Verschwörungstheorien und ihre Anhänger

Warum Fakten an den Kopf werfen nicht hilft

14:09 Minuten
Das Bild zeigt einen Mann von vorne, der an einer Säule lehnt. Auf dem Kopf trägt er eine silberne Kuchenform und vor dem Gesicht ein durchsichtiges Visier.
Auch eine Backform kann einen tollen Aluhut abgeben. © imago images / Arnulf Hettrich
Michael Butter im Gespräch mit Jenny Genzmer und Tim Wiese · 05.09.2020
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Die Pandemie als Blütezeit der Verschwörungsmythen: Ein Blick in die Geschichte zeige, warum das so ist, erklärt der Amerikanist Michael Butter. Was Motive und Struktur angeht, werde zurzeit vieles kopiert, was vorher schon da war.
Verschwörungserzählungen und -theorien sind kein neues Phänomen: Sie haben durch Corona aber scheinbar Hochkonjunktur. Dem stellt sich unter anderem das neue Gesundheitsportal der Bundesregierung entgegen, das sich seit dieser Woche mit Fakten gegen Fehlinformationen wehrt. Können solche Maßnahmen helfen, Menschen in ihren Überzeugungen zu bekehren?
Um die Verbreitung von Verschwörungsmythen zu verstehen, hilft ein Blick in die Geschichte. Hier gebe es zwar noch große Lücken in der Forschung, dennoch vermutet Michael Butter von der Eberhard Karls Universität Tübingen, dass jede Pandemie auch Verschwörungstheorien generiert. Ein Beispiel dafür sieht der Amerikanist in der großen Pest des 14. Jahrhunderts.
Interessanterweise würden in diesen Ausnahmesituationen allerdings nicht nur neue Verschwörungserzählungen entstehen, sondern auch alte befeuert. Ein Muster, das sich für Michael Butter in Zeiten von Covid-19 erneut bestätigt: "Auf der einen Seite gibt es da Verschwörungstheorien, die sich erst einmal nur auf Corona konzentrieren, die also relativ neu sind, die aber - was Motive und Struktur angeht - im Grund nur kopieren, was vorher schon da war."

Unsicherheit und das Gefühl der Machtlosigkeit

Wer in Bezug auf Verschwörungserzählungen nicht nur auf das Wann, sondern auch auf das Warum schaut, wird in der Psychologie fündig. Hier untersuchten Forscher etwa die Persönlichkeiten von Menschen, die für Verschwörungstheorien scheinbar besonders anfällig sind: So war der Sozialpsychologe Serge Moscovici unter anderem davon überzeugt, dass es sogenannte "Verschwörungsmentalitäten" gibt.
Michael Butter ist mit generalisierten Annahmen zu diesem Thema vorsichtig. Auch er teilt die Überzeugung, dass Menschen, die "sich machtlos fühlen" und "schlecht mit Unsicherheiten" umgehen können, dazu neigen, sich Verschwörungserzählungen zuzuwenden. "Es ist so, das betonen auch die wirklich guten psychologischen Arbeiten, dass wir uns das nicht als einen Schwarz-Weiß-Gegensatz vorstellen dürfen", erläutert er. "Sondern, dass es da auch gewisse Abstufungen gibt, und wir alle eine gewisse Neigung zu Verschwörungstheorien haben."
Diese Neigung bringe wohl auch die Corona-Pandemie gerade ans Licht: Denn Michael Butter glaubt nicht, dass Verschwörungstheorien in den letzten Monaten mehr Anhänger gewonnen hätten. Vielmehr verlange die aktuelle Ausnahmesituation, sich zum Beispiel zu Maßnahmen wie einer Maskenpflicht zu positionieren - und so seine Überzeugungen öffentlich zu machen

Mit Fragen Selbstreflexion auslösen

Was tun, wenn man im eigenen Umfeld auf den Glauben an Verschwörungsmythen trifft? Es brauche vor allem "eine gewisse Offenheit und Dialogbereitschaft", sagt Michael Butter. Einfach sei dieser Weg in jedem Fall nicht, denn einem verschwörungsgläubigen Gegenüber lediglich Fakten an den Kopf zu werfen, würde diesen Menschen nur tiefer in seine Überzeugungen treiben. Besser sei es, Fragen zu stellen, um damit im Idealfall eine Selbstreflexion auszulösen.
Dennoch begrüßt Michael Butter auch eine Faktenoffensive wie das nationale Gesundheitsportal der Bundesregierung. Auch Maßnahmen der sozialen Netzwerke, die zum Teil bereits stattfinden, wie die Kennzeichnung der Verschwörungstheorien oder die Ausblendung durch Algorithmen, seien Schritte in die richtige Richtung.
Von der Löschung solcher Beiträge hält Michael Butter allerdings nichts: "Ich denke, dass das Recht der freien Meinungsäußerung ein viel zu wichtiges ist, als dass man versuchen sollte, es einzuschränken. Das muss man einfach aushalten, dass Verschwörungstheorien verbreitet werden, solange sie nicht gegen geltende Gesetze verstoßen."
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