Verrohte Sprache

Wenn Gegner als "Pack" bezeichnet werden

Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz (Mitte rechts, CDU), Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (Mitte, SPD) und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (Mitte links, SPD) vor einer Notunterkunft für Flüchtlinge in Heidenau (Sachsen)
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in Heidenau : "Man darf diesen Typen, diesem braunen Mob keinen Millimeter Raum geben." © dpa / picture alliance / Rainer Jensen
Von Eberhard Straub · 02.09.2015
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat kürzlich die rechtsradikalen Randalierer im sächsischen Heidenau als "Pack" bezeichnet. Unserem Autor Eberhard Straub ist das übel aufgestoßen: Der Wirtschaftsminister diskriminiere willkürlich und mache es sich furchtbar einfach.
"Man muss etwas zu sagen haben, wenn man reden will", empfahl Johann Wolfgang Goethe, als er Minister in Weimar war. Heute gibt es Situationen, in denen es Minister schon für Feigheit halten, abzuwarten, sich zu unterrichten und nachzudenken.
Die Krawalle von Radikalen wecken vielfach Abscheu und Empörung. Die Leidenschaft für das Gute hat ihre eigene Dynamik. Starke Kräfte bedürfen starker Worte. Politiker und Journalisten, selbst der Bundespräsident, kommen deshalb ohne Kraftworte gar nicht mehr aus, setzen alle zusammen markige Zeichen, um jeden dazu aufzufordern, sich zum hellen Deutschland zu bekennen und vor dem Druck des dunklen Deutschland nicht zu verzagen.
Die Demonstranten, nicht nur in Heidenau, deren Sympathisanten oder lokale Kritiker der Asylpolitik werden mittlerweile als Mob, Besoffene, Pöbel, Pack, undeutscheste Typen und dennoch nationale Rassisten oder gleich als Verbrecher charakterisiert, die mit Terror die Regeln der wehrhaften Demokratie bedrohen.
Schaden an wehrhafter Demokratie
Diese moralisch hochgerüstete Radikalität nimmt bedenkenlos eine erstaunliche Verrohung der Sprache in Kauf. Die Leidenschaft für das Gute verzichtet auf Nuancen und widerspricht damit einem alten Grundsatz vernünftiger Aufklärung: die Dinge zu verstehen, das heißt, sie zu komplizieren.
Radikale Vereinfacher und Sinnstifter gleichen sich mit ihrer vulgären Sprache ihrem Feind an, dem sie sich doch weit überlegen vorkommen. Ihre Sprache ist ebenso fragwürdig, unappetitlich und dient mit ihrem rohen Eifer der wehrhaften Demokratie überhaupt nicht.
Die wehrhafte Demokratie erfüllt sich im Rechtsstaat. Das Recht schützt und erhält die Freiheit. Wie ein Bürger davon Gebrauch macht, geht keinen etwas an, solange er seine Freiheiten nicht missbraucht oder die anderer verletzt und damit den Landfrieden gewalttätig stört.
Wird er zum Störenfried, sorgen Polizei, Staatsanwalt und Gericht - nicht die Politiker - dafür, dass er im angemessenen Maß zur Ordnung gerufen wird. Auch ein Straftäter, auch ein gewaltbereiter oder tatverdächtiger Demonstrant darf sich auf das Recht berufen. Er bleibt immer noch Bürger, vielleicht ein schlecht unterrichteter oder böswilliger.
Kein Bürger gehört zum Mob, Pöbel oder Pack. Das sind willkürliche Diskriminierungen, die üblicherweise mit Lynchjustiz und der spontanen Rache des gesunden Volksempfindens verbunden werden. Ein wehrhafter Demokrat sollte dem Rechtsstaat vertrauen und nicht den schwankenden moralischen Aufwallungen.
Hilflosigkeit des verbalen Radikalismus
Der Rechtsstaat ist keine Gesinnungsgemeinschaft. Nicht Gedanken und Gefühle, nur Taten unterliegen der Kontrolle und unter Umständen der Strafe. Es ist verantwortungslos, Teile des Staatsvolkes, die einem unsympathisch oder widerwärtig sind, aus der bürgerlichen Gemeinschaft auszuschließen. Sie könnten sich wirklich einmal sammeln.
Die suggestive Devise ist schon vorhanden, angeregt von dem schrecklichen Vereinfacher Sigmar Gabriel, dem die Beschimpften dann bald erwidern: "Wir sind das Pack!“ In Spanien oder Italien gibt es mit "Podemos" oder den "Grillini" mächtige Bewegungen, die bereits weitergehen und den Parteien zurufen: "Ihr seid das Pack! Weg mit euch allen!“.
Verbaler Radikalismus drückt Hilflosigkeit aus. Er ist keine Antwort auf politische Herausforderung.
Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen u.a.: "Die Wittelsbacher", "Drei letzte Kaiser", "Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit" und "Zur Tyrannei der Werte".
Eberhard Straub
Eberhard Straub© dpa / picture alliance / Uwe Zucchi
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