentlich keine Tür rein, und ich hab' mir das auch genau so überlegt, dass da keine ist. Ok, da ist keine Tür – wie komm' ich aber trotzdem durch die Wand? Und da fängt dann eben Fantasie an zu blühen, unter Umständen; da, find' ich, wird's dann interessant."
Eigene Vorstellung von Raum und Stück
Türen, Wände, Kulissen – wenn Bert Neumann sich tatsächlich mal auf Bausteine dieser vertrauten Sorte einließ, war Ironie nicht weit. Viel eher realisierte er die eigene Vorstellung von Raum und Stück in Objekten – da baumelte gerade noch ein begeh- und bespielbarer Haifisch über der Bühne, und zuletzt blies sich ein haushohes Gummibärchen auf, auf dessen Bauch der alte Spruch prangte, mit dem Neumann und Frank Castorf vor mehr zehn Jahren die Richtung vorgaben für die damals kurzfristig erneuerten Ruhrfestspiele in Recklinghausen: "No Fear", keine Angst. Das ganze Ruhrgebiet zierten damals diese Worte (und blieben weithin unverstanden). Vor das Festspielhaus hatte Neumann gleich eine ganze kleine Western-Stadt aus Bretterbuden gezimmert. So sah er den Westen.
Und so sah er den Osten – ein komplettes Landhaus, gemütlich und klaustrophobisch, samt Garten und Bade-Pool, rotierte auf der Bühne für eine der ersten großen Castorf-Arbeiten mit Dostojewskis Texten; überhaupt: Häuser, Etagen, Zimmer! In ihnen gab er Castorf die Steil-Vorlagen für immer neue Experimente mit der Live-Kamera, und in späteren Inszenierungen war immer mindestens eine komplette Leinwand Teil des Bühnen-Aufbaus. Der Widerspruch zwischen derart massiven Bild-Ideen einerseits und andererseits der fundamentalsten Herausforderung des Theaters war Neumann dabei durchaus bewusst:
"Ein guter Theaterabend ist auch jeden Tag ander. Im Extremfall bei Schlingensief zum Beispiel, wo die Abende ja komplett verschieden waren – das war wie ne andere Inszenierung, wenn man einen anderen Abend gesehen hat."
Kunstwagenburgen unter freiem Himmel
In Brasilien zum Beispiel (wo er als Erster aus dem Castorf-Team selbst ein Projekt realisierte) folgte er dem "Prinzip Schlingensief" auf sehr spezielle andere Weise: Neumanns "Teatro da Pronto entrega" machte sich als eine Mischung aus Lieferservice und Erster Hilfe mit Lastwagen auf in die Vorstädte: Und danach gab es dann auch in Berlin immer wieder im Sommer Wagenburgen der Kunst unter freiem Himmel.
Neumann hatte stets freie Hand in der Volksbühne; und darum ist er (neben wenigen Ausflügen zu Johan Simons nach München oder ins Opernfach) auch immer am Rosa-Luxemburg-Platz geblieben, so lange wie sein Intendant. Zuweilen sah es sogar so aus, als würde eigentlich er, der Ausstattungsleiter, trickreich die Geschicke des Hauses leiten. Schon deshalb, weil er immer verantwortlich blieb für das Bild, das die Bühne im öffentlichen Bewusstsein abgab. "Verkauft!" stand etwa seit einiger Zeit wieder auf der bühnenhausbreiten Plakat-Bauchbinde über dem Volksbühnen-Portal. Das war Neumanns Kommentar zum Streit um Castorfs (und natürlich auch die eigene) Nachfolge. Und im oberen Foyer des Theaters steht derzeit eine Hausbar in Form eines Totenschädels.
Ja - der Bühnen-Erfinder dachte gern und stets groß: Sein persönlichstes Signet war vielleicht das Ausrufezeichen. Die Volksbühne ist auch sein Vermächtnis.
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